Die polynesische Segeltradition
In tausend Tagen um die Welt

Die Crew der Hōkūleʻa wird in Somes Sound Maine herzlich von Penobscot-Indianern in traditionellen Birkenrindenkanus begrüßt.
© Polynesian Voyaging Society und ʻŌiwi TV

Mit einer dreijährigen Weltumsegelung wollte der riesige polynesische Segelkatamaran Hōkūleʻa traditionelles Wissen wieder aufleben lassen und ein Zeichen für nachhaltigen Umgang mit unserem Planeten setzen.

Im Sommer 2017 legte der riesige polynesische Segelkatamaran Hōkūleʻa nach drei Jahren, 40.000 Seemeilen und Stopps in 23 Ländern und Hoheitsgebieten wieder in seinem Heimathafen in Honolulu, Hawaii an. Kurz vor der Ankunft war es noch regnerisch und diesig (was auf Hawaii als Segen betrachtet wird), doch die Wolken verzogen sich schnell, als das knapp 19 Meter lange Gefährt mit seinen zwei roten Segeln umgeben von einer Empfangsflotte aus Kanus, Kayaks und Surfboards in den Hafen nahe des Magic Island Beach in Oahu einlief.

Am Ufer hatten sich zehntausende von Zuschauern versammelt, um die Rückkehr der Hōkūleʻa zu feiern. Sie winkten mit hawaiianischen Flaggen und hielten ihre Kameras auf den ehrfurchtgebietenden Katamaran. Als die Crew an Land ging, wurde sie von einer Gruppe hawaiianischer Männer in traditionellen Gewändern begrüßt, die Gesänge anstimmten und den alten hawaiianischen Speerwerf-Ritus Kāli‘i vorführten.

Mit dieser aufwendigen Reise, die mehrere Jahrzehnte Vorbereitung gekostet hatte, wollte man der jüngeren Generation traditionelle polynesische Segel- und Navigationstechniken nahebringen und gleichzeitig mit lokalen Methoden, die überliefertes Wissen und andere bewährte Lösungen vereinen, nachhaltige Umweltkonzepte für die Zukunft aufzeigen.

Die Natur als Navigationsgerät

Die Hōkūleʻa ist eine Replika eines traditionellen polynesischen Zweimast-Segelkatamarans. Sie hat keinen Motor und wird mit Segeln und einem großen Paddel gesteuert, das von mehreren Leuten bedient werden muss. Gründungsmitglieder der Polynesian Voyaging Society (Polynesische Seefahrtgesellschaft), einer hawaiianischen Vereinigung zur Aufrechterhaltung traditioneller polynesischer Seefahrtmethoden, hatten das knapp 19 Meter lange und gut 6 Meter breite Gefährt 1975 gebaut. Eigentlich sollte es nur eine einzige Fahrt antreten, und zwar von Hawaii nach Tahiti.

Einer der Beweggründe für diese erste Fahrt lag darin, dass man zeigen wollte, dass die Polynesier die pazifischen Inseln durch gezielte Erkundungsfahrten besiedelt hatten, und die durch den Norweger Thor Heyerdahl und seiner berühmten Kon Tiki verbreitete These zu widerlegen, dass diese von Südamerikanern abstammen, nicht von Asiaten.

Bei dieser ersten Reise stach die Crew gänzlich ohne handgesteuerte Navigationsinstrumente in See, ganz wie ihre Vorfahren vor langer Zeit. „Die Natur liefert uns alles, was man zur Orientierung braucht“, erklärt Bruce Blakenfeld, Kapitän der jüngsten Fahrt, der auch schon bei der ersten Reise der Hōkūleʻa dabei war. „Wir haben die Himmelskörper wie Sterne, Planeten, Mond und Sonne, dazu Wind und Wolken, Wellen und Ströme und auch die Seevögel.“

Im Jahr 1975 wusste niemand, wie man so einen Katamaran steuert – schließlich war es 600 Jahre her, dass solche Schiffe auf Hawaii genutzt wurden. Doch dann fanden Blakenfeld und ein paar andere Männer der späteren Crewbesatzung auf Satawal, einer kleinen Insel in den Föderierten Staaten von Mikronesien, jemanden, der nach den Sternen navigieren konnte und der sie nach Tahiti begleitete, wo er der Besatzung schließlich diese Methode beibrachte.

Traditionelles Wissen um nachhaltige Methoden

Ziel der jüngsten und noch viel ehrgeizigeren Fahrt mit der Hōkūleʻa und ihrem Schwesternschiff Hikianalia war es, ein Zeichen für Nachhaltigkeit zu setzen und traditionelles Wissen um den Umgang mit natürlichen Ressourcen wieder aufleben zu lassen. In jedem Hafen, in den die insgesamt fast 300-köpfige Crew, deren Mitglieder jeweils verschiedene Etappen antraten, einlief, wurde sie von der Bevölkerung freudig begrüßt. Zu den Höhepunkten gehörten Treffen mit dem Erzbischof Desmond Tutu und dem Dalia Lama sowie die Begegnung mit Penobscot-Indianern, die der Hōkūleʻa zur Begrüßung in traditionellen Kanus aus Birkenrinde von der Küste von Maine aus entgegenpaddelten.

„Die polynesischen Segelkatamarane dienten ursprünglich dazu, eine Fahrt ins Ungewisse anzutreten, um Neues zu lernen und dieses Wissen wieder mit nach Hause zu bringen“, so Blakenfeld. „Das konnten neue Techniken sein, Heilkünste und alles, was sonst noch zum Überleben und zur Wohlstandssicherung der Gemeinschaft beitragen konnte.“

Auf ihrer Reise um den Globus hat die Crew der Hōkūleʻa etwa erfahren, dass der Staat Yap, Mitglied der Föderierten Staaten von Mikronesien, ein Verbot von Plastiktüten erlassen hat, was dazu geführt hat, dass auf der Insel zahlreiche kleine Unternehmen entstanden sind, die handgewebte, wiederverwendbare Taschen herstellen. Auf Tangier Island in Chesapeake Bay unterhielt sich die Besatzung mit Fischern und Kindern über die möglichen Folgen, die der steigende Meerwasserspiegel für die Insel haben könnte.

„Die Erderwärmung geht uns alle an”, erklärt Blakenfeld. „Sie betrifft jedes einzelne Geschöpft, egal ob Tier, Mensch oder Pflanze. Auf unserer Reise um die Welt wollten wir in Erfahrung bringen, was die Menschen vor Ort im Einzelnen dagegen tun und großartige Ideen zusammentragen, die wir nutzen und an die Allgemeinheit weitergeben können.“

Training für die nächste Generation

Als die Polynesian Voyaging Society sich im Jahr 2009 zu einer Weltumseglung entschloss, wurde schnell klar, dass das über 30 Jahre alte Gefährt komplett überholt werden musste. An diesen Arbeiten, die mehrere Jahre dauerten und nur mit Hilfe von über 300 Freiwilligen bewerkstelligt werden konnten, war Blakenfeld federführend beteiligt.

Die Hōkūleʻa wurde auf traditionelle Weise in Schuss gebracht – ganz ohne Nägel, Schrauben oder Klebstoff. Jedes einzelne Teil wurde vertäut, wozu insgesamt fast 10 Kilometer Tau benötigt wurden. Die Maste und Lenkpaddel wurden sogar von der Crew selbst gebaut. „Wir haben die alte Dame ganz auseinandergenommen, bis nur noch der Schiffskörper übrig war“, erklärt Blakenfeld. „Dann haben wir überall neues Holz und andere Materialien eingebaut, auch moderne wie Hartschaumkerne und Ähnliches.“

Aber nicht nur das Schiff wurde auf den neuesten Stand gebracht, auch die Crew, in der es auch viele jüngere Hawaiianer gab, hat von Blakenfeld quasi eine Generalüberholung in Sachen Navigationstechnik erhalten.

Dazu gehörte auch Kaleo Wong, der von Blakenfeld gelernt hat, nach den Sternen zu segeln. „Das erfordert sehr viel Übung und Erinnerungsvermögen, weil es so viele Sterne am Himmel gibt“, erklärt er. „Dieses heilige Wissen zu erlernen, ist wirklich schwierig.“

Blakenfeld, der bei rund acht Etappen der dreijährigen Reise an Bord war, war für jüngere Crew-Mitglieder wie Wong ein Mentor. „Unsere Aufgabe bei dieser Unternehmung war es vor allem, den Jüngeren etwas beizubringen. Wir werden alle älter und können wohl nur noch ein paar Jahre auf See verbringen, also müssen wir der nächsten Generation so viel Wissen vermitteln, wie es nur geht.“

Nach ihrer Rückkehr in den Heimathafen hat es die Hōkūleʻa und ihre Besatzung allerdings nicht lange an Land gehalten. Schon ein paar Monate später ging die Mannschaft erneut auf sechsmonatige Fahrt, bei der sie 40 Häfen anlief und fast 80 auf den Hawaiianischen Inseln lebende Gemeinschaften besuchte, um den Menschen dort von den vielen Abenteuern und Erfahrungen, die die Crew auf ihrer Weltreise gesammelt hatten, zu berichten.