Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts Wildes Herz

Jan „Monchi“ Gorkow & „Feine Sahne Fischfilet“ Foto: Eichholz Film

Mi, 18.12.2019

19:30 Uhr

Goethe-Institut Peru

Rock und Antifaschismus

Regie: Charly Hübner, Sebastian Schultz, Farbe, 94 Min., 2014-17
Dokumentarfilmpreis des Goethe-Institut 2017, Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm

 
„Bleiben oder gehen?“, so heißt ein Song von „Feine Sahne Fischfilet“, einer der erfolgreichsten deutschen Punkbands. Die Frage trifft ins Mark mehrerer Generationen ehemaliger Bürger der DDR. Das Herz der Band: Jan „Monchi“ Gorkow, dessen politischer Weg – von der zu Krawall und Randale bereiten Szene der Ultra-Fußballfans hin zu einer musikalischen Galionsfigur gegen den wachsenden Rechtsextremismus – auch ganz anders hätte verlaufen können. Das „Wilde Herz“ des Titels schlägt in einem zornigen, dreißigjährigen jungen Mann, der, physisch und emotional übergewichtig, den Sinn seiner Kraft und Stärke im aktuellen Antifaschismus gefunden hat.
 
  Jan „Monchi“ Gorkow
 
Ziemlich schrägt klingt Jan „Monchi“ Gorkow, wenn er in einem Tonstudio ohne hörbare Bandbegleitung einen Song gegen Rassismus aufnimmt. Und so sieht er auch aus: übergewichtig, Tattoos an den Beinen. Einst hatte er seiner Wut in der Ultra-Fanszene von Hansa Rostock freien, manchmal wohl zu freien Lauf gelassen, bis hin zum Polizeigewahrsam in Dortmund. Jetzt setzt er seinen Zorn sinnvoller um – als Frontmann der Band „Feine Sahne Fischfilet“, die es bis in die deutschen Charts geschafft hat. Begonnen hatten sie 2007 als Schüler, ihre ersten Lieder enthielten auch sexistische Texte, von denen sich die Gruppe später distanzierte, zumal sie beobachten mussten, dass zu ihren Konzerten in der nordostdeutschen Provinz immer mehr Neonazis erschienen. Vermutlich hat damit auch die Politisierung der Band begonnen: Sie wurden zu Kämpfern gegen Rassismus und gegen den vor allem in den neuen Bundesländern wachsenden Rechts-Extremismus – und dies so leidenschaftlich und provokant, dass sie 2013 vom Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommerns als „Linksextreme“ eingestuft und beobachtet wurden. Der Pfarrer Lothar König aus Jena, ebenfalls durch seinen Widerstand gegen rechts bekannt geworden, nennt „Feine Sahne Fischfilet“ hingegen eine „Christliche Ur-Band“.
 
WILDES HERZ verfolgt vor allem den Werdegang von Jan „Monchi“ Gorkow. Alte Super-8 Filmaufnahmen zeigen Szenen aus Jans Kindheit. Seine Mutter erzählt, dass er von Anfang an ein sehr lebendiges Kind gewesen sei, „immer auf Power, offen an allem interessiert“. Er ging zur „Christenlehre“; eine ehemalige Lehrerin preist, wie aufgeweckt der Junge war. Mit Musik hatte er damals nichts zu tun – er war ein Fußballnarr. Am Lagerfeuer unterhalten sich die Mitglieder der Band über die Anfänge, auch über den einstigen Spaß an der Pyrotechnik in den Fußballstadien. Jan war gerade erst 14 Jahre alt, als ihn seine Eltern in Dortmund abholen mussten, wo man ihn in Polizeigewahrsam genommen hatte. Die Eltern erklären nun verständnisvoll: „Er musste seine Grenzen austesten!“


 
Es gab Anschläge auf Jan und die Gruppe – Anschläge von rechts. Doch WILDES HERZ erzählt auch vom Kampf gegen die kulturelle Verödung in den ländlichen Gegenden Mecklenburg-Vorpommerns. Die Band hat sich im Lauf der Jahre immer weiter entwickelt, auch über allzu plakative Parolen gegen die „Faschos“ hinaus. Jan ist wohl kein Intellektueller, aber die Liedtexte stellen profunde Fragen: „Meine ganze Generation/ Jeder hier kennt die Frage schon / In Dauerschleife diese Zeilen: / Gehen oder bleiben? / Ein viel zu tiefer Sumpf / Viele Bekannte, Freundeskreis schrumpft / Sind unsere besten Jahre jetzt schon um?
 
Im Februar 2015 trat „Feine Sahne Fischfilet“ in Dresden auf. Einer ihrer Songs richtete sich polemisch gegen die Polizei: „Helme warten auf Kommandos“, bereit, auf linke Demonstranten einzuschlagen. Jan gesteht: der Text sei eher aus dem Gefühl der Hilflosigkeit heraus entstanden, aus dem Gefühl, die Polizei stehe rechts. Dazu gehörte auch die Erfahrung von Rostock-Lichtenhagen, als ein rechter Mob ein Flüchtlingsheim belagert und in Brand setzte; die Polizei hatte sich aus nie ganz geklärten Gründen zurückgezogen und vietnamesische Flüchtlinge sich selbst überlassen. Reinhard Müller, Leiter des Verfassungsschutzes in Mecklenburg-Vorpommern, hält dagegen: Wer, wie „Feine Sahne Fischfilet“, das staatliche Gewaltmonopol in Frage stelle, habe eine Grenze überschritten und müsse überwacht werden. Mit Hilfe eines Anwalts erreicht die Band das Ende der Observationen. Die Musiker reagieren mit Humor, bedanken sich für die Werbung, die sie durch die Aktivitäten des Verfassungsschutzes bekommen hätten und übergeben einen Geschenkkorb. Der Pressesprecher, der das Präsent entgegennimmt, reagiert mit Humor und überraschend souverän.
 
Mit dem Aufkommen der rechten Partei AfD ergibt sich für Jan und seine Freunde eine neue Situation: Ein Feind organisiert sich, zeigt sich mit seinen Strukturen. Für den Wahlkampf 2016 in Mecklenburg-Vorpommern organisiert Jan mit „Feine Sahne Fischfilet“ eine Tour durch das Land, er klebt Plakate, organisiert Konzerte und ein Fußballturnier, an dem auch viele Flüchtlinge teilnehmen. Er handelt nicht naiv, sondern ist sich dabei der kommenden Konflikte durchaus bewusst: „Natürlich lassen wir die Leute nicht verrecken“ - trotz aller Probleme, die es geben wird. Das Wahlergebnis ist dennoch eine schmerzhafte Enttäuschung, denn die AfD wird im Landtag zweitstärkste Partei. Ist es vor diesem Hintergrund ein Erfolg, dass der Verfassungsschutz des Bundeslands endlich erkannt hat, dass die größte Gefahr für die Demokratie vom Rechtsextremismus ausgeht?
 
 
Biografie
 
Charly Hübner wurde 1972 in Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern) geboren. Er sammelte seine ersten Bühnenerfahrungen als Schauspieler und Regie-Assistent am Landestheater Neustrelitz. Von 1993 bis 1997 studierte er an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin und wirkt gleichzeitig in Inszenierungen am Berliner Maxim-Gorki-Theater und an der Schaubühne mit. Nach dem Studienabschluss erhielt er Engagements in Frankfurt am Main und in Berlin, bevor er sich auf seine Film- und Fernseh-Karriere konzentrierte. Größere Rolle spielte er u.a. in DAS LEBEN DER ANDEREN, in der Krimiserie POLIZEIRUF 110, in BORNHOLMER STRASSE, VOR DER MORGENRÖTE und in MAGICAL MYSTERY ODER DIE RÜCKKEHR DES KARL SCHMIDT. WILDES HERZ ist seine erste Arbeit als Regisseur.
 
Filmografie (nur Regie)
 
2014 – 2017        WILDES HERZ
 
Hans Günther Pflaum, 01.03.2018

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