Kommunikation in digitalen Medien
Wann sollte ich antworten – und wann blockieren?

Ein Leitfaden für Konversationen in den sozialen Medien
Illustration: colourbox.de

Diesen Frühling, als der Unterricht an lettischen Schulen aufgrund des Coronavirus erstmals online organisiert wurde, schrieb mir eine Englischlehrerin auf Facebook (FB). Sie und Kolleginnen und Kollegen aus anderen Schulen teilten auf einer besonderen FB-Seite nützliche Lehrinhalte auf Englisch. In einem Eintrag hatte die Lehrerin eine Rede des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama empfohlen und dafür scharfe Anfeindungen eines anderen Gruppenmitglieds erfahren. Diese Frau griff die Englischlehrerin virtuell wegen der Verbreitung liberaler Werte an. Sie schrieb auch auf dem privaten FB-Profil der Lehrerin aggressive Kommentare und veröffentlichte Familienfotos erneut. Schockiert über die unerwartete Reaktion beschränkte die Lehrerin die Sichtbarkeit ihres FB-Profils auf Freunde und beschloss, fortan kein potenzielles Lehrmaterial mehr zu teilen. „Zumindest nichts, was mit Politik zu tun hat,“ schrieb sie.

Von Inga Spriņģe

Das ist das schlimmstmögliche Resultat. Die aggressive Kommentatorin, die ich als Internet-Troll bezeichnen würde, weil sie auch regelmäßig unter Re:Baltica-Artikeln Worte voll Galle ausschüttete, erreichte ihr Ziel: sie brachte eine andersdenkende Stimme zum Verstummen und füllte das Internet dadurch mit noch mehr einheitlichen, aggressiven Inhalten. Man kann darüber diskutieren, ob die konkrete Rede Obamas geeignetes Lehrmaterial für Schüler*innen ist, doch dies ist auch zivilisiert möglich – unter respektvoller Anhörung einer anderen Meinung und ohne aggressive Angriffe.

Derzeit bekommt man das Gefühl, im Internet seien alle Normen der Höflichkeit (und der Grammatik) abhandengekommen. Unter dem Vorwand der Redefreiheit hat jede*r das Recht, andere grob zu beleidigen, auszulachen oder ihnen gar körperliche Gewalt anzudrohen. Infolgedessen schotten sich Menschen, die einen solchen Umgang nicht gewohnt sind, ab und verstummen. Ähnlich wie im realen Leben, wo in Klassen oder Arbeitsgemeinschaften Krawallmacher*innen dominieren und die Mehrheit unterdrücken. In der virtuellen Welt übernehmen die aggressiven „Hooligans“ den Informationsraum, obwohl sie in Wirklichkeit nur ein kleiner Teil der Gesellschaft sind.

Was tun? 

Das Wichtigste ist, nicht zu schweigen, sondern gegensätzliche Informationen zu teilen, damit eine Meinungsvielfalt entsteht. Nicht nur auf „Gefällt mir“ zu klicken, sondern auf „Teilen“. Sie haben bestimmt auch schon von Freunden oder Bekannten gehört: Ich habe in meinen sozialen Netzwerken aufgeräumt, eine Reihe von Freunden blockiert oder entfernt, weil ich den Blödsinn, den sie schreiben, nicht mehr ertragen kann.

Meine Empfehlung ist, nur die sogenannten radikalen Trolle zu blocken, die andere Meinungen gar nicht wahrnehmen und jede Möglichkeit zum Angriff nutzen. Mit diesen Menschen lohnt sich der Dialog nicht, damit vergeuden Sie nur Ihre Zeit (und Ihre Nerven).

Oft werden wir gefragt, warum wir Fakten überprüfen, denn die Radikalen können wir sowieso nicht überzeugen. Das ist wahr. Doch die Zielgruppe der Faktenprüfabteilung Re:Check sind nicht die Radikalen, sondern Menschen, die keine bestimmte Meinung haben und sich radikalisieren können, wenn sie nur einseitige Informationen erhalten. Wenn zum Beispiel eine Mutter nur Informationen über die schlechten Seiten von Impfungen liest und nichts über die guten Eigenschaften erfährt, ist es kein Wunder, wenn sie nach einer gewissen Zeit auch zu zweifeln beginnt, ob sie ihr Kind impfen soll. Wenn Eltern in einer Schule gegen die Errichtung eines 5G-Funkturms auf dem Dach des Gebäudes kämpfen, sind nicht diese lauten Eltern, die dagegen sind, unsere Zielgruppe, sondern die Mehrheit der übrigen Eltern, die wahrscheinlich nicht einmal weiß, wie die 5G-Technologie eigentlich funktioniert.

Wenn sich solche Leute unter Ihren Freunden in den sozialen Medien befinden, sprechen Sie mit ihnen und bieten Sie weitergehende Informationen zu den konkreten Fragen an. Es ist wichtig, zu wissen, wie man dies tun kann.

Am einfachsten ist es, unter einer entsprechenden Diskussion einen Link mit Erklärungen aus einer vertrauenswürdigen Quelle einzustellen. In Covid-19-Zeiten kann dies einer unserer Re:Check-Artikel oder ein erklärender Bericht aus den öffentlichen Medien sein, in dem Mediziner*innen über die Bedeutung von Impfungen oder den Sinn des Maskentragens sprechen. Selbst wenn die Freunde diese Informationen zunächst nicht anerkennen, so bleibt doch immer ein Teil davon im Gedächtnis. Möglicherweise liest zufällig eine dritte Person diese Information und findet sie nützlich. Kurz: es ist wichtig, dass in der konkreten Blase von Neinsager*innen eine gegensätzliche Meinung auftaucht.

Der nächste und viel schwierigere Schritt ist die Teilnahme an der Diskussion. Wenn Sie nicht mit großer Geduld ausgestattet sind und viel freie Zeit haben, würde ich diese Variante nicht empfehlen. Meistens führt sie zu wütenden Beschimpfungen, an deren Ende beide Seiten folgern, die anderen seien „Idioten, die nichts verstehen“. Wenn Sie doch ein wenig damit experimentieren möchten, empfehle ich Ihnen vorher die Lektüre von Don‘t Think of an Elephant des Sprachwissenschaftlers und ehemaligen Dozenten der kalifornischen Berkeley-Universität, George Lakoff. Darin erklärt er, warum Menschen mit radikal unterschiedlichen Auffassungen sich nicht hören und wie man versuchen kann, ein Gespräch zu initiieren. Etwa indem man Fragen stellt, geduldig zuhört und ein wenig scherzt. Wenn mir jemand sagt, die Regierung habe das Coronavirus erfunden, frage ich immer: Wer genau aus der Regierung hat es erfunden? Wie ist das passiert? Saß Ministerpräsident Krišjānis Kariņš am Tisch und beschloss eines Tages die Erschaffung und Verbreitung eines neuen Virus? Oder war es Gesundheitsministerin Ilze Viņķele? Je präziser die Fragen sind, desto besser, denn so kann man die Absurdität solch unbegründeter Behauptungen aufzeigen. Ich sage nicht, dass dieser Ansatz Skeptiker*innen immer überzeugt, aber er sät einen gewissen Gedankensamen. Die Hauptsache ist, dies freundlich zu tun. Glauben Sie mir: besonders im Internet, wo man keine Intonation hört und keine Gesichtszüge sieht, ist dies sehr schwierig, daher ist es einfacher, einen Link mit gegenteiliger Information zu posten und es dem Ermessen der Gegenseite zu überlassen, ob sie der dort geäußerten Information glaubt oder nicht.

Noch einige technische Tipps, die nützlich sein könnten

Erlauben Sie die Kommentarfunktion bei Ihren FB-Einträgen nur bestätigten Freunden. Diese Möglichkeit nutze ich schon seit einiger Zeit. Das bedeutet, dass meine Einträge öffentlich sind und alle sie teilen können, doch Kommentare dazu schreiben können nur meine Freunde. Das erspart mir die Zeit, die ich für das Löschen grober Kommentare oder das Blockieren von Trollen benötigen würde.

Wenn Sie an bestimmten FB-Gruppen teilnehmen, einigen Sie sich bereits im Vorfeld mit den Gruppenadministrator*innen über gemeinsame Regeln. So könnte man etwa in der Gruppe der Englischlehrer*innen nur Fachkräften den Zutritt gewähren und nach vorheriger Warnung Teilnehmer oder Teilnehmerinnen blockieren, die andere scharf angreifen.

Konkrete aggressive Kommentare können Sie auch bei FB melden. Wenn FB einen Verstoß erkennt, wird der entsprechende Eintrag gelöscht oder das Profil für eine bestimmte Zeit gesperrt. Nach welchen Kriterien FB dies tut, ist mir allerdings weiterhin ein Rätsel. Oft beschuldigen die Eigentümer*innen gesperrter Konten die Kolleginnen und Kollegen von Re:Check, doch dies ist unbegründet. Wir haben weder das Recht noch die technischen Möglichkeiten, etwas auf FB zu blockieren oder löschen. Dies tut ein separates Team, das die Einhaltung von Facebooks Regeln kontrolliert. Wir kennen diese Personen nicht einmal. In der ausländischen Presse wurde viel darüber geschrieben, dass es nicht verständlich ist, wieso manche Grobheiten von FB als Verstoß gesehen und gelöscht werden, andere jedoch nicht. FB selbst vermeidet Erklärungen mit der Begründung, wenn es die Prinzipien für die Löschung von Inhalten offenlegen würde, würden unmoralische Nutzer sich eine Taktik überlegen, um diese zu umgehen.

Wenn jemand Sie in den sozialen Medien verfolgt oder Ihnen mit körperlicher Gewalt droht, wenden Sie sich an die staatliche Polizei. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass sie handelt, doch das Gesetz sieht eine solche Möglichkeit vor. 2018 trat im Strafgesetz ein Paragraph über Verfolgung, auch im virtuellen Umfeld, in Kraft. Wenn Sie wirklich Angst um Ihr Leben haben, hat die Polizei das Recht, einen Strafprozess einzuleiten. Die staatliche Polizei konnte mir nicht mitteilen, ob und wie viele Strafsachen wegen Verfolgung im virtuellen Umfeld eingeleitet wurden. Auf Nachfrage bei Kolleg*innen aus den Struktureinheiten der Regionalverwaltung Riga bestätigte der Pressedienst der Polizei, dass in den letzten Jahren drei Kriminalprozesse wegen Morddrohungen oder Verfolgung abgeschlossen wurden; einer davon befindet sich in den Polizeiunterlagen, ein anderer bei der Staatsanwaltschaft. Trotz der geringen Fallzahl würde ich empfehlen, sich an die Polizei zu wenden, denn nur so kann auch bei der Polizei ein Verständnis und eine Praxis entstehen.

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