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Kampf gegen den Virus der Fake News
WhatsApp Nation

Fake News
© Goethe-Institut

Falschnachrichten sind eine globale Bedrohung. In Indien stehen Fälle von Gewalt und Lynchjustiz, die von Fake News und Gerüchten auf WhatsApp angeheizt wurden, an der Tagesordnung. Der Instant-Messaging-Dienst hat hier mit über 400 Millionen Nutzern einen seiner größten Märkte. Die Polizei in Mumbai und andere Organe der Strafverfolgung bzw. Regierungsvertretungen geben sich die größte Mühe, auf Fake News zu reagieren und Falschinformationen sofort als solche zu entlarven. Die Behörden sind der Auffassung, dass strengere Regeln und härteres Durchgreifen vonnöten sind, es am Ende jedoch an jedem Einzelnen liegt, das Problem in den Griff zu bekommen und die Verbreitung von Fake News zu stoppen.

Von Chaitanya Marpakwar

Im April 2020 hatte in Indien der Kampf gegen das Coronaviraus gerade erst begonnen. Zur gleichen Zeit wappneten sich die Behörden gegen eine unerwartete Flut von Fake News und Hate Speech, die sich alsbald als ebenso gefährlich und todbringend entpuppen sollte wie das Virus selbst.
 
Seit dieser Zeit sind die Fälle, in denen Fake News auf sozialen Medien und Nachrichtendiensten verbreitet wurden, genauso rasch in die Höhe gestiegen wie die Corona-Fallzahlen. Viele dieser Nachrichten und Videos strotzen nur so von Hate Speech und stacheln einzelne Bevölkerungsgruppen derartig auf, dass dies bereits in vielen Fällen tödliche Konsequenzen nach sich zog. 

Indische Behörden bekämpfen das Fake News Virus mit Tweets! #FakeMessageAlert."

So geschah es etwa, dass nur ein paar Tage nachdem der Ministerpräsident des indischen Staates Maharashtra, Uddhav Thackeray, vor der Verbreitung von Fake News gewarnt hatte, ein wilder Mob aus mehr als 300 Dorfbewohnern drei Männer tötete, die am Dorf Palghar in der Nähe von Mumbai auf dem Weg zu einer Beerdigung vorbeikamen. Wenige Tage vor diesem Lynchmord hatten sich Falschnachrichten unter den Dorfbewohnern verbreitet, in denen behauptet wurde, dass sich Kindesentführer und Banditen in zahlreichen Dörfern in der Stadt herumtreiben würden. In diesen WhatsApp-Nachrichten wurden die Anwohnerinnen und Anwohner dazu aufgerufen, wachsam zu bleiben, und so bildeten sich kurz darauf Wach- und Beobachtungstrupps, die nachts die Straßen kontrollierten. Die Polizei nahm danach über 100 Menschen sowie neun Minderjährige fest. Wie die Untersuchungen später ergaben, waren die Attacken die Folge von auf WhatsApp verbreiteten Gerüchten, in denen angebliche Mitglieder der Organhandel-Mafia, von Kinderschlepperbanden und Diebe in diesen Gebieten nachts ihr Unwesen treiben würden.

Egal, ob falsch oder wahr

In Indien ist WhatsApp weit verbreitet: Arbeitgeber kommunizieren darüber mit ihren Angestellten, Lehrende mit ihren Schülerinnen und Schülern, Freunde unterhalten sich untereinander, und Regierungsangehörige geben sogar Interviews über WhatsApp. Die Kehrseite der Medaille ist, dass sich so ebenfalls Nachrichten aller Art, egal ob wahr oder falsch, rasant verbreiten.
 
Als der Vorfall in Palghar in der Gegend bekannt wurde, veröffentlichte der Innenminister von Maharashtra, Anil Deshmukh, auf Twitter eine Liste mit den Namen der 101 Festgenommenen. Keiner von ihnen war ein Muslim. Dieser Mob ist ein perfektes Beispiel dafür, wie weitergeleitete WhatsApp-Nachrichten schnell zu einem tödlichen Cocktail aus Fake News, Hate Speech und Lynchjustiz werden und die kommunale Sicherheit bedrohen können.

WhatsApp ist die einfachste App, die es gibt. Sie verbraucht wenig Datenvolumen und vernetzt viele Leute. Anders als Facebook oder Twitter, wo jeder sehen kann, was man postet, gibt es hier sehr viel Privatsphäre."

Jency Jacob

Als im Januar 2020 der erste Corona-Fall in Indien bekannt wurde, kursierten auf einmal unzählige Informationen über das Virus in Form von Nachrichten, Artikeln und Videos in den sozialen Netzwerken des Landes. Als medizinischer Rat getarnte Falschnachrichten, in denen etwa die Einnahme von Vitamin C oder heißem Zitronenwasser empfohlen wurde und dazu die Stimme eines angeblich prominenten Arztes zu hören war, wurden auf Facebook und Twitter über 5.000 Mal geteilt.

PAnik durch Fake News

Andere virale Nachrichten verbreiteten sogar regelrecht Panik. Im Mai wurde eine Nachricht über einen militärischen Lockdown in den Städten Mumbai und Pune in verschiedenen WhatsApp-Gruppen und einigen sozialen Medien geteilt. Daraufhin sind viele Menschen nach draußen gestürmt, um sich mit Lebensmitteln zu bevorraten. Dieses Mal reagierte die Polizei in Mumbai allerdings schnell. Sie twitterte: „Bei dem angehängten Text handelt es sich um eine Falschnachricht, die gerade vermehrt geteilt wird. Wenn Sie diese erhalten, unterbrechen Sie bitte die Kette und leiten Sie sie nicht weiter. Alle notwendigen Vorräte werden auch weiterhin vorhanden sein. Bitte befolgen Sie bei Ihrem Ausgangsverhalten die Lockdown-Richtlinien. #FakeMessageAlert”. Wie auch in vielen anderen Fällen sind daraufhin sehr bald Screenshots dieses Tweets der Polizei in Mumbai per WhatsApp an verschiedene Journalistengruppen gesendet worden.
 
Jency Jacob, leitender Redakteur des Faktencheck-Portals Boom, erklärt, warum sich in Indien gerade auf WhatsApp so viele Falschnachrichten tummeln: „WhatsApp ist die einfachste App, die es gibt. Sie verbraucht wenig Datenvolumen, vernetzt viele Leute und ist sehr privat. Kurz, sie hat viele nützliche Vorteile. Anders als Facebook oder Twitter, wo jeder sehen kann, was man postet, gibt es hier sehr viel Privatsphäre, so dass sich die Leute praktisch alles hin- und herschicken. Vor allem die Menschen aus ländlichen Regionen werden so plötzlich mit Nachrichten überflutet. Sie neigen dazu, alles zu glauben, was ihnen gesendet wird, und so kommt es schnell zu wilden Mobs und Lynchjustiz“, so Jacob. Bei Boom, erklärt der Redakteur weiter, entlarve man täglich fast ein Dutzend über WhatsApp verbreitete Falschmeldungen.
 
WhatsApp hat weltweit über 2 Milliarden Benutzer, davon über 200 Millionen allein in Indien.
© Goethe-Institut
WhatsApp hat weltweit über 2 Milliarden Benutzer, davon über 200 Millionen allein in Indien.


Ein anderes Mal streute ein regionaler Nachrichtensender eine Falschmeldung über Züge, die angeblich speziell Arbeiterinnen und Arbeitern mit Migrationshintergrund zur Verfügung stehen würden. Binnen weniger Stunden versammelten sich daraufhin Tausende von diesen vor einer Bahnstation in Mumbai, in der Hoffnung, hier einen Zug zurück in ihr Heimatdorf zu erwischen. Die Polizei musste Schlagstöcke einsetzen, um die Menge auseinanderzubringen. So konnten Ausschreitungen gerade noch verhindert werden. Kurz darauf identifizierte die Polizei über 30 Accounts auf verschiedenen Plattformen der sozialen Medien, die diese Falschnachricht über den Bahnverkehr bewusst verbreitet hatten.
 
WhatsApp bot daraufhin an, die Verbreitung solcher Falschinformationen einzudämmen und setzte eine Grenze bei der Weitersendung, so dass Nachrichten nur noch jeweils an einen Kontakt weitergeleitet werden konnten. Diese Grenze kommt automatisch zum Tragen, wenn eine Nachricht zuvor mindestens fünf Mal geteilt wurde.

Regulierung versus Meinungsfreiheit

Sanjay Kishan Kaul, Richterin am Obersten Gerichtshof, hat im Rahmen einer Online-Vortragsreihe zum Thema Fake News und Falschinformationen an die Verantwortung des Einzelnen appelliert, wenn es um das Teilen solcher Falschnachrichten geht: „Jede Art von Regulierung im Bereich Social Media kann das Recht auf Meinungsfreiheit und Privatsphäre einschränken. Die Herausforderung besteht darin, die sozialen Medien zu regulieren, ohne die Meinungsfreiheit zu beeinträchtigen. Jeder Einzelne sollte also dafür Verantwortung tragen, sämtliche Informationen vor dem Versenden auf Ihre Richtigkeit zu prüfen.“ Weiterhin warnte die Richterin: „Es kursieren viele Nachrichten über das Coronavirus, etwa über ‚Heilmittel‘, Herkunft, Menschen die ‚die Verbreitung des Virus beschleunigen‘ und so weiter. Diese Nachrichten schlagen oftmals religiöse und radikale Untertöne an. Wenn die Presse etwas schreibt, kann sie dafür haftbar gemacht werden. Sie handelt also verantwortungsbewusst. Andere dagegen müssen keine Rechenschaft über ihre verbreiteten Nachrichten abgeben.“
 
Indien kämpft derzeit nicht nur gegen das Coronavirus. Das Land kämpft gleichzeitig gegen ein anderes Virus: Fake News und Hate Speech. In beiden Fällen ist es schwierig, aber ungemein wichtig, einen Impfstoff dagegen zu finden.

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