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Körperlichkeit
Ein paar Einsichten zur Theologie des Leibes

Ein nackter Rücken des Mannes, auf dem Schulter hält er einen dunklen Stein
There is Nothing New Under the Sun, 2019 | Foto (Ausschnitt) © Kata Geibl

Von Lilijana Marcinkevičiūtė

Die verlorene Wertschätzung

...Nachdem wir unsere innere Betriebsamkeit zur Ruhe gebracht haben, schauen wir genauer auf das Kind, das uns gerade beobachtet. Es ist ein Mädchen oder ein Junge, noch ohne Vorurteile und noch von keinem sozialen oder kulturellen Kontext beeinflusst. Es macht ihm nichts aus, dass sein Haar zerzaust ist, dass es Sommersprossen hat oder ihm ein paar Zähne fehlen... Überlegen wir: wie würde dieses Kind sich selbst annehmen? Würde es nach natürlichen Mängeln suchen? Würde es sich seiner Nacktheit schämen?
 
Es ist schwer, anders zu denken, weil wir beim Hinschauen auf das Kind unsere Erfahrungen eines Erwachsenen übertragen und dabei häufig eine tiefe Spaltung in der Einheit unserer Person und des Leibes erleben. Aus psychologischer Sicht finden wir es peinlich, ja sogar beschämend, vor sich selbst oder vor anderen physisch bzw. emotional nackt zu sein (sich zu öffnen, seine eigene Natur zu zeigen). Der Grund liegt einfach darin, dass unser gegenwärtiges Verhältnis zum eigenen Leib eine Erfahrung ist, die von Anderen einst beeinflusst wurde und tief im Bewusstsein verankert ist, und zwar, dass wir unzureichend und fehlerhaft sind. Häufig missachten wir unsere unangenehmen Gefühle und den Schmerz und verdecken sie mit unterschiedlichen Erfahrungen, die zumindest vorübergehend Erleichterung und Zufriedenheit bringen. Dabei ist unser Leib normalerweise als Mittler beteiligt, den wir nicht als untrennbar mit dem eigenen Ich, sondern als einen Anderen wahrnehmen – als Instrument, Knecht oder Sklaven, unvereinbar mit dem gesellschaftlichen Standard. Nicht umsonst wird in der heutigen Gesellschaft immer lauter von einer emotionalen Intelligenz gesprochen: häufig sind wir nicht fähig, uns in das Innerste zu begeben und unseren wahren Wert wahrzunehmen.
 
Es stellt sich die Frage: was definiert unseren Wert und was bestimmt, dass jeder von Natur aus ausreichend und einzigartig ist? Was könnte uns als Wegweiser in unserem Lebensweg dienen, damit wir ohne Selbstscham vollwertige und nicht zerstörende Beziehungen aufbauen sowie sich selbst und die Anderen annehmen können?
 
Dabei sind die Einsichten aus der „Theologie des Leibes“ vom Papst Johannes Paul II. hilfreich, wo er die jahrtausendealten und durch die Heilige Schrift überlieferten Wahrheiten betrachtet, die die Wertschätzung unserer Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit aufzeigen und besagen, wie wir gegenseitige Beziehungen aufbauen sollten, um als Männer und Frauen glücklich zu werden. 

Die ursprüngliche Einheit von Leib und Seele als Grund für die Wertschätzung

Ausgehend vom Bericht über die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau lädt das Buch des Papstes uns ein, unsere Einzigartigkeit und Wertschätzung als Mensch zu erleben. In der Heiligen Schrift steht, dass Adam, der Erste Mensch, als „Ebenbild Gottes“ geschaffen wurde. Durch das Einblasen empfängt er eine unsterbliche Seele und hat Vernunft sowie einen freien Willen. Die Heilige Schrift liefert also einen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass ich ebenfalls einzigartig bin, weil ich mit menschlichen Fähigkeiten beschenkt wurde und vernünftige Entscheidungen frei treffen kann. Mein Leib ist Ausdruck einer Person, ich kann mich frei entscheiden, nicht nur vom Instinkt leiten lassen – diese Wahl haben die Tiere nicht. Auch wenn unser Leib aus der gleichen Materie besteht, sind wir als Menschen geheimnisvoll und untrennbar mit der unsterblichen Seele verbunden. Das macht eben diesen ursprünglichen Wert aus, den wir häufig gar nicht als eine besondere Gegebenheit wahrnehmen.
 
Diese Einheit zwischen Seele und Leib kann jeder beim Blick auf die Augen des anderen Menschen erleben. Nicht umsonst gibt es den Spruch, dass die Augen „Spiegel der Seele“ sind. Leider sprechen wir heutzutage oft über unseren Leib als wäre dieser ein bloßes Objekt, wofür wir sorgen müssen. „Mein Leib gehört mir“ – sagen wir, als würden wir über unser Auto, unseren Haus oder Hund und nicht über uns selbst sprechen.
 
Aber die Wahrheit ist, dass wir ohne bestimmte Gegenstände weiter glücklich leben könnten, ohne den Leib jedoch aufhören würden, zu existieren. Der Leib ist nicht einfach eines meiner Instrumente oder Werkzeuge in meiner Werkzeugkiste, sondern eher die Ursache, wieso ich die Werkzeuge überhaupt nutzen kann: ich lockere den Boden nur, weil ich Hände habe, ich kann durch meine Brille sehen, weil ich Augen habe. Deswegen ist die Denkweise „Ich habe einen Leib“ nicht korrekt. Da der Leib weder Besitz noch Instrument ist, sollten wir folgendermaßen denken: „Ich bin ein Leib“. Der Leib als Ausdruck geistiger Natur kann nicht lediglich auf die Materie oder Ausführung physischer Prozesse reduziert werden. Der Leib ist persönlich und Teil meines Ichs, tief mit dem eigenen Ich verbunden und verflochten.

Die Geschlechtlichkeit des Menschen als Hinweis auf eine Liebesbeziehung

Kommen wir zur Heiligen Schrift zurück, wo es sichtbar ist, dass nach Gottes Vorhaben zwei Geschlechter des Menschen geschaffen worden sind. Dieser wesentliche Leibaspekt ist nicht zufällig. Er ist mit unserem Grundverlangen nach einer auf Liebe gestützten Beziehung verbunden. Diese Berufung zur Gemeinschaft erkennt Adam, der Erste Mensch, als er den nackten Leib von Eva, der anders ist, zum ersten Mal sieht. Er ruft: „Das endlich ist Bein von meinem Bein <...>.“ [Ebd 2, 23.] Im nackten Leib von Eva sieht der Mann eine wunderbare Person strahlen. Sie ist diejenige, die zur Beziehung, Liebe und Selbsthingabe einlädt und anregt. Die Schönheit ihres Leibes und die geschlechtlichen Unterschiede sprechen über ein wunderbares gegenseitiges Sich-Ergänzen von zwei Geschlechtern und ein gegenseitiges Zueinander.
 
Hier zeigt sich die wahre göttliche Berufung des Menschen – Sich-Schenken und Annahme des Anderen, ohne die leibliche und geistliche Natur voneinander zu trennen. Nur durch das aufrichtige Sich-Schenken und die Annahme des Anderen als Geschenk schaffen wir Einheit und sind fähig, unsere Berufung zu erfüllen. Durch diese Beziehung des Sich-Schenkens und der Selbsthingabe, die Mann und Frau am intensivsten im Geschlechtsverkehr ausdrücken, entsteht eine Ehe, wenn „die beiden ein Fleisch werden“.
 
Wir müssen übrigens zugeben, dass eine derart sakrale Beziehung heutzutage schwer vorstellbar ist. Die Heilige Schrift zeigt uns, dass dies Folge der Erbsünde ist. Der Mensch, der in Versuchung kommt und sich für die Sünde entscheidet, verliert die ursprüngliche Beziehung zum Gott und gleichzeitig die Wahrnehmung der Einheit von Leib und Seele. Er schämt sich seiner Nacktheit und will sich vor sich selbst und dem Anderen verstecken. Noch schlimmer ist es, dass er das Bewusstsein verliert, dass er ein einzigartiges Geschenk für eine andere Person ist. Es fällt ihm schwer, seinen eigenen Leib als Teil der Identität zu akzeptieren. Der Leib wird zum Beschuldigten gemacht, der versteckt und bedeckt werden muss. Letzten Endes verstecken wir uns als Menschen, die sich wertlos fühlen. In der Tat ist es nicht einfach anzuerkennen, dass wir häufig eine innere Spaltung in uns selbst erleben, was besonders beim Nachdenken über unseren weiblichen oder männlichen Leib augenscheinlich wird. Ständige Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen, Zweifel an der eigenen Attraktivität und Vergleich mit Vertretern des eigenen Geschlechts hindern uns daran, die ursprüngliche Einzigartigkeit zu erleben und uns sowie unseren Leib anzunehmen.

Zurück zum Beginn

Auf der Suche nach einer Antwort, wie wir unsere Selbstwahrnehmung als Mann und Frau, die sich einander schenken, heutzutage vertiefen können und welches Verhältnis mit dem Vertreter des anderen Geschlechts durch die Gemeinschaft unserem Verlangen nach Glück entspricht, haben wir einen langen Weg vor uns.
 
Es stellt sich folgende Frage: können wir als Menschen der Gegenwart in einer durch den Sündenfall gewandelten Welt die Einsicht der Heiligen Schrift als Wahrheit über uns selbst akzeptieren und sie leben, indem wir sich selbst und andere bedingungslos annehmen? Die Theologie des Leibes besagt, dass eben das unser Ideal ist, um die wahre Fülle des Lebens erfahren und glücklich werden zu können. Der Plan Gottes für die Menschheit ist ja unwiderruflich. Von Geburt an tragen wir ein Siegel Gottes in unserem Leib, den Anderen wie uns selbst zu lieben. Erschöpft von unseren Lebenserfahrungen verlieren wir jedoch den Glauben an Liebe als ein Geschenk. Die Wahrheit und die Sehnsucht nach einer reinen Liebe sowie das Vertrauen auf sich selbst und den Anderen sind immer noch in unseren Herzen verwurzelt.
 
Dieses ursprüngliche Vertrauen und die Offenheit sind offenbar am ehesten in einem Kind zu erkennen. Zu Beginn des Beitrages wurden wir dazu angeregt, diesen ursprünglichen Kontakt des Kindes zur Welt neu zu entdecken und eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Es braucht Zeit und Anstrengung, um auf sich selbst und den eigenen Leib ohne Vorwürfe und Schamgefühle schauen zu können, um einzusehen, dass wir einen Eigenwert besitzen sowie unser Grundverlangen entdecken. Aber der Weg zur Selbsterkenntnis in der Gegenwart des Schöpfers ist ein gewagter und sinnvoller Schritt.

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