Eszter Pálfy empfiehlt
Ein Mann seiner Klasse

Ein Mann seiner Klasse, Christian Baron © Claassen Verlag, Berlin, 2020 Christian Baron wurde 1985 in Kaiserslautern als zweites von vier Kindern einer Arbeiterfamilie geboren; sein Vater war Möbelpacker, seine Mutter Reinigungskraft. Mit seinem Debütroman Ein Mann seiner Klasse setzt er sich zum Ziel, dieses prägende soziale Milieu zu verarbeiten – in erklärtermaßen autobiografischer Form: Er schreibt die Geschichte seiner eigener Familie und Kindheit, mit der Gestalt des alkoholsüchtigen und gewalttätigen Vaters im Mittelpunkt.

Paradoxerweise sind die Autor*innen belletristischer Werke, die von unteren sozialen Klassen handeln, zwangsläufig Außenstehende, zumal den Protagonist*innen dieses Milieus die Sprache fehlt, von den Fragen und Problemen, die sie bewegen, literarisch zu erzählen – Außenstehende, die entweder ohnehin nicht aus diesen Schichten stammen, oder aber solche, die sich durch gesellschaftlichen Aufstieg, vor allem durch Lernen weit von ihrem ursprünglichen Milieu entfernt haben und dieses somit aus einer neuen Perspektive betrachten können. Christian Baron erhebt das Wort aus letzterer Position, und da er sein eigenes Leben und seine eigenen Erlebnisse erzählt, ist sein Erzählton denkbar authentisch: ob er nun von der betrunken-aggressiven Art des Vaters, von der Krankheit der Mutter oder von der Tante, bei der die Kinder schließlich aufwachsen, berichtet.

Der Ich-Erzähler des Romans beschwört Kindheitserinnerungen herauf und präsentiert diese zugleich aus der Perspektive eines nachträglich deutenden Erwachsenen. Dank der zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechselnden Erzählweise untersucht dieses Buch auch, welche Spuren eine in der Arbeiterklasse erfolgte Sozialisation in der neuen gesellschaftlichen Rolle eines Intellektuellen hinterlassen kann.

Christian Baron hat mit präzisem Stil einen erschütternden Roman geschaffen, der gekonnt zwischen zeitlichen Ebenen hin- und herwechselt – eine Lektüre, die man liebgewinnen kann. Er berührt emotional, vermeidet aber zugleich mit feinem Spürsinn jedwede Art von Pathos und Selbstmitleid. Eine weitere Stärke des Romans ist, dass die Protagonist*innen nicht „schwarz-weiß“ dargestellt werden: Der Vater wird nicht zur Inkarnation des Bösen, sondern eine im Grunde wohlwollende Figur, der es aber nicht gelingt, das eigene Leben zu gestalten. In diesem Zusammenhang meine ich die wichtigste Fragestellung des Romans entdeckt zu haben: Ob es nun die eigenen, individuellen Entscheidungen sind, die den Lebensweg und das Schicksal eines Menschen lenken, oder ob die soziale Zugehörigkeit gewisse Konturen schon von vornherein absteckt. In seinem Roman hält Baron Letzteres für entscheidender. Er sieht die Tragödie seines Vaters eindeutig in den Widersprüchen seiner sozialen Stellung begründet; darauf spielt auch der Titel des Romans an: Ein Mann seiner Klasse.

Claassen Verlag

Christian Baron
Ein Mann seiner Klasse
Claassen Verlag, Berlin, 2020
ISBN 978-3-54610000-7
288 Seiten

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Rezensionen in den deutschen Medien:
Perlentaucher.de
Die Zeit
Frankfurter Allgemeine Zeitung auf Bücher.de