Interview mit Dr. Maayan Sheleff
Kreative Wege finden, Ideen und Kunstschaffende zu unterstützen

„Ich fühle mich, als hätte ich ein Zuhause gefunden, von dem ich nicht einmal wusste, dass es existiert", sagt Dr. Maayan Sheleff, die neue Beauftragte für Programmarbeit am Goethe-Institut in Jerusalem. Der Standort Jerusalem operiert seit einigen Wochen vom Hansen House aus, einem der lebendigsten Kulturorte der Stadt. Kulturjournalistin Hagit Peleg Rotem hat mit ihr gesprochen.
Von Hagit Peleg Rotem
Erzähle uns etwas über diese neue Position, die du übernommen hast?
Im Goethe-Institut in Israel wurde beschlossen, das Büro in Jerusalem in das Hansen House zu verlegen und das Tätigkeitsprofil des Instituts mit einem Schwerpunkt auf Programmarbeit neu auszurichten. Das Ziel ist es, interdisziplinäre Kooperationen und Kulturinitiativen zu fördern und diverse kulturelle Akteur*innen, die in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Subkulturen Jerusalems tätig sind, zu unterstützen und mit ihnen zusammenzuarbeiten.
In meiner Position bin ich für die Aktivitäten des Instituts in Jerusalem zuständig, denn gerade in diesen herausfordernden Zeiten sieht das Institut es als notwendig an, dort präsent und aktiv zu sein. Ich habe mich auf die Stellenausschreibung des Goethe-Instituts beworben, weil ich dachte, dass dies der richtige Ort für mich ist, aus mehreren Gründen: Einer davon ist, dass ich einen Zusammenhang zwischen Kuratieren und Kulturdiplomatie sehe. Ein Kurator ist jemand, der zwischen Künstler*innen und Institutionen, Gesellschaft und Gemeinschaft vermittelt und Verbindungen herstellt.
Gerade in Jerusalem können unerwartete Dialogmöglichkeiten und Kooperationen entstehen, Begegnungen zwischen Gemeinschaften, die scheinbar sehr wenig gemeinsam haben. Es geschieht organisch und wächst aus der Gesellschaft heraus, das schätze ich sehr.

Hansen House, Jerusalem | Foto © Dor Kedmi
Ein weiterer Grund ist, dass ich mich persönlich und beruflich mit den Werten des Goethe-Instituts identifiziere. Das Institut setzt sich in der Kulturarbeit mit demokratischen Werten, Gleichheit und Inklusion, Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein sowie Erinnerungspraktiken und historischer Verantwortung auseinander. Es möchte weltweit sichere Räume für Kreative schaffen, besonders dort, wo die Demokratie gefährdet ist.
Ist denn die Situation in Jerusalem derzeit besonders angespannt? Obwohl, wenn man darüber nachdenkt, ist das ja fast immer der Fall…
Ich arbeite seit vielen Jahren in Jerusalem. Leider denke ich, dass derzeit die Lage im ganzen Land angespannt ist. Aber in meiner Beobachtung können gerade in Jerusalem unerwartete Dialogmöglichkeiten und Kooperationen entstehen, Begegnungen zwischen Gemeinschaften, die scheinbar sehr wenig gemeinsam haben. Es geschieht organisch und wächst aus der Gesellschaft heraus, das schätze ich sehr.
Wie sieht die tägliche Arbeit aus? Wo fängt man überhaupt an?
Ende November haben wir Kreative aus Kulturinstitutionen und unabhängigen Organisationen, die in der Stadt tätig sind, zu einem ersten Kennenlerntreffen im Hansen House eingeladen. Es war uns wichtig, ganz offen darüber zu sprechen, wie man uns um Unterstützung bitten kann und welche Art von Projekten wir suchen.
Besonders hervorgehoben haben wir dabei das Residenzprogramm für Künstler*innen, das wir in Zusammenarbeit mit etablierten Organisationen in Jerusalem aufbauen wollen. Im aktuellen politischen Klima halte ich es für richtig, mit Zuhören und Dialog zu beginnen, um die Bedürfnisse der Akteur*innen vor Ort zu verstehen und bestehende Netzwerke zu unterstützen.
Die Zusammenarbeit mit dem Hansen House ist ebenfalls essenziell. Die Wahl des neuen Standorts war nicht zufällig, sondern trägt eine Absichtserklärung in sich. Die Leiterin des Goethe-Instituts in Israel, Carola Dürr, und ich stehen in einem ständigen Dialog mit der Leiterin des Hansen Hauses, Smadar Tsook, um Möglichkeiten zur Zusammenarbeit auszuloten.
Und sind bereits Anfragen eingegangen?
Ja, es haben sich schon einige erkundigt, wie man so eine Anfrage stellt. Es erinnert mich ein wenig an meine beruflichen Anfänge als Kuratorin in verschiedenen Institutionen: Ich hatte das Glück, ständig neue und interessante Kreative kennenzulernen. Ein weiterer toller Aspekt ist die Möglichkeit, meinen Horizont in Tanz, Theater, Musik und Literatur zu erweitern, also in Bereichen, in denen ich nicht so tief drin bin, wie in bildender Kunst, Film und Performance.
Erzähle ein bisschen über dich und deinen professionellen Hintergrund
Ich bin seit etwa zwanzig Jahren als Kuratorin tätig und habe sowohl unabhängig als auch in Institutionen und in öffentlichen Einrichtungen gearbeitet. Mein Schwerpunkt liegt auf partizipativer Kunst, sozialer Kunst und Kunst im öffentlichen Raum. Im Laufe der Jahre habe ich viel an der Schnittstelle zwischen Kunst und Technologie gearbeitet mittels Video-Art, Performance und Sound.
Zu den Institutionen, für die ich als Kuratorin gearbeitet habe, gehören die Galerie Line 16 und das Zentrum für zeitgenössische Kunst in Tel Aviv. Etwa sieben Jahre lang war ich künstlerische Beraterin für die Art Cube Artists' Studios in Jerusalem. In den letzten zwei Jahren habe ich mit ZUMU – Museum on the move – gearbeitet und parallel dazu unterrichtet, etwa an der Sam Spiegel Filmschule und Bezalel, wo ich aktuell immer noch einen Lehrauftrag habe.
Vor rund zehn Jahren habe ich mit der Kuratorin Lee-He Shulov das internationale Residenzprogramm LOW RES JERUSALEM in den Art Cube Artists' Studios aufgebaut. Dabei haben wir den Schwerpunkt auf partizipatives Arbeiten und gemeinsames Forschen mit Gemeinschaften vor Ort gelegt und Künstler*innen aus Ländern eingeladen, die keine Vertretungen und Unterstützung in Israel haben.
Der Name LOW RES JERUSALEM ist ein Wortspiel. Er impliziert einerseits, dass es sich um eine Kurzzeitresidenz handelt, bezieht sich zum anderen auf einen berühmten Artikel von Hito Steyerl über die Flut niedrigauflösender Bilder im Internet, den wir konzeptuell aufgegriffen haben, und enthält drittens eine Anspielung auf Konfliktlösungen - Conflict Resolution - eine Art ironisches Statement über die Erwartung, die oft an ausländische Künstler*innen, die nach Jerusalem kommen, gestellt wird.
Die Erwartung, dass jeder Konflikt zu einer Lösung führen muss, ist tatsächlich eine utopische und unrealistische Erwartung, nicht nur in der Kunst. Diese falsche Erwartung führt zu vielen dichotomen Ansichten in Bezug auf Identität und politische Kunst
Das ist eine naive, vielleicht eine utopische Sichtweise
Das Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, wie ich mich generell mit politischer Kunst und dem Thema Konflikt auseinandersetze. Ich denke, es ist wichtig zu lernen, Konflikte zu akzeptieren und in ihnen zu verweilen. Zu verstehen, dass ein Konflikt nicht unbedingt gelöst werden muss. Die Erwartung, dass jeder Konflikt zu einer Lösung führen muss, ist tatsächlich eine utopische und unrealistische Erwartung, nicht nur in der Kunst. Diese falsche Erwartung führt zu vielen dichotomen Ansichten in Bezug auf Identität und politische Kunst.
Andererseits sollte man auch keine Angst vor Konflikten haben. Und mit Konflikt meine ich nicht gewalttätige Auseinandersetzungen, sondern zwei gegensätzliche Positionen in einem Gespräch. Diese Art von Konflikt kann auch ein Werkzeug für Transformation sein.
Das führt mich zu dem Thema meiner Doktorarbeit, einer praxisbasierten Forschung, an der ich in den letzten sieben Jahren mit der Kurationsplattform der Universität Reading und an der Universität der Künste Zürich gearbeitet habe. Darin habe ich den Zusammenhang zwischen Protestbewegungen des letzten Jahrzehnts und partizipativen Praktiken, die die menschliche Stimme nutzen, untersucht. Das Ergebnis wurde kürzlich als Buch bei OnCurating veröffentlicht: „Echoing With a Difference – Curating Voices and the Politics of Participation“. Darin habe ich Theorien der partizipativen Kunst von Theoretiker*innen wie Claire Bishop, Grant Kester, Oliver Marchart und Chantal Mouffe untersucht. Sie bewegen sich in der Regel zwischen zwei Polen: Ermutigung zu konflikthaften und provokativen Praktiken, die manchmal eine gewisse Manipulation der Teilnehmer beinhalten einerseits, und Förderung von Dialogpraktiken, die als ermächtigend und unterstützend wahrgenommen werden, andererseits.
Ich argumentiere, dass es in den Zwischenräumen am interessantesten wird, also da, wo Konflikten Raum gegeben wird, aber nicht auf ausbeuterische oder manipulative Weise. Womit wir dann wieder beim Zusammenhang von Kuratieren und diplomatischer Vermittlung wären.
Es klingt, als wäre deine neue Position eine natürliche Fortsetzung deiner bisherigen Tätigkeit im Kunstbereich
Es fühlt sich tatsächlich so an. Als hätte ich ein Zuhause gefunden, von dem ich nicht wusste, dass es existiert. Ich schätze das Vertrauen von Carola Dürr sehr, die in meinen Interessen und meiner Expertise eine Antwort auf ihre eigene Vision erkannt hat.
Im aktuellen politischen Klima und dem Lärm, der derzeit in der Kulturszene herrscht, sowohl in Israel als auch international, scheint ihr vor großen Herausforderungen zu stehen
Seit vielen Jahren bin ich in verschiedenen Positionen zwischen Israel und Europa – und insbesondere zwischen Jerusalem und Deutschland tätig – und es stimmt, dass wir derzeit extreme Zeiten erleben. Das ist herausfordernd. Es interessiert mich, kreative Lösungen zu entwickeln und Wege zu finden, Ideen und Künstler zu unterstützen, selbst wenn alles düster erscheint.
Man könnte sagen, dass du Glück hattest, was die Verbindung zwischen deiner Forschung und deiner Arbeit betrifft. Viele Menschen beenden ihre Promotion und finden keinen Einstieg in die Praxis
Meine Forschung ist aus meiner kuratorischen Praxis entstanden und mündete in mehrere partizipative Projekte, die ich in den letzten Jahren in Deutschland und Österreich durchgeführt habe. Unter anderem habe ich eine Ausstellung namens "Voice Over' im Bonnefantenmuseum in Maastricht kuratiert, an der Künstler*innen aus Israel wie Amir Yatziv und Yusra Abu Kaf sowie europäische Kunstschaffende teilnahmen, darunter das palästinensische Duo Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme, sowie Lawrence Abu Hamdan, der meiner Meinung nach einer der faszinierendsten Künstler im Bereich Stimme ist. Daran anknüpfend kuratierte ich eine performative Veranstaltung im KW Institute for Contemporary Art in Berlin.
Ich habe keine Angst vor Gesprächen und Begegnungen, die von Konflikt geprägt sind, denn ich glaube, dass ein Treffen auch unter Konfliktbedingungen ein Dialog sein kann.
Als Kuratorin des öffentlichen Programms an der Akademie der Künste in Salzburg lud ich Neta Weiner und Samira Saraya von System Ali, Stav Marin, Manar Zuabi und Talia Hoffman sowie Ofri Cnaani ein, Kurse zu unterrichten, an einer Ausstellung im Museum der Moderne teilzunehmen und eine Reihe von Performances und Gesprächen unter dem Titel „School of Listening“ zu präsentieren. Im letzten Oktober entstand daraus eine Reihe von Workshops und Veranstaltungen an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK), zu denen ich erneut Neta und Samira einlud, zusammen mit der Choreografin Neta Weiser, die mit der ägyptischen Choreografin Nora Amin arbeitete. Dort ging es darum, wie aus konfliktbelasteten Kooperationen poetische und transformative Praktiken entstehen können.
Ich habe keine Angst vor Gesprächen und Begegnungen, die von Konflikt geprägt sind, denn ich glaube, dass ein Treffen auch unter Konfliktbedingungen ein Dialog sein kann. Die Frage ist lediglich, ob Kunst und Kurator*innen solche Gelegenheiten schaffen können, nicht aus einer dichotomen Sichtweise heraus, sondern unter Anerkennung der Komplexität und der unterschiedlichen Standpunkte.
Gibt es heute in Jerusalem auch Stimmen von arabischen Künstler*innen?
Zunächst ist wichtig zu erwähnen, dass es in Ramallah ein Goethe-Institut gibt, das Künstler*innen in den palästinensischen Gebieten und in Ost-Jerusalem unterstützt. Dennoch hoffe ich, dass wir auch Anfragen von arabischen und palästinensischen Künstler*innen erhalten werden. Das muss allerdings von ihnen selbst kommen, aus organischen Initiativen, nicht von oben herab als Versuch, Lösungen zu finden und Frieden zu schaffen, sondern aus dem ehrlichen Wunsch, Zuhören und Dialog zu ermöglichen.
Nicht leicht.
War es jemals leicht?
Hast du in deiner Arbeit in letzter Zeit Boykott erlebt?
Ich persönlich in den letzten Jahren nicht. Es gibt jedoch viele stille Boykotte. Als ich 2009-2012 im Zentrum für zeitgenössische Kunst in Tel Aviv arbeitete, war das Bewusstsein für BDS in der Öffentlichkeit noch viel geringer, aber für uns war er schon sehr präsent. Es gab Künstler*innen, die uns absagten und höflich begründeten, warum sie nicht in Israel ausstellen wollen. Es gab auch diejenigen, die gar nicht auf E-Mails antworteten (und wir werden nie wissen, ob es ein stiller Boykott war oder ob die E-Mail einfach im Spam gelandet ist).
Wie wird die Kulturförderung des Goethe-Instituts in Jerusalem aussehen?
Wir werden den Fokus auf die Entwicklung unseres Residenzprogramms und die Unterstützung von Projekten richten, die im Dialog mit uns entwickelt werden und einen Künstlerresidenzanteil beinhalten. Darüber hinaus möchten wir in der aktuellen Situation, in der weniger Künstler*innen aus dem Ausland kommen können, die Förderungsmöglichkeiten flexibler gestalten, sodass auch Projekte lokaler Institutionen unterstützt werden können, die zu den Inhalten und Werten des Goethe-Instituts passen. Wir prüfen und entwickeln auch weitere Möglichkeiten, kulturelle Partnerschaften zu unterstützen und die Sichtbarkeit israelischer Künstler im Ausland zu erhöhen, in einer Zeit, in der es für sie immer schwieriger wird.
Hast du schon praktische Beispiele?
Wir haben mit dem Hansen House gerade zwei Veranstaltungen realisiert – die Ausstellung „Conclusions from Eden“, kuratiert von Tama Krudo, und die Kunstbuchmesse „In Print“, kuratiert von Jenna Romano und Danielle Gorodenzik, die in der Chanukka/Weihnachtszeit stattfand.

Ausstellung: Conclusion from Eden, Beit Hansen, Dezember 2024 | © Foto: Dor Kedmi
Was würde aus deiner Sicht einen Trendwechsel im Land signalisieren?
Auf persönlicher Ebene: Das Ende des Krieges, die Rückkehr der Geiseln und dass es zu einer echten politischen Einigung kommt – nur dann können wir beginnen zu heilen. Es wird ein sehr langer Heilungsprozess sein, aber wir müssen ihn beginnen.
Das Interview erschien zuerst im Portfolio Magazin in der Originalfassung auf Hebräisch.
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