Kulturhauptstadt Europas 2025
Chemnitz – C the unseen
Chemnitz ist – gemeinsam mit Gorizia/Nova Gorica – Kulturhauptstadt Europas 2025. Eine gute Gelegenheit, die sächsische Stadt näher zu erkunden und Vorurteile sowie Stereotype hinter sich zu lassen.
Von Roberto Sassi
C THE UNSEEN
Eine osteuropäische Stadt in einem westeuropäischen Land, so war mir Chemnitz vor meiner Abfahrt mehrfach beschrieben worden. Das hat sicher auch mit der geografischen Lage der Stadt zu tun, denn Prag ist von hier näher als Berlin. Aber umfassend verständlich wird diese Beschreibung erst, wenn man den Blick auf die städtebaulichen, sozialen und politischen Narben richtet, die Chemnitz trägt und heute mit einem gewissen Stolz als Teil seiner Identität betrachtet.Es ist ein kurioser Zufall, dass ich gerade am 10. Mai hier bin, dem Tag, an dem Chemnitz 1953 den Namen Karl-Marx-Stadt erhielt. Im Jahr 1990, wenige Monate nach dem Fall der Berliner Mauer erfolgte dann nach einem entsprechenden Bürgerentscheid die Rückbenennung. Das Monument für den Vordenker des Kommunismus, das hier einfach nur „der Nischel“ („der Kopf“) genannt wird, steht hingegen noch an seinem Platz. Unbeweglich blickt Marx von seinem Granitsockel auf den dichten Verkehr, der auf der vierspurigen Brückenstraße vorbeizieht. Unmittelbar hinter ihm, an der Fassade der Parteisäge – einem imposanten sozialistischen Gebäude von 270 Metern Länge – ist in großen Lettern auf Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch die Parole „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ zu lesen. Dieselbe Parole, die auch auf Marx’ Grabmal in London geschrieben steht.
Im Januar, auf der Feier zur Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres, bildete der in der winterkalten Abendluft taghell beleuchtete Bronzekopf des Philosophen das zentrale Element auf einer Bühne. Auf der Fassade der Parteisäge leuchtete das Motto von Chemnitz 2025: C the unseen. Das englische Wortspiel lädt ausdrücklich dazu ein „das Unsichtbare zu sehen“ und die Stadt Chemnitz und ihr Umland zu entdecken. Tatsächlich führte die Region lange Zeit ein Schattendasein und ist vielen Deutschen, vor allem jenen aus dem Westen, weitgehend unbekannt.
Chemnitz damals und heute
„Die meisten unserer bisherigen Besucher*innen kommen aus dem deutschsprachigen Raum. Der Titel Kulturhauptstadt Europas hat Neugier und Interesse an der gesamten Region geweckt“, erklärt Mareike Holfeld, die Leiterin der Presse- und Kommunikationsstelle von Chemnitz 2025. Ich treffe sie in der Hartmannfabrik, dem letzten architektonischen Überbleibsel der großen Lokomotivfabrik von Richard Hartmann – hier, direkt am Fluss Chemnitz, dem die Stadt ihren Namen verdankt. Das Gebäude, das nach über dreißig Jahren Leerstand vor Kurzem saniert wurde, erzählt ein wichtiges Stück Stadtgeschichte. Denn im Zweiten Weltkrieg wurden bei schweren Bombenangriffen 80% der Innenstadt in Trümmer gelegt. Chemnitz galt damals als eine der bedeutendsten Industriemetropolen Deutschlands und trug den Beinamen „sächsisches Manchester“.Heute hingegen dient die Hartmannfabrik – in der einst emsig die Maschinen ratterten und Rauch, Dampf und der stechende Geruch von glühendem Eisen in der Luft hingen – als Informationszentrum für Besucherinnen und Besucher. Wahrscheinlich sind viele von ihnen wie ich in die Stadt gekommen, um zu sehen, was geblieben ist von dem geschäftigen Industriezentrum, das Chemnitz vor und nach dem Zweiten Weltkrieg war. Was geblieben ist von der Karl-Marx-Stadt mit ihren Plattenbauten, den Garagen aus DDR-Zeiten und der lebendigen Musikszene der Achtziger und Neunziger, deren Einflüsse noch heute in ganz Deutschland in Genres wie Hip-Hop, Indie und Elektronik spürbar sind. Wären sie gekommen, wenn die Stadt nicht zur Kulturhauptstadt Europas ernannt worden wäre? Hätten sie dennoch die Vorurteile und Stereotype beiseitegeschoben, die Chemnitz als wenig attraktive, architektonisch reizlose und kulturell unbedeutende Stadt beschreiben?
EINE STADT, DIE SICH ZEIGT
Beim Durchblättern des Programms von Chemnitz 2025 und in meinen Gesprächen mit den Mitwirkenden wird mir eines schnell klar: Die sächsische Stadt will sich ohne allzu viel Klimbim präsentieren. Sie will zeigen, was sie zu bieten hat, ohne dabei die Widersprüche, die Wunden, nostalgischen Sehnsüchte und Brüche zu verstecken, die das soziale Gefüge und das Stadtbild von Chemnitz prägen. Die Stadt will so gesehen werden, wie sie wirklich ist und Themen in den Fokus stellen, die ihre Identität reflektieren: angefangen bei der langen industriellen Tradition über das architektonische und kulturelle Erbe der DDR bis hin zur lebendigen Musikszene nach der Wiedervereinigung und den jüngsten Projekten im Bereich städtebauliche Entwicklung. Und diese Themen bilden auch den roten Faden, dem ich auf meiner Entdeckungsreise durch Chemnitz gefolgt bin.[Fortsetzung...]
Eine Zusammenarbeit mit CHEMNITZ. ZWICKAU. REGION.
Die Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 ist das Herz der Region Chemnitz Zwickau. Ein reiches gemeinsames Kultur- und Industrieerbe verbindet Menschen und Orte. Das Kulturhauptstadtjahr ist eine Einladung zu einer vielfältigen Entdeckungsreise in den Osten Deutschlands: „C the Unseen“.