Projekt zum Lernverhalten
Jugendliche lernen anders

Jugendliche sind eine spezielle Zielgruppe.
Jugendliche sind eine spezielle Zielgruppe. | Foto: stockbroker © 123RF

Jugendliche lernen – nicht nur Sprachen – anders als Erwachsene. Ein Forschungsprojekt soll Probleme identifizieren und Lehrer unterstützen. Ein Gespräch mit der Projektleiterin Dr. Dorothé Salomo.

Frau Dr. Salomo, warum finden es viele Lehrer schwierig, Jugendliche zu unterrichten?

Jugendliche sind eine spezielle Zielgruppe: Sie sind vergleichsweise lustlos und passiv, sie „vergessen“ ihre Hausaufgaben und lassen sich im Unterricht schnell ablenken. Das hört man von Lehrern aus vielen Ländern. Der Unterschied zu Erwachsenen ist aber auch, dass Jugendliche lernen müssen. Erwachsene tun es in der Regel freiwillig. Sie brauchen Deutsch für den Beruf oder Urlaub. Jugendliche aber wissen oft nicht, warum sie die Sprache lernen und was sie später damit anfangen können. Dazu kommt, dass es in vielen Ländern kein Studium für Deutsch als Fremdsprache (DaF) gibt. Viele Deutschlehrer haben Germanistik studiert und ihnen fehlt dadurch der pädagogische Teil der Ausbildung.

Wie ist Ihr Forschungsprojekt aufgebaut?

Es besteht aus verschiedenen Teilen. Zuerst war es wichtig herauszufinden, welche Probleme die Lehrer haben und welche Unterstützung sie sich wünschen. Dafür bin ich im vergangenen Jahr viel gereist. Ich habe Schulen in Ländern wie Ägypten, Brasilien, Indonesien, Polen oder Kanada besucht und mir den Unterricht und die Interaktion zwischen Lehrern und Schülern angesehen. Darüber hinaus erstelle ich eine empirische Studie. Dazu habe ich auf meinen Reisen Lehrer und auch Schüler mit einem Fragebogen befragt. Und dann gibt es noch den Teil der Literaturrecherche, in dem ich schon vorhandene wissenschaftliche Studien zum Lernverhalten von Jugendlichen aus verschiedenen Ländern zusammenfasse.

Sie haben den Deutschunterricht in den unterschiedlichsten Ländern analysiert. Ähneln sich die Probleme?

Ja, das fand ich erstaunlich. Weltweit klagen die Lehrer über passive Schüler, die sich wenig am Unterricht beteiligen und nicht vorbereitet sind. Ein Unterschied besteht aber darin, wie intensiv diese Probleme auftreten und wie die Lehrer damit umgehen. In Ländern wie China oder Kamerun toleriert es der Lehrer, wenn in der letzten Reihe ein paar Schüler den ganzen Unterricht durch schlafen. In einem Land wie den Niederlanden geht das dagegen gar nicht.

Und welche Schwierigkeiten sind unterschiedlich?

Zum Beispiel die Erwartungen der Schüler an den Deutschlehrer. In der westlichen Welt erwarten sie sehr viel. Sie haben in ihrer Freizeit viel Input und einen regen Umgang mit Medien. Dementsprechend muss der Unterricht sein. In Südostasien oder in Afrika muss er dagegen nicht so spektakulär sein. In Kamerun sind die Schüler oft froh, wenn sie überhaupt zur Schule gehen können und machen fast alles begeistert mit, was der Lehrer vorschlägt. Das Interesse der Schüler wachzuhalten, bedeutet also in Europa etwas anderes als in Südostasien oder Afrika. Ein anderer Faktor, der sich weltweit unterscheidet, ist die Klassenstärke. Wir gehen in Europa von 25 bis 30 Schülern aus. In Kamerun sind teilweise bis zu 150 Schüler in einer Klasse – mit einer Lehrerin. So eine Lehrerin zu beraten ist schwieriger, aber auch sie soll in dem Projekt berücksichtigt werden.

Gibt es auch Probleme, die spezifisch mit Deutsch zu tun haben?

Ich glaube, die meisten sind allgemein schulisch. Schule ist in diesem Alter einfach nicht spannend. Das Deutschlandbild ist allerdings wichtig für die Motivation. Ich habe auf meinen Reisen die Erfahrung gemacht: Je weiter ein Land weg ist, desto interessanter wird Deutschland. Es scheint dann exotisch und spektakulär. Ich sehe das in den Fragebögen: Schüler aus Europa haben meistens wenig Interesse, Jugendliche aus Südostasien sind ganz verrückt nach Deutschland und wollen Deutsch lernen.

In welcher Form werden die Ergebnisse präsentiert?

Wir werden eine Internetseite zum Lernverhalten von Jugendlichen gestalten, auf der auch die Ergebnisse der empirischen Studie veröffentlicht werden. Auf dieser Seite können sich Lehrer und andere Interessierte darüber informieren, wie Jugendliche lernen und wie man den Unterricht danach gestalten kann. Außerdem soll das Material als Grundlage für Aus- und Weiterbildungsangebote zum Thema Jugendliche am Goethe-Institut dienen.

Haben Sie schon erste Erkenntnisse, wie man Jugendliche besser unterrichten könnte?

Am wichtigsten ist es, ihre Lebenswelt zu verstehen. Ich möchte Lehrer für die Veränderungen, die in der Jugendphase stattfinden, sensibilisieren und kleine, aber entscheidende Hinweise geben, wie man den Unterricht besser steuern kann. Jugendliche durchlaufen beispielsweise große körperliche Veränderungen. Zum Beispiel wandelt sich ihr Biorhythmus. Sie werden abends nicht so schnell müde und kommen morgens nicht aus dem Bett. Dann hängen sie in der Schule durch, vor allem in den ersten beiden Stunden. Wenn Lehrer das wissen, schreiben sie den großen Test nicht morgens, sondern erst nachmittags.

Das wäre sehr verständnisvoll.

Ja, aber das muss man erst einmal wissen. Noch ein Beispiel: Durch den Umbau des Gehirns in der Pubertät können sich Jugendliche schlecht konzentrieren und lassen sich leicht ablenken. Darauf sollten sich Lehrer einstellen und zum Beispiel eine Aufgabe nicht nur mündlich formulieren, sondern gleichzeitig an die Tafel schreiben: „Seite 25, Aufgabe 3“. Wenn das an der Tafel steht, kann ein Schüler, der gerade unkonzentriert war, auch noch zwei Minuten später mit der Aufgabe beginnen. Es gibt einige kleine Dinge, die man machen kann, um das temporäre „Defizit“ im Gehirn von Jugendlichen auszugleichen. Dann steigt auch deren Motivation, weil sie mitmachen können und wissen, was passiert.

Dr. Dorothé Salomo leitet das Projekt „Jugendliche lernen anders“ und erforscht im Auftrag des Goethe-Instituts das Lernverhalten von Jugendlichen. Für ihre Studie hat sie Schüler und Lehrer auf verschiedenen Kontinenten befragt.