Kinder- und Jugendfilm, freigegeben ab 6 Das fliegende Klassenzimmer. Hommage an Erich Kästner

Erich Kästner / Das fliegende Klassenzimmer © Bavaria Film Lunaris Film

Samstag, den 09 März, um 3 Uhr

Goethe-Institut Peru

Regie: Tomy Wigand, Farbe, 114 Min., 2002

Das fliegende Klassenzimmer
Regie: Tomy Wigand,
Farbe, 114 Min., 2002
Eintritt frei


2024 ist der 50. Todestag Erich Kästners. Das fliegende Klassenzimmer ist eine aktualisierte Neuverfilmung des Jugendklassikers von Erich Kästner. Jonathan (12) kommt ins Internat der weltberühmten Thomaner in Leipzig. Die Mitschüler bringen dem Neuen schnell ihre Freundschaft entgegen. Sie finden das Manuskript eines Theaterstücks und wollen es aufführen, aber der Chorleiter verbietet es. Er selbst hatte es einst mit seinem Freund Robert verfasst, der aber war nach der Flucht seines Vaters aus der DDR in den Westen verschwunden. Die Kinder erfahren die Zusammenhänge, ihre Weihnachtsfeier wird dennoch ein voller Erfolg.


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Jonathan (12) wurde schon aus vielen Schulen gefeuert; jetzt soll er, nach dem Willen seines Adoptivvaters, im Internat der Thomaner, die in Leipzig einen weltberühmten Knabenchor unterhalten, eine neue, wohl letzte Chance bekommen. Am Flughafen adoptiert Jonathan einen ausgesetzten Hund; doch Tiere sind bei den Thomanern verboten. Die Mitschüler bringen dem Neuen schnell ihre Freundschaft entgegen und helfen ihm, den Hund in ihrem Geheimversteck, einem ausrangierten Eisenbahnwaggon unterzubringen. Allerdings taucht dort ein Fremder auf, Bob, der sich als Besitzer des Grundstücks ausgibt; er sichert den Knaben seine Hilfe zu, übernimmt den Hund und scheint über das Leben bei den Thomanern - vor allem in früheren Jahren - bestens Bescheid zu wissen.

Vor einer Fernsehaufzeichnung des Weihnachtsoratoriums entwenden externe, von der kleinen Mona angeführte Schüler des Thomaner-Gymnasiums die Noten und entführen einen von Jonathans Freunden. Nach einer Prügelei wird der Junge befreit, aber die Entführer haben die Noten verbrannt. So kommt es zu Problemen bei der Aufzeichnung und zum Konflikt mit dem Kantor Justus, dem Chorleiter, der schließlich Verständnis zeigt und die Geschichte einer Freundschaft erzählt: Als er noch ein Thomaner-Zögling war und wegen der Erkrankung seiner Mutter Probleme bekam, hatte ein Anderer für ihn den Arrest abgesessen.

Im Eisenbahnwaggon finden die Knaben das Manuskript eines Stücks: "Das fliegende Klassenzimmer". Sie wollen es an Stelle des antiquierten Krippenspiels aus der Feder des Direktors aufführen, aber Justus verbietet es. Er selbst hatte es einst mit seinem Freund Robert verfaßt, der aber sei nach der Flucht seines Vaters aus der DDR in den Westen, verschwunden, und Justus habe dafür büßen müssen. Die Kinder ahnen, dass dies der Fremde im Waggon sein muß, führen Justus hin, es kommt zum Wiedersehen der alten Freunde. Die Weihnachtsfeier wird doch noch ein voller Erfolg.

Tomy Wigand hat seiner sehr freien Adaption des gleichnamigen, 1932 entstandenen, von den Nazis verbotenen und 1954 von Kurt Hoffmann schon einmal verfilmten Kinderbuchs von Erich Kästner ein Zitat des Autors vorangestellt: "Wie kann ein Erwachsener seine Jugend so vollkommen vergessen, dass er eines Tages überhaupt nicht mehr weiß, wie traurig und unglücklich Kinder bisweilen sein können? Es ist nämlich gleichgültig, ob man wegen einer zerbrochenen Puppe weint, oder weil man, später einmal, einen Freund verliert." Der programmatische Satz scheint weniger auf ein kindliches Publikum zu zielen als auf Erwachsene: DAS FLIEGENDE KLASSENZIMMER gehört zu jenen Kinderfilmen, die für Kinder und ihre Eltern in gleicher Weise konzipiert wurden. Dafür spricht auch, dass die Autoren des Drehbuchs bei den Zuschauern einige Kenntnisse voraussetzen, die Kindern fehlen dürften; dies betrifft nicht nur die Bedeutung des Thomaner-Chors, sondern, weit mehr, die Vergangenheit der DDR, in der unter Umständen schon ein Titel wie der des Stücks, das Justus und Robert einst geschrieben hatten, als politische Provokation verstanden werden konnte. Um die Vorgeschichte der beiden Freunde zu verstehen, muß der Zuschauer auch wissen, dass die Bürger der DDR, bis auf wenige privilegierte Ausnahmen, nicht in den Westen reisen durften und das heimliche Verlassen des Staats als "Republikflucht" streng bestraft wurde und darunter in aller Regeln auch Angehörige zu leiden hatten.

Diese konsequente Verlegung des Romans in die Gegenwart schafft für seine Story andere, aktuellere Voraussetzungen und ist auch als Versuch zu verstehen, den Stoff zu befreien von den nach heutigen Maßstäben oft allzu deutlichen pädagogischen Botschaften Erich Kästners. Der "moralische Zeigefinger" des Autors ist nun vor allem im ausgeprägten Sentiment des Films zu spüren; diese Version von DAS FLIEGENDE KLASSENZIMMER zielt vor allem auf die Emotionen des Betrachters, und die möglichen Momente bitterer Ironie werden überlagert von einer mitunter zur Karikatur tendierenden Komik - am deutlichsten bei der Figur des Schuldirektors Kreuzkamm, der sich innerhalb des Gymnasiums von seinem Sohn mit "Herr Direktor" anreden läßt.

Vor allem aber neigt der Film zur Idealisierung: Die Internatsschüler wirken, jeder auf seine Art, wie kleine Hochbegabte, sie verhalten sich - wie heftig ihre Streiche und vor allem ihre Auseinandersetzungen mit den "Externen" auch aussehen mögen - fast bedingungslos ehrlich und vor allem unerschrocken moralisch. Manchmal wirkt dies fast wie in einem Märchenfilm, vor allem, wenn es um den grenzenlos guten und gerechten Thomaskantor Justus Bökh geht, der seinen Schülern mehr Verständnis und Zuneigung entgegenbringt, als es irgendein heute erwachsener Zuschauer wohl je am eigenen Leib erfahren durfte. Regisseur Tomy Wigand erzählt keine realistische Geschichte, sondern entwirft ein Wunschbild, das bezeichnenderweise unmittelbar vor Weihnachten spielt. Das Internat wird zu einer die Kinder schützenden Insel; die wirklich schmerzhaften Probleme der Kinder kommen von der Außenwelt ihrer Eltern.

"Es geht ums Erwachsenwerden", sagt Regisseur Tomy Wigand, "es geht darum zu lernen, eigenes Fehlverhalten einzugestehen und Stellung dazu zu beziehen. Der Film ist vor allem für Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 15 Jahren gemacht, aber auch deren Eltern werden sich daran erfreuen können. Im Zuge der Modernisierung von Kästners Roman haben die Autorinnen die Rolle der Mona ins Drehbuch geschrieben, DAS FLIEGENDE KLASSENZIMMER ist also keineswegs ein klassischer "Jungs-Film". Die Verhältnisse haben sich seit dem Entstehen des Romans geändert, wir wollten betonen, dass Mädchen heute in einer Gruppe genauso viel zu sagen haben wie Jungen und, wie in unserem Fall, diese auch anführen können."

Hans Günther Pflaum

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