50 Jahre nach ihrem Tod
Auf den Spuren von Ingeborg Bachmann in Rom

Foto der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann
Die österreichische Schriftstellerin, Mitglied der „Gruppe 47“, verfaßte u.a. den Gedichtband Die gestundete Zeit, die Essays Das dreißigste Jahr. Sie starb nach einem Brand 47jährig in Rom. | Foto (Detail): picture-alliance / dpa

Ingeborg Bachmann ist ein Name, der süß und fern klingt. Ein märchenhafter Name, in dem ein Seufzer steckt – das -ch, das ich unsauber ausspreche, nachdem mein Deutsch infolge von Jahren ohne Übung an Sicherheit verloren hat –, außerdem der Schwung der beiden abschließenden -n, und das I am Beginn, das den Namen an einen fixen Drehpunkt bindet, wie der Mast einer kleinen Fahne, die im Wind weht und flattert.

Von Ilaria Gaspari

Foto der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann © Foto (Detail):  picture-alliance / dpa Ingeborg Bachmann Foto (Detail): picture-alliance / dpa
Es ist der Wind, an den mich ihr Name denken lässt, und an den Wind denke ich, wenn ich sie auf Fotos betrachte. Obwohl sie ihre ganz eigene Gemessenheit hat; vielleicht wegen ihrer Haare, ein blonder Bubikopf, der auf manchen Fotos etwas länger ist, immer glänzend und akkurat. Aber der Wind zeigt sich in ihren Augen, in ihren unruhigen Händen. In ihrem flüchtigen und unverdrossenen Lächeln, in ihrer Ausstrahlung, die etwas Listiges, Kindliches an sich hat. Und vielleicht auch in den Informationen, die wir aktuell über sie haben, während wir darauf warten, dass die Sammlung ihrer persönlichen Schriftstücke (die von den Erben vor kurzem, bereits vor Ablauf der 2025 endenden Sperre, geöffnet wurde) nach und nach die Mysterien um sie aufklärt.

Faszinierend und ungreifbar

Im Moment ist es, als ob sich ein Zauber über sie gelegt hätte. Man erkennt diejenigen, die ihre Gedichte, ihre Erzählungen, ihren vollendeten Roman und die Bruchstücke der unvollendet gebliebenen Werke, ihre Aufsätze oder auch einfach ihre Lebensgeschichte gelesen haben, an der Art, wie sie darüber sprechen. Man erkennt diejenigen, die ihre spitze und verspielte Feder liebten, wie auch die Leichtigkeit, mit der sie die abstraktesten und scharfsinnigsten Gedanken zwischen Objekten des alltäglichen Lebens einreihte, ein Handtuch auf dem Kopf nach dem Haarewaschen, die rutschenden Strümpfe, der Lärm der Arbeiter, die das Dach reparieren, die Kaffeekanne auf dem Herd. Man erkennt sie, denn sie sprechen wie Verliebte über sie; ich weiß das, denn ich mache dasselbe. Es ist bizarr, bei anderen Autorinnen und Autoren passiert mir das nicht. Auch wenn ich genau weiß, dass die Liebe zu jemandes schriftstellerischem Werk einer grenzenlosen Zärtlichkeit für Gedanken gleicht, deren Quelle zugleich opak und transparent bleibt; wenn es um Ingeborg Bachmann geht, ist es, als ob sich dem Gefühl der Zärtlichkeit, der Bewunderung und des Mitgefühls, das ich beim Lesen geliebter Texte immer empfinde, zusätzlich eine fast schmerzhafte Sehnsucht beimengen würde.

Eine Mischung aus Abstraktem und Konkretem

Ich glaube, was diesen Effekt auslöst, ist zum einen ihr singender und tiefgründiger Stil, die Art, wie sie es versteht, von den unbegreiflichsten Dingen zu erzählen, als ob sie diese in Momenten der Erleuchtung einfinge. Zum anderen ist es aber auch diese erschöpfte Aufrichtigkeit, die sich in jedem Wort, in jedem Satz, in ihrem Streben nach Präzision verbirgt. Die Berichte von ihr und über sie bestätigen diese starke, schräge Faszination, die sie auf jeden ausübte, der ihr begegnete, wie die Diva, die sie vermutlich war. Man braucht sich nur anzusehen, wie sie in den Filmaufnahmen von damals zu lächeln weiß, das Blitzen in ihren Augen, ihre sanfte Stimme, wenn sie Gedichte vorträgt, mit ergebener und unverfrorener Schüchternheit, ihre Angst, sich zu zeigen, und der starke Drang, sich zu exponieren. Ihr Tod ist ein grausames Mysterium – die Barbiturate, die ihren Schmerz betäubten, verhinderten zugleich, dass sie die Verbrennung durch die Zigarette spürte – und macht sie quasi zu einer Legende, einer Heiligenfigur. Aber man würde ihr Unrecht tun, betrachtete man sie als Opfer – der Männer, die sie liebte und die ihre Liebe womöglich kaum und auf schlechte Art oder womöglich zu intensiv und auf schlechte Art erwiderten, wie auch der psychiatrischen Behandlungen, die sie in die Abhängigkeit von jenen Medikamenten führten, die ihr den Schmerz nahmen und sie dadurch zu einem frühen Tod verurteilten. Man würde der Intensität ihres Antriebs, ihrer Schwierigkeit damit, „heute“ zu sagen und den Lauf der Zeit zu spüren, ihrem Hunger nach Gerechtigkeit und Licht Unrecht tun. Wie auch ihrer Begeisterung für Rom, die Stadt, die sie – zwar gebürtige Österreicherin, aber zutiefst verletzt von der Hinwendung ihres Landes zum Nationalsozialismus, der ihre Kindheit beherrschte – für sich gewählt hatte. Denn erst in Rom hatte sie gelernt zu leben, innezuhalten, zu beobachten, zu atmen, zu riechen, den Himmel und den Fluss zu betrachten.

1973–2023: 50 Jahre

Vielleicht bringt ja dieses Jahr, das Jahr ihres fünfzigsten Todestags ein klein wenig Licht ins einsame Dunkel ihres Geheimnisses, und erlaubt uns so, sie besser zu verstehen und vor allem mehr von ihr zu lesen. In einem Interview, das Gerda Haller wenige Monate vor ihrem Tod aufgenommen hat und das mehr einem Dokumentarfilm gleicht, spaziert Bachmann mit unbekümmerter und fast überirdischer Anmut durch Rom, ungreifbar, vielleicht schon weit weg. Auch in diesen Bildern können wir sie heute suchen und versuchen, von ihr zu erzählen. Margarethe von Trotta hat ihr ein Filmporträt gewidmet, das vor kurzem auf der Berlinale präsentiert wurde; es werden Bücher über sie erscheinen, es wird eine große Tagung geben. Es wird ein Bachmann-Jahr werden, das es, so hoffe ich, Leserinnen und Lesern ermöglichen wird, eine Stimme zu entdecken bzw. wiederzuentdecken, die jung und frisch geblieben ist – die Stimme einer Staatenlosen, die, wie sie in einem ihrer schönsten Gedichte, Böhmen liegt am Meer, schreibt, wenn ein Wort an sie grenzt, es grenzen lässt.

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