100 Jahre Dada
Quatsch gegen Quatsch

Hannah Höch, Kleine Sonne, 1969, Collage
Hannah Höch, Kleine Sonne, 1969, Collage | Foto: © Berliner Sparkasse, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Gezielte Provokation und Antikunst – die Dada-Bewegung wehrte sich gegen die bürgerliche Enge und den Nationalismus indem sie schockierte. Welche Aktualität besitzt Dada heute, 100 Jahre danach? Eine Spurensuche zwischen Weimar und Hannover.

Weimar im Frühling. Im C-Keller, wo sich zu DDR-Zeiten Dissidenten trafen, singt der Absurde Chor zur Finissage der Weimarer Dada-Jubiläums-Ausstellung. „Am Anfang war der Ort, dann kam das Wort, jetzt sind wir dort“ intonieren die Sängerinnen zum Takt ihres Dirigenten Michael von Hintzenstern. Der gelernte Kirchenmusiker fing Anfang der 1980er-Jahre an, sich für Dada zu interessieren und sorgte mit einer Aufführung von Kurt Schwitters berühmtem Lautgedicht Ursonate für beträchtliche Unruhe im sozialistischen Kulturbetrieb der Klassikerstadt. Dass der Ort Weimar schon in den Anfängen der Dada-Bewegung eine wichtige Rolle spielte, daran erinnert eine Vitrine mit Krimskrams, das angeblich aus dem persönlichen Besitz historischer Dada-Größen stammt: eine Fußpuderdose des Lautpoeten Kurt Schwitters, eine Seifenschale von Hannah Höch, der Miterfinderin der Collage, und ein eleganter Damenhandschuh, der Nelly van Doesburg gehört haben soll. Sie und ihr Mann, der Architekt Theo von Doesburg kamen 1921 nach Weimar.

Das Gift des neuen Geistes

Eigentlich soll Doesburg am Bauhaus zur „de Stijl“-Reformbewegung unterrichten, aber sein Interesse gilt den wilden Dadaisten, die ein paar Jahre zuvor, mitten im Ersten Weltkrieg, in der neutralen Schweiz, eine Kunstrevolution ausgerufen hatten. „Ich habe das Gift des neuen Geistes verstreut“, schreibt er an einen Freund. Und Doesburg bleibt nicht der einzige Dada-Giftmischer in Weimar: Zum ersten gemeinsamen Kongress von Konstruktivisten und Dadaisten kommen Tristan Tzara aus Zürich und Kurt Schwitters aus Hannover angereist. Tagsüber betrinkt man sich und am Abend kommt man zur Soiree im Hotel Fürstenhof zusammen. Das kunstsinnige Weimarer Publikum reagiert verstört auf die Texte aus scheinbar wahllos zusammengewürfelten Silben und auf die atonalen Tonsequenzen.

Für die Dadaisten, so der Weimarer Kunsthistoriker Michael Lütthi, konnte alles zur Kunst werden: ein Zeitungsschnipsel, eine Schaufensterpuppe, ein Keramik-Pissoir. Aber Weimar ist nur einer von vielen Orten, an denen „neue Kunst“ verkündet und gelebt wird.
Fotos: M. Schuck

Der Absurde Chor in Weimar, dirigiert von Michael von Hintzenstern, mit „Am Anfang war das Wort“ zu Dada-Reliquien in Weimar: Fußpuder von Kurt Schwitters neben der Seifenschale von Hanna Höch (Fotos: M. Schuck).

Dreidimensionale Collage in Grün

Nach dem Ersten Weltkrieg verbreitet sich Dada von Zürich aus in die ganze Welt. In Deutschland wird nach Weimar Berlin zum Zentrum. Nicht nur weil hier 1920 in zwei Hinterzimmern die erste „Dada-Messe“, die erste von Dadaisten organisierte Ausstellung, stattfindet, sondern weil in Berlin eine der ganz wenigen Dadaistinnen arbeitet: Hannah Höch. Als die Nationalsozialisten ihre Kunst als „entartet“ verbieten, zieht sich Höch in ihr Gartenhaus am Stadtrand zurück. Hier lebt sie zurückgezogen und fast vergessen, bis ein Lokalredakteur sie in den Sechzigerjahren wiederentdeckt. Mit über 70 Jahren wird Höch an die Berliner Akademie der Künste berufen. Ihre Collagen werden im Museum of Modern Art in New York ausgestellt. „Der späte Ruhm, das war für sie wie ein Ritterschlag“, sagt der Maler Johannes Bauersachs. Er lebt heute mit seiner Familie in Höchs Gartenhaus und pflegt den verwunschenen Garten, der wie eine Art dreidimensionaler Dada-Collage in Grün anmutet: schief geschnittene Buchsbäume, Gemüsebeete in Kreisform, Laubengänge wie ein Labyrinth.

Eine Haltung zur Welt

Das Schicksal, früh vergessen zu werden, teilt Hannah Höch mit vielen Dadaisten, wie zum Beispiel Kurt Schwitters. Aber mittlerweile ist der Künstler in seiner Heimatstadt Hannover zu einer Art moderner Schutzheiliger geworden. Seine kostbarste Reliquie – ein Nachbau seines berühmten Merzbaus – steht im Sprengel-Museum. Das Original hatte Schwitters im elterlichen Schlafzimmer aus Holz und Pappmaschee gebaut, bis er 1937 zunächst nach Norwegen, später nach England emigrieren musste. Es war eine begehbare Installation, halb expressionistische Filmkulisse, halb dreidimensionales futuristisches Gemälde. Der Name Merzbau kam zufällig zustande, erklärt Isabel Schulz, die im Museum für Schwitters’ Hinterlassenschaft verantwortlich ist: „Für eine Collage zerschnitt Schwitters eine Reklame der Commerzbank und erfand so einen eigenen Namen für seine Dadakunst“. Für Schulz bedeutet Dada keinesfalls eine abgeschlossene, kunsthistorische Epoche, sondern „eine Haltung zur Welt, die alles infrage stellt“.

Quatsch

Hannah Höch, Synthetische Blumen, 1952, Collage Hannah Höch, Synthetische Blumen, 1952, Collage | © Berliner Sparkasse, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Ein paar Straßenbahn-Haltestellen weiter gehört die Dada-Sicht auf die Welt zum Lernstoff für Abiturienten. Jeder Viertklässler im Kurt-Schwitters-Gymnasium bekommt ein Heft mit Schwitters’ Biografie und seiner berühmten Unsinns-Lyrik in die Hand gedrückt. Der 11-jährigen Clara gefällt Schwitters’ i-Gedicht am besten: „Lies: rauf, runter, rauf, Pünktchen drauf“ rezitiert sie stolz. Und wie erklärt sie Dada? „Ich glaube, die haben bei ihren Treffen ganz viel Quatsch gemacht, um zu zeigen, was es für einen schlimmen Quatsch in der Welt gibt – Quatsch wie Kriege…“. Und heute? „Heute gibt es auch noch ganz schön viel Quatsch“, sagt Clara. Quatsch gegen Quatsch – überzeugender und aktueller kann kein Kunsthistoriker Dada erklären.
 

Hannah Höch (1889–1978) gilt als eine der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen der klassischen Moderne. Ein umfangreicher Katalog begleitet die Ausstellung der Kunsthalle-Mannheim (22.04.2016–14.08.2016), die ihr Werk nach 1945 zeigt.