Atlas of Mediterranean Liquidity
Wasser verbindet: Partizipative Kunst in der Negev-Wüste

Negev Wüste mit Beduinen und Ziegen
Foto © Dan Farberoff

Das Künstlerkollektiv „Common Views” forscht, arbeitet und schafft seit 2019 partizipative Kunstinstallationen in der israelischen Wüste. Jetzt kann man die Ergebnisse ihrer Arbeit in einer interaktiven digitalen Karte erleben, die sie für den „Atlas of Mediterranean Liquidity” entwickelt haben. Durch das Prisma des Wassers setzt sie das kulturelle Erbe der Beduinen in Beziehung zur Stadt Arad.

Von Netta Ahituv

Zwei Gemeinschaften teilen denselben Wüstenraum, den Negev. Die eine lebt in der Stadt Arad, die andere führt seit jeher ein nomadisches Leben und lebt in provisorischen Unterkünften in der Weite der Wüste. Ihr Verhältnis zum Wasser ist grundlegend unterschiedlich, wie eine künstlerische Intervention von Dan Farberoff und David Behar-Perahia zeigt: Dazu nahm das Künstlerduo einen der typischen Plastikbehälter der Beduinen, füllte ihn mit Wasser aus einer aktiven Zisterne im Kannaim-Tal, die den Beduinen zur Wasserversorgung ihrer Herden und zur Bewässerung dient, und trug ihn auf dem Kopf zur Stadt Arad hinauf. Nach einer Stunde und einer Strecke von vier Kilometern erreichten sie den Country Club Arad, wo sie das Wasser aus dem Behälter in das Schwimmbecken schütteten. Um das gesamte Becken auf diese Weise zu füllen, wären 17 Jahre Fußmarsch von der Zisterne im Kannaim-Tal bis nach Arad erforderlich. Diese Aktion und die Gedanken, die sie über die unterschiedliche Wahrnehmung von Wasser der beiden Gemeinschaften aufwirft, wecken ein neues Bewusstsein für Wasserressourcen.
 

Für uns spiegelt das die Unterschiede zwischen einer Bevölkerung, die von knappen Ressourcen lebt und daher sehr sparsam mit dem wenigen vorhandenen Wasser umgeht, und der urbanen Gesellschaft, die von einem regelrechten Wasserüberfluss geprägt ist, wider. Arad ist zwar eine Wüstenstadt, aber ihre Einwohner*innen erleben diese Realität ganz anders als die Beduinen, die denselben Wüstenraum mit ihnen teilen.
Dan Farberoff
Der „Versuch”, das Schwimmbecken in Arad zu füllen, ist eine von vielen Kunstaktionen, die Farberoff und Behar-Perahia seit 2019 im Negev durchführen. Ihre kulturelle Reise in die Tiefen der Wüste begann, als der leidenschaftliche Wanderer Behar-Perahia beschloss, eine Nacht unter freiem Himmel im Negev zu verbringen. Als er kurz vor Sonnenuntergang sein Zelt auf einem Hügel zwischen Arad und Masada aufschlug, kamen zwei lächelnde Kinder auf einem Esel an ihm vorbei. „Sie ritten vom ‚Nichts‘ ins ‚Nirgendwo‘ und sahen dabei entspannt und fröhlich aus”, beschreibt er. Als er am Morgen aufwachte, sah er eine ältere Frau, ebenfalls auf einem Esel, ebenfalls mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht. Sie schien auf dem Rückweg vom ‚Nirgendwo‘ ins ‚Nichts‘ zu sein. „Ich fragte mich, woher sie kommen und wohin sie gehen. Auf der Karte war kein Ort in der Umgebung verzeichnet, nur Arad war deutlich markiert. Ich nahm mir vor, mehr über die Verbindungen zwischen der Stadt und den beduinischen Siedlungen herauszufinden.”

Den beiden Künstlern, die zusammen als Kollektiv „Common Views” arbeiten, war die israelische Wüste zwar nicht unbekannt, bevor sie dort künstlerisch tätig wurden – Farberoffs Eltern leben in Arad und Behar-Perahia wuchs in Beerscheba, der Hauptstadt des Distrikts Negev, auf – aber sie geben offen zu, dass sie die Beduinen und ihre Lebensweise nicht wirklich kannten. Wie bei all ihren Kunstprojekten, begannen sie auch hier zunächst mit einer umfassenden Recherche.

Zisternen

Arad ist eine kleine Stadt mit etwa 30.000 Einwohnern im Osten des Negevs. Sie wurde 1960 mit großem Tamtam unter vielversprechenden Vorzeichen als die erste israelische Planstadt in der Wüste gegründet. Doch leider blieb die Stadt hinter den großen Erwartungen zurück. Rund um Arad leben etwa 15.000 Beduinen. Sie bewegen sich zwischen einem Zustand der Beständigkeit und der Vorläufigkeit, wie sie es selbst bezeichnen.

„Unser künstlerischer Prozess beginnt immer mit Gesprächen mit den Einheimischen, um deren Lebensrealität besser zu verstehen und herauszufinden, wo die Reibungspunkte liegen, an denen künstlerisch-kulturelle Arbeit Veränderungen und neue Perspektiven bieten kann”, beschreibt Farberoff. „Deshalb war es uns wichtig, zunächst das lokale kulturelle Erbe zu durchdringen und die Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften kennenzulernen.”

Was ergab sich bei eurem ersten Treffen mit der beduinischen Gemeinschaft?

Behar-Perahia: „Sie waren sehr aufgewühlt, weil sie befürchteten, bald einen Räumungsbefehl zu erhalten. Im Gespräch kamen viele Emotionen auf, und unter anderem erwähnten sie die alten Zisternen, die für sie die stärkste Verbindung zu ihrem langjährigen Wohnort widerspiegeln. Sie praktizieren eine uralte lokale Tradition der Regenwassernutzung.”

Zisterne ©Dan Farberoff Common Views


Die meisten Zisternen im Negev sind heute nicht mehr in Gebrauch, sie wurden durch Plastikbehälter und ein nicht autorisiertes Netz von landwirtschaftlichen Schläuchen ersetzt, die die Bewohner*innen selbst verlegen. Während der Staat die alten Zisternen als archäologische Stätten für potenzielle zukünftige Forschungen betrachtet und sie daher zur Benutzung sperrt, sehen die Beduinen in ihnen einen Beweis für ihre langjährige Verbindung zu dieser Gegend und als Teil ihrer kulturellen Identität. Farberoff erklärt: „Auf politischer Ebene gibt es hier einen großen Konflikt und komplexe Machtverhältnisse, aber auf künstlerischer Ebene kann man das aus einer neuen Perspektive betrachten: Hier gibt es eine Wüste, Tiere, Pflanzen und wilde Natur, neben denen mehrere menschliche Gemeinschaften leben, die dies als ihr Zuhause betrachten. Unser künstlerischer Vorschlag ist es, gemeinsam mit den Bewohner*innen zu untersuchen, wie man diesen Raum nachhaltig teilen kann. Daraus haben wir ein Konzept entwickelt, das wir „Umweltversöhnung“ nennen. Dahinter steht die Idee, dass die Einbeziehung verschiedener Gemeinschaften in partizipative Aktivitäten es leichter macht, die Reibungspunkte anzugehen.”

Seit 2019 initiiert das Kollektiv „Common Views” viele gemeinsame Aktivitäten für jüdische Israelis und Beduinen im Wüstenkontext. Zusammen mit den Gemeinschaften sind bereits etliche künstlerische Arbeiten entstanden, einige davon wurden in Ausstellungen gezeigt. „Ich habe persönlich den Prozess durchlaufen, den ich von den Betrachter*innen unserer Arbeiten erwarte”, sagt Farberoff: „Ich kam oft nach Arad und dachte mir, die beduinischen Siedlungen seien nur ein paar Wellblechhütten und es wäre sicher besser für sie, in Städte zu ziehen. Aber während der persönlichen Begegnungen entdeckte ich eine pastorale ländliche Bevölkerung, die sich mit Weidewirtschaft und Regenwasser-basierter Landwirtschaft beschäftigt. Sie sind sehr mit der Wüstenumgebung verbunden und leben in Symbiose mit der Natur. Die israelisch-jüdische Öffentlichkeit sieht in der Regel nur bestimmte Aspekte dieser Bevölkerungsgruppe – Kriminalität, Müll, Umweltverschmutzung und Probleme im Bildungsbereich – aber es gibt auch eine schöne Seite, die viele Israelis nicht kennen. Es machte mich traurig zu erfahren, dass auch viele der beduinischen Jugendlichen, die dort aufwachsen, sich der Schönheit ihres Lebensstils und seines Potenzials gar nicht bewusst sind. Heute arbeiten wir auch mit ihnen zum Thema Nachhaltigkeit, machen sie etwa darauf aufmerksam, dass sie im Gegensatz zur Mehrheit der israelischen Bevölkerung mehr als 90 Prozent Solarenergie nutzen. Das ist eine Realität, die gestärkt und bewahrt werden muss, besonders in der aktuellen Klimasituation.”

Zwischen Wasser und Wasser

Die umfangreiche Forschung von Behar-Perahia und Farberoff zum Thema Wasser und die Arbeit mit den verschiedenen Gemeinschaften in der Wüste wurde kürzlich auch in einem digitalen Kunstprojekt umgesetzt und in den Atlas of Mediterranean Liquidity integriert, den das Goethe-Institut Israel gemeinsam mit dem Center for Digital Art in Holon initiiert hat. Der digitale Atlas ist ein fortlaufendes Projekt, das Kunstschaffende einlädt, interaktive Karten zu entwickeln, die sich mit Fragen zur Ressource Wasser und dem Klimawandel im Mittelmeerraum befassen. Die Online-Plattform bietet eine beeindruckende Sammlung von derzeit 12 Karten aus verschiedenen Mittelmeerländern zu Themen wie Wasser als Kulturgut, dem Verhältnis vom Menschen zum Wasser, historischen Ereignisse und Zukunftsvisionen. Der Beitrag von Behar-Perahia und Farberoff zum Projekt trägt den Titel „Zwischen Wasser und Wasser”. Darin beschreiben sie beispielsweise die Realität der Wasserversorgung und selbstentwickelte Wassersysteme in nicht anerkannten beduinischen Siedlungen. Die interaktive Karte bietet den Betrachter*innen ein vielschichtiges Erlebnis: Durch Texte, topografische Karten, Fotos, Illustrationen, Videos, Tonaufnahmen und Animationen wird die komplexe Realität des Lebensraums Wüste dargestellt und ein Einblick in die künstlerisch-partizipativen Prozesse vor Ort ermöglicht. Natürlich finden auch die Forschungsergebnisse von Behar-Perahia und Farberoff in jedem Aspekt der Karten Ausdruck. (Zur Karte)
Für uns fungiert das Wasser als Vermittler. Es bietet ein Prisma, durch das man die Situation aus einer ökologischen Perspektive betrachten kann...
David Behar-Perahia

Farberoff erläutert den Inhalt ihrer Karte im Atlas: „Wir haben uns in dieser Arbeit auf zwei Einzugsgebiete und einige Unterthemen konzentriert. Das erste Thema ist die Regenwassergewinnung, darin präsentieren wir das kulturelle Erbe der Zisternen und die künstlerische Arbeit, die wir mit den Einheimischen zu diesem Thema gemacht haben. Das zweite Thema ist die ungleiche Wasserverteilung, ein soziales und politisches Thema, das durch das Wasser sichtbar gemacht wird. Das dritte Thema befasst sich mit dem Weg von der Wüstensiedlung zur Stadt. Um dies zu verdeutlichen, haben wir einen Spaziergang auf einem Esel zwischen der beduinischen Siedlung und der Stadt und wieder zurück gemacht, was in der Karte durch eine Animation dargestellt wird. Daraus entstand auch eine Performance vor Ort, ein Video, das in einer Galerie gezeigt wurde, und jetzt eine Animation als Teil der digitalen Karte.”

Dan Farberov mit Beduinen © Dan Farberov Common Views


„Für uns fungiert das Wasser als Vermittler”, erklärt Behar-Perahia. “Es bietet ein Prisma, durch das man die Situation aus einer ökologischen Perspektive betrachten kann. Wie bei all unseren Projekten gibt es auch hier eine pädagogische Dimension, den Versuch, Wissen in einer interaktiven und facettenreichen Geschichte zu vermitteln. Wir haben das Gefühl, dass die meisten Israelis nicht daran interessiert sind, die besondere Kultur der Beduinen wirklich aus der Nähe kennenzulernen. Das ist schade, denn die Beduinen haben so viel lokales Schlüsselwissen über den Umgang mit Wasserknappheit, das sowohl Israel als auch der Welt Lösungsansätze für die Zukunft bieten könnte.”

Partizipative Kunst

Können Sie erklären, was partizipative Kunstaktivitäten sind?

Behar-Perahia: „Ich werde es anhand von Beispielen erklären: Bei einer der Aktivitäten haben wir die Öffentlichkeit eingeladen, einen Rundgang zu den Zisternen zu machen. Bei einer anderen Aktion haben wir Menschen eingeladen, an der Instandhaltung der Wasserrinnen mitzuwirken, die das Regenwasser zu den Zisternen leiten, und eine weitere Aktion fand in Zusammenarbeit mit einem Archäologen der Altertümer-Behörde statt, bei der wir das Sedimentbecken innerhalb einer Zisterne entdeckten. So wurde ein „Geheimnis“ der Zisterne aufgedeckt und das Publikum fand sich plötzlich, zusammen mit uns, mitten in der archäologischen Praxis wieder. An all diesen Aktionen nahm ein gemischtes Publikum teil – jüdische Israelis, Beduinen, Wüstenbewohner*innen und Städter*innen – und durch die gemeinsame Tätigkeit entstanden Begegnungen, Bekanntschaften und eine neue Solidarität rund um das Thema Wasser. Partizipative Kunst ist ein Schlüssel, der die Herzen der Menschen öffnen und sie in Aktionen zu bestimmten Themen involvieren kann, an denen sie unter anderen Umständen wahrscheinlich nicht teilgenommen hätten.”

Welche Reaktionen erhoffen Sie sich bei den Nutzer*innen durch die Erkundung der digitalen Karte?

Behar-Perahia: „Ich möchte, dass sie sich zunächst eine persönliche Frage stellen: Wie ist meine Einstellung zum Wasser? Für einige von uns ist es selbstverständlich, dass Wasser aus dem Wasserhahn kommt. Für viele andere auf der Welt ist das nicht selbstverständlich, und je weiter die Klimakrise fortschreitet, desto mehr Bevölkerungsgruppen werden Wasserknappheit erleben. Aus dem persönlichen Blickwinkel heraus ist es einfacher, über die soziale, gemeinschaftliche und ökologische Perspektive nachzudenken. Aber in erster Linie, abgesehen von den künftigen Nutzer*innen der Karte, freuen wir uns, dass wir die Möglichkeit hatten, an diesem Projekt teilzunehmen, weil es einen fruchtbaren Dialog mit Künstler*innen an anderen Orten ermöglicht hat.”

Aus der Arbeit am Atlas ist eine Kooperation zwischen ‚Common Views‘ und einem Künstlerkollektiv aus Neapel hervorgegangen. Gemeinsam entwickelten sie die Idee einer mobilen Kunstbiennale zum Thema Wasser, die verschiedene Städte rund um das Mittelmeer bereisen sollte. Diese fand im Juli 2024 erstmals in Neapel statt und brachte Kulturschaffende und Wissenschaftler aus aller Welt zusammen. Farberoff erzählt, wie er bei einem Treffen mit den Künstler*innen aus Neapel eingeladen wurde, an einer lokalen Zeremonie teilzunehmen, die von einer uralten lokalen Traditionen zum Gedenken an den heiligen Giovanni inspiriert ist: „Im Rahmen der Zeremonie sammelte man Wasser in einem Behälter aus einer natürlichen Wasserquelle und legte Pflanzen aus der Umgebung hinein. Anschließend durfte man das so „gesegnete“ Wasser dazu verwenden, einen Wunsch zu äußern. Ich habe einen Olivenzweig in meinen Wasserbehälter gelegt und mir gewünscht, dass das Wasser uns Menschen verbinden möge. Das klingt zwar poetisch, aber es ist auch realistisch. Ja, es gibt heute Konflikte, die zwischen den Menschen rund um das Mittelmeer stehen, aber wir haben auch eine gemeinsame Geschichte, ähnliche kulturelle Wurzeln und im Laufe der Geschichte auch eine große Vermischung miteinander. Ich glaube, dass die Metapher des Wassers uns verbinden kann, weil es eine gemeinsame Ressource darstellt, die für uns alle überlebenswichtig ist. Obwohl wir uns in unserer Kunst mit einer schwierigen Realität beschäftigen, ist unser Ansatz optimistisch. Als Kunstschaffende dürfen wir wild von einer utopischen Zukunft träumen, und wir erlauben uns diese Träume definitiv.“

 

Künstlerkollektiv „Common Views”

 

David Behar Perahia © David Behar Perahia

David Behar-Perahia ist Künstler und Forscher. Seine berufliche Laufbahn begann er als Geowissenschaftler mit Schwerpunkt auf Chemie und Physik. Er arbeitete mehrere Jahre als Ingenieur bei einem großen Computerunternehmen, bis er beschloss, sich zu verändern und Bildhauerei und Architektur zu studieren. Heute lebt er als Künstler in Italien, forscht und entwickelt dort ortsbezogene Projekte, die die lokale Community einbeziehen.
 

Dan Farberov © Dan Farberov

Dan Farberoff ist in Israel aufgewachsen und lebt seit über dreißig Jahren im Ausland. Er studierte Kunst in Chicago und setzte sein Studium mit einem Master in Darstellenden Künsten in England fort. In seinen frühen Jahren als Künstler beschäftigte er sich mit Skulptur, Zeichnung und Malerei. Seit zwanzig Jahren konzentriert sich seine Arbeit auf digitale Kunst, Performance, Video und ortsbezogene Kunstprojekte. Er lebt und arbeitet in Berlin.

 

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