Berlinale-Blogger 2020
Indien und die Berlinale - Arthouse versus Kommerz
Indien ist auf der Berlinale gerade mal mit vier Filmen vertreten, obwohl nirgends mehr Filme gedreht werden als in Indien. Anjana Singh geht auf der Berlinale der Frage nach, ob das indische Kino unterrepräsentiert ist und was dies mit der Balance zwischen Umsatz und Kunst zu tun hat.
Von Anjana Singh
Im Interview mit dem indischen Regisseur Pushpendra Singh, der dieses Jahr mit dem Film Laila aur satt geet (The Shepherdess and the seven Songs) auf der Berlinale vertreten war, erfährt man, dass es in Indien sehr geringe staatliche Förderungen für Filmschaffende gibt, anders als in Europa oder Südkorea. Die Themen der Filme sind aber mit entscheidend für die Auswahl bei der Teilnahme an der Berlinale. Italien hatte neun Filme im Programm, Indien hingegen nur vier, ein sehr geringer Anteil in Anbetracht der Masse an Filmen, die jährlich in Indien produziert wird (über 1000!). Ist das indische Kino also zahlenmäßig unterrepräsentiert im Wettbewerb? „Ich denke nicht, dass das indische Kino auf der Berlinale unterrepräsentiert ist“, meint Shwetaabh Singh hingegen, der Produzent von Eeb Allay Ooo. Denn er weiß, dass die Berlinale die Filme nach den Inhalten auswählt. Wenn das indische Kino verstärkt am Programm teilnehmen will, müssen in den Filmen entsprechende Themen behandelt werden, rein kommerzielles Kino kann dies nicht leisten. Er führt aus, dass es an einer Balance zwischen Umsatz und Kunst in der Filmszene fehle. Die Berlinale hat schon immer experimentelles Kino gefördert, hier würde er sich gute indische Beiträge wünschen.
Jedes Jahr finden sich auf dem Berlinale Talent Campus viele junge Filmemacher auch aus Indien ein. In den unterschiedlichen Berlinale-Kategorien ist der indische Film oft nicht adäquat repräsentiert. Das liegt in erster Linie an den engen Produktionszyklen und Kinostartterminen in Indien, denn alle Filme, die dort kommerziell produziert werden, kommen sofort in die sogenannte Kinoauswertung, die Einnahmen müssen schnellstmöglich die Produktionskosten wieder einspielen. Eine „Festivalstrategie“ ist für die meisten Akteure der indischen Film-Branche ein Fremdwort. „Der Arthouse-Film-Sektor kränkelt in Indien an mangelnden Auswertungs- und Finanzierungsmöglichkeiten im eigenen Land, denn Produzenten möchten kein Risiko eingehen und so produzieren sie lieber das nächste Sequel als die Ungewissheit einer internationalen Festivalreise in Kauf zu nehmen“, erläutert Insider Stephan Ottenbruch, Veranstalter der in Berlin jährlich stattfindenden Indo-German-Film-Week, einem der größten Filmevents dieser Art in Europa. „Mal ganz davon abgesehen, dass es in einem Land mit mehr als 32 Sprachen neben Bollywood ebenso bedeutende Filmindustrien in Bangalore, Hyderabad, Chennai, Kochi und Kolkata gibt, man möge mir die Unterschlagung der nicht genannten weiteren Sprachgebiete verzeihen. Mit den neuen Plattformen wie Netflix und Amazon kommt etwas Bewegung ins Spiel. Dem Kino als Ort der Begegnung hilft das aber nicht unbedingt. Glücksfälle mit großem Star- und Glamourfaktor wie das Gala-Screening von Gully Boy mit Ranveer Singh (2019) oder DON 2 mit Shah Rukh Khan (2012) in Berlin bleiben daher die Ausnahme, um international auf das enorme Potential und die Mega-Stars der größten Filmnation der Welt aufmerksam zu machen.“