Interview mit Designer Damur Huang
„Ich bin jetzt ein Teil von Berlin“

Interview mit Designer Damur Huang
Foto: © Damur Huang

Der taiwanische Mode-Designer Damur Huang gründete 2015 in Berlin das Mode-Label DAMUR – praktisch ohne Deutsch zu können. Ein Interview über Kreuzberg, den KitKatClub und den Konflikt zwischen Hartz IV und Haute Couture.

Herr Huang, Sie haben 2015 in Berlin das Mode-Label DAMUR gegründet. Die deutsche Hauptstadt ist nicht gerade als Mode-Mekka bekannt. Warum haben Sie Ihr Label in Berlin gegründet?
 
Das war Zufall. Ich habe in der Oberschule angefangen, Französisch zu lernen. Deswegen dachte ich eigentlich immer, dass ich in Paris oder Brüssel leben würde. Aber nach einigen Jahren in Belgien hatte ich genug von der frankofonen Welt. Ich suchte nach einem Neustart, sozusagen nach einem neuen Kapitel in meinem Leben. Ich machte eine Woche Urlaub in Berlin, ohne etwas über die Stadt zu wissen. Bei der Gelegenheit schickte ich auch ein paar Bewerbungen an Berliner Designer. Dann bekam ich, ganz unerwartet, einen Termin für ein Bewerbungsgespräch. Und dann bekam ich tatsächlich einen Job bei dem deutschen Designer Dawid Tomaszewski. Also zog ich nach Berlin. Als ich dann später mein eigenes Label gründete, war es für mich selbstverständlich, hier zu bleiben.
 

Interview mit Designer Damur Huang © Foto: © Damur Huang Interview mit Designer Damur Huang Foto: © Damur Huang

Ihr Studio liegt in Kreuzberg, nur unweit des Görlitzer Parks, dem größten Drogenumschlagplatz der Stadt. Ein guter Standtort für ein Mode-Label?
 
Ich bin ein pragmatischer Mensch. Ich fragte damals einen Bekannten, der in einer Immobilienfirma arbeitet, nach Empfehlungen für ein Studio. Er machte uns genau zwei Vorschläge: Eine Immobilie in der Nähe des KaDeWe in Charlottenburg. Und die andere hier in Kreuzberg. Ich besichtigte beide Orte. Dann war für mich klar: Kreuzberg ist unfertig und passt viel besser zu mir. Natürlich muss ich zugeben, dass die Entscheidung aus ökonomischer Sicht ein Fehler war. Hier in der Reichenberger Straße gibt es viele Arbeitslose. Und Hartz IV und High Fashion passen einfach nicht zusammen.
 
Gibt es Konflikte?
 
Im vergangenen Jahr. Ein Mal hat uns jemand einen Brief an die Tür geklebt, auf dem stand: „Hipsterscheiß! Haut ab, sonst rasieren wir eure Bärte.“ Das fanden wir ziemlich lustig, denn bei uns trägt niemand einen Bart. Ein anderes Mal, wir hatten gerade eine Kampagne mit dem Titel „Life is boring enough“ ins Leben gerufen, hängte jemand einen Zettel an die Tür, auf dem stand: „You are boring enough.“ Aber ich bereue die Standortwahl nicht. In Kreuzberg komme ich auf neue Ideen. Hätte ich mein Studio in Charlottenburg eröffnet, würde ich wahrscheinlich nur darüber nachdenken, in welcher Farbe ich meine nächste Kollektion gestalte.
 
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Foto: © Damur Huang
War es also, alles in allem, eine gute Entscheidung, nach Berlin zu kommen?

 
Ja, absolut. Sicher ist Berlin für Designer ein hartes Pflaster. Berlin ist arm, aber sexy; hier will man für einen Mantel nicht mehr als 150 Euro ausgeben. Das hat mich anfangs natürlich verwundert. Ich komme von der Modeschule La Cambre, einer Hochburg der Haute Couture. Ich habe gelernt, Jacken zu machen, die mehrere Tausend Euro kosten. Und ich finde, ich habe mich schon angepasst. Ich verkaufe zum Beispiel einen Anzug aus Seide für rund 600 Euro. Das ist so gut wie nichts, wenn man die Material- und Produktionskosten berücksichtigt. Aber in Berlin ist das den meisten Leute immer noch zu viel. Für mich fühlt sich das an, als ob die Berliner noch in den Neunzigerjahren lebten und nicht erwachsen werden wollten. Aber das ist auch schon mein einziges Problem. Alles andere an Berlin mag ich. Ich mag das Essen; ich finde, man hat hier so viel Auswahl wie sonst nirgendwo in Europa. Außerdem ist das Berliner Leben sehr komfortabel. Die Supermärkte haben bis nachts geöffnet und am Wochenende fahren S- und U-Bahn rund um die Uhr. Berlin ist die perfekte Stadt für junge Leute. 
 
Hat Berlin mit seinem Arm-aber-sexy-Charme Ihre Mode verändert?
 
Definitiv. Das Leben in Berlin ist verrückter und vielfältiger als in Paris oder New York. Es geht hier viel um Sex, Drogen und Musik. Es gibt zum Beispiel eine ausgeprägte Fetisch-Kultur. Man kann sich hier seine eigenen Subkulturen suchen und in ihnen abtauchen. Ein Beispiel: Wenn man in Berlin die S-Bahn nimmt, trifft man auf so viele unterschiedliche Kleidungsstile. Da sitzen Arbeitslose neben Menschen, die sich super verrückt anziehen, die dann wiederum neben Menschen sitzen, die sich nur in Schwarz kleiden. Selbst wenn da ein Nackter säße, würde es niemandem etwas ausmachen. Es stört einfach niemanden, was du anhast und was du machst. Einmal war ich morgens auf dem Weg zur Arbeit und bin gegen acht Uhr mit der S-Bahn am Bahnhof Friedrichstraße vorbeigekommen. Plötzlich sah ich einen Mann, der am Bahnsteig neben den Mülleimer pinkelte, zur Hauptverkehrszeit. Absolut surreal! In Berlin werden ständig Regeln gebrochen, das macht die Stadt sehr spannend. Es gibt hier auch keinen dominanten Stil. In anderen Großstädten gibt es einen Kleidungsstil, der das Erscheinungsbild dominiert. Meistens orientiert er sich an der Haute Couture.
 
Interview mit Designer Damur Huang
Foto: © Damur Huang
Wie zeigt sich dieses Lebensgefühl in Ihren Kollektionen?

 
Meine dritte Kollektion heißt „#IAMSLUT“ und sie ist ganz deutlich von Berlin geprägt. Sie ist zum Teil unisex, kann also von Männern und Frauen getragen werden. In ihr geht es darum, sich selbst in seinem Anderssein zu akzeptieren. In meinen ersten beiden Kollektionen sieht man noch ganz deutlich den französischen Einfluss. Teure Stoffe, schöne Schnitte, Eleganz und Minimalismus. In meiner dritten Kollektion akzeptiere ich mich sozusagen als Berliner. Ich bin jetzt ein Teil von Berlin. Die Stadt bietet große sexuelle Freiräume, es gibt jedes Jahr einen Christopher Street Day, Gender und LGBT sind hier wichtige Themen. Jemand, der hetero ist, ist fast schon in der Minderheit. In Berlin kann man eine Slut sein und es stört niemanden. Man kann hier in Fetisch-Kleidung herumlaufen und niemand sagt ein Wort. Und diese Freiheit ist so wertvoll! Ich komme ja aus Taiwan und bin chinesisch erzogen worden. Freiheit gehört nicht zu den Stärken chinesischer Erziehung. Es geht, im Gegenteil, um Regeln und deren Einhaltung.
 
Welche Rolle spielt Ihre taiwanische Erziehung für Ihre Mode?
 
Ich glaube, ich bin nicht besonders typisch taiwanisch. Ich bin zum Beispiel sehr direkt. Aber ich denke, es gibt ästhetische Prägungen, zum Beispiel, was die Farbwahl angeht oder auch die Betonung der Silhouette. Ich arbeite zum Beispiel gerne mit Rot, einer Farbe, die in der chinesischen Kultur als glücksverheißend gilt. Und ich bekomme immer wieder gesagt, dass der Schnitt meiner Kollektionen chinesisch anmutet. Ich kann das, ehrlich gesagt, nicht beurteilen. An der La Cambre habe ich westliche Mode studiert. Aber chinesische Ästhetik scheint mir im Blut zu stecken.
 
Ist Mode ein Spiegel unserer Gesellschaft? Oder greift Mode auch in unsere Gesellschaft ein?
 
Mir geht es vor allem um zwei Aspekte. Mit DAMUR will ich zeigen, wie unser Leben sein könnte. Es geht also um Vorstellungskraft und Visionen. Andererseits will ich mit den Menschen in Kontakt treten. Bevor wir die Kollektion „#IAMSLUT“ vorstellten, machten wir zum Beispiel eine Online-Umfrage. Wir fragten auf Instagram: „Fändest Du es gut, wenn DAMUR eine Kollektion mit dem Titel '#IAMSLUT' starten würde?“ Die meisten Männer fanden das eine super Idee. Aber damals war die #MeToo-Debatte gerade entflammt. Wir diskutierten also mit unseren Followern darüber, ob der Titel der Kollektion unangemessen sei und als sexistisch empfunden werden könne. Als Slut werden ja ausschließlich Frauen bezeichnet. Männer hingegen werden kaum dafür verurteilt, wenn sie häufig die Partner wechseln. Wir blieben dann bei dem Begriff Slut, weil wir ihn neu interpretieren und auf beide Geschlechter beziehen. Gerade vor ein paar Tagen haben wir dann die Rückmeldung einer Frau bekommen, die uns sagte, dass sie es befreiend finde, sich selbst als Slut zu bezeichnen, sozusagen als Selbstermächtigung.
 
Interview mit Designer Damur Huang © Foto: © Damur Huang Interview mit Designer Damur Huang Foto: © Damur Huang

Berlin versucht seit Jahren, Anschluss an die Mode-Metropolen Paris, Mailand und New York zu finden. So richtig will das aber nicht gelingen. Woran liegt's?
 
In Berlin lässt sich relativ gut leben. Zehn Euro am Tag oder 1000 Euro im Monat reichen für ein gutes Leben. Das ist in Paris oder New York unmöglich, dort ist der ökonomische Druck viel größer. Berlin ist eine kreative Stadt und berühmt für sein Clubleben. Für den KitKatClub, das Berghain und Techno. Aber sobald es ums Geld geht, wird es schwierig. Man könnte sagen: Das Leben hier ist ein bisschen zu einfach. Die Leute sind ein bisschen zu bequem geworden. Berlin ist eine magische Stadt, in der man träumen kann. Aber Träumen ist nicht genug. Irgendwann muss man auch aufwachen. Das Potential ist also noch enorm groß. 

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