Gregor Sander
Donnerstag, 29.9.16

Ich lese gemeinsam mit Alhierd im unabhängigen Buchladen von Minsk im Kulturzentrum „Kurzes U“. Benannt nach einem Buchstaben, den es nur in der belarussischen Sprache gibt. Alle sprechen in diesem Land Russisch, aber viele auch noch Belarussisch. Ihar Lohwinau, der den Buchladen betreibt, führt auch noch einen Verlag in einem winzigen fensterlosen Hinterzimmer des Geschäfts. Seine Lizenz hat der Verlag in Litauen bekommen und hier erscheinen zum Beispiel die Bücher von Swetlana Alexijewitsch auf Belarussisch, die es bisher nur auf Russisch in Minsk zu lesen gab. Vielleicht sind die Behörden auch bald bereit, dem Verlag eine belarussische Lizenz zu geben. Es taut im politischen System des Landes. Zumindest ein wenig. Der unabhängige Buchladen musste noch vor kurzem 60 000 Euro Strafe zahlen, für eine angebliche fehlende staatliche Zulassung. Eigentlich ein Todesurteil, aber es fanden sich viele Spender im ganzen Land, die ein Überleben sicherten. Für jeden leuchtet jetzt ein Stern unter der Decke des Ladens. Es ist ein Vergnügen hier vor zwanzig Leuten zu lesen, die viel über meine DDR-Vergangenheit wissen wollen, aber auch offen über die derzeitige politische Situation in ihrem Land reden, die zur Zeit hoffnungsvoll deprimierend ist.

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