Konzert Nils Wogram Root 70

Root 70 © Martin von Mauschwitz

Fr, 23.09.2022 –
Sa, 24.09.2022

BAM - Balkan Academy of Music

Zwei Konzerte am 23. und 24. September um 21:00 Uhr im BAM-Klub Belgrad

Ein starker Baum hat viele Wurzeln. Die Jazz-Band Root 70 feiert anno 2020 ihr zwanzigjähriges Bestehen. Diesen Umstand verdankt sie einer ganzen Reihe von Tatsachen. Posaunist Nils Wogram, Saxofonist Hayden Chisholm, Bassist Matt Penman und Drummer Jochen Rückert bilden eine der stabilsten Formationen der Jazzgeschichte. Zwei Jahrzehnte in unveränderter Besetzung zu musizieren, ist nicht nur an sich schon bemerkenswert, sondern im Fall von Root 70 besonders beeindruckend, weil die Band nicht den einfachsten Weg gewählt hat. Doch fangen wir am Anfang an, als sich vier junge Musiker entschlossen, ein Stück ihres Pfades gemeinsam zurückzulegen.

Im Mai 2000 gab Root 70 das erste Konzert unter diesem Namen auf dem MoersFestival. Dass vier Persönlichkeiten, die nicht nur auf ihren Instrumenten, sondern auch als musikalische Charaktere derartig starke Individualisten sind, dennoch einen höchst symbiotischen Bandsound erzielen, ist ungewöhnlich. Die vier Protagonisten fühlen sich über ein ähnliches musikalisches Wertesystem miteinander verbunden und einer vergleichbaren Grundästhetik verpflichtet. Der Grundstein für die gemeinsame Trasse war also gelegt. „Ebenso wichtig ist aber, dass wir uns gegenseitig machen lassen“, postuliert Wogram. „Ich erinnere mich an diverse Situationen, in denen ich bei meinen Kompositionen dem Impuls nachgeben wollte zu sagen, Jochen, kannst du mal etwas lauter spielen, oder Hayden kannst du da mal mehr Gas geben. Aber dann dachte ich mir stets, die anderen haben ja ihren eigenen Charakter, und dieser Charakter macht den Bandsound aus. Die ästhetische Kontrolle jedes einzelnen Musikers ist sehr hoch. Jeder weiß, was er spielen kann und will bzw. nicht kann oder will. Das verbindet sich mit einem tiefen Respekt für die jeweils anderen drei Musiker. Es gibt kein Muss, keine Verpflichtung, aber alle freuen sich, wenn wir als Root 70 wieder zusammenkommen. Alles basiert immer noch auf Freiwilligkeit. Das Geheimnis besteht darin, dass jeder diese Freiwilligkeit für sich selbst nutzen und schätzen kann.“



Einen Masterplan oder formulierten Traum hat es bei Root 70 nie gegeben. Rein musikalisch wollte die Band eine Art von Sophistication erlangen. Ihre Fertigkeiten als Musiker wollten sie in eine Musik mit Charakter 2 umsetzen, die nicht nur einfach gut gespielt ist. „Wir waren ernsthaft in der Umsetzung unseres Anspruchs, wollten uns selbst aber nicht allzu ernst nehmen“, schätzt Wogram es rückblickend ein. Wahrscheinlich war das der Grund, dass der Musik von Root 70 bei allem Tiefgang immer auch eine heitere Leichtigkeit eigen war. Fernab von jedem Business-Plan hat man sich über gute Angebote gefreut, aber nie über den berühmten nächsten Schritt nachgedacht. „Die Inhalte standen immer im Vordergrund. Sicher haben wir auch darüber diskutiert, wie wir mehr Publikum ziehen könnten, aber diese Frage stand nie in Konkurrenz zur Musik. Deshalb haben wir immer wieder Dinge gewagt, die unter kommerziellen Gesichtspunkten eher kontraproduktiv waren. Es war uns wichtig, die Hörerschaft zu überraschen.“

Nicht zuletzt gelang es Root 70 auch, sich selbst mit immer neuen Konzepten zu überraschen. Womit wir bei einem weiteren Punkt der bandinternen Überlebensstrategie sind. Anfangs begnügte man sich damit, den sich aus dem Charakter der Musiker ergebenden Grundsound als konzeptionelles Terrain zu deklarieren. Doch nach den ersten drei Alben setzten sich Wogram und Chisholm zusammen und erstellten eine Liste von Themen, die sie gern umsetzen wollten. So ging die Band zu Konzeptalben über, bis es auf „Luxury Habits“ sogar zum Konzept wurde, kein Konzept zu haben. Für die Konzeptalben nennt Wogram zwei Gründe. „Die Vermeidung von Beliebigkeit gab uns einen konzeptionellen Rahmen, der uns nicht eklektisch abschweifen ließ. Diese Fokussierung war beim Komponieren und Programmieren hilfreich. Der andere Grund war die genaue Beschäftigung mit einem Thema. Wir wollten nicht nur an der Oberfläche kratzen, sondern in die Tiefe zu gehen. Uns reizte die Frage, wie man innerhalb bestimmter Grenzen Freiheit ausloten und finden kann.“

War Köln anfangs eine Art Epizentrum für Root 70, liegt mittlerweile eine große räumliche Distanz zwischen den Musikern. Wogram wohnt in der Schweiz, Chisholm in Irland, Rückert und Penman in New York. Logistisch ist dies mit Herausforderungen verbunden, die nicht immer leicht zu bewältigen sind, doch an die Stelle einstiger Spontaneität im Zusammentreffen tritt heute der bedingungslose Wille, auch über weite Distanzen miteinander in Einklang zu treten. Was die vier Musiker im Ursprung zusammengeführt hat, verbindet sie auch heute noch. Root 70 ist mehr als eine musikalische Institution, eine auf acht Alben dokumentierte Erfolgsgeschichte, mehr als eine von einer Million Bandbiografien, die sich fast alle gleich lesen. Root 70 ist eine Wirklichkeit gewordene Utopie von der Vereinbarung der Gegensätze, ohne den individuellen Anspruch jedes einzelnen Teils des Ganzen zu korrumpieren.
 

Diskographie

  • Root 70 (die erster CD der Band); 2001 (2nd Floor)
  • Getting Rooted; 2003 (Enja, Werner Aldinger)
  • Fahrvergnügen; 2006 (aufgenommen im Avatar Studio New York, Intuition, jetzt NWOG Records)
  • Root 70 on 52nd 1/4 Street; 2007 (aufgenommen im Funkhausstudio Nalepastrasse Berlin und die erste Produktion mit drei Mikros auf Analog Band, Intuition, jetzt NWOG Records)
  • Listen to your Woman; 2010
  • Riomar; 2013 (die einzige Aufnahme mit Gastmusikern und Streichern)
  • Wise Men Can Be Wrong; 2015 (die einzige Veröffentlichung mit Jazz Standards)
  • Luxury Habits; 2017

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