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Katharina Finke
„Journalismus und menschliche Schicksale“

Das Coronavirus hat die Risse, die schon zuvor in der Medienlandschaft existierten, noch einmal deutlich zu Tage gebracht. Wir brauchen jetzt mehr denn je guten Journalismus.

Von Chaitanya Marpakwar

Die Journalistin und Autorin Katharina Finke berichtet aus aller Welt, auch aus Indien. Ihr Themenspektrum reicht von Umwelt über Frauen bis hin zu Reisen und Leben, außerdem hat sie bereits zwei Bücher geschrieben. Ihr Buch Mit dem Herzen einer Tigerin über Gewalt gegen Frauen in Indien war ein großer Erfolg in Deutschland und wurde sogar ins Polnische übersetzt. Inzwischen lebt Katharina in Berlin, wo sie gerade die Veröffentlichung ihres neuen Buchs vorbereitet. Sie ist der Ansicht, dass trotz der Informationsflut rund um das Thema Corona ein großes Misstrauen der Menschen gegenüber den Medien herrscht. Trotz der bedeutenden politischen und sozialen Entwicklungen, so die Journalistin, seien Länder wie Indien in den deutschen Medien unterrepräsentiert. Qualitätsjournalismus, erklärt Katharina, sei gerade in diesen Zeiten wichtiger denn je. Sie glaubt außerdem, dass es noch nie einen derartigen Bedarf an einer Berichterstattung gab, die menschliche Schicksale in den Vordergrund rückt. Obwohl durch die Pandemie Themen und Menschen aus anderen Ländern weniger im Zentrum des Interesses stehen, setzt sie sich dafür ein, dass die Geschichten dieser Leute erzählt werden.

Auszüge aus einem Gespräch

Inwieweit hat die Coronapandemie Ihre Arbeit beeinflusst? Wie haben Sie im Jahr 2020 Ihre Zeit genutzt?
 
Es war neu für mich, sozusagen an einem Ort gefangen zu sein, da ich normalerweise um die ganze Welt reise und von überall berichte. Andererseits hatte es auch sein Gutes, denn ich konnte die Zeit nutzen, um an meinem dritten Buch zu arbeiten. Ich hatte ohnehin vor, dies von Berlin aus zu tun und musste zum Glück keine Recherchereisen absagen. Im letzten Kapitel geht es um Lebensstile und die Balance zwischen Privatem und Beruflichem. Also habe ich die Berichte über die Pandemie für das Buch genutzt. Ich bin es gewohnt, sowohl von zuhause als auch an anderen Orten zu arbeiten. Aber dazu gehörte es auch immer, rauszugehen und Menschen zu treffen. Das ist nun nicht mehr möglich. Es war für mich immer wichtig, mich in der Welt umzuschauen und Dinge zu beobachten. Dieser für den kreativen Prozess so wichtige Austausch fällt nun weg. Das habe ich vermisst, und darunter leidet auch meine Arbeit.

Was hat Ihre Arbeit als Journalistin am meisten beeinträchtigt?
 
Die größte Veränderung war es, auf einmal keine Leute mehr interviewen zu können. Ich mache viele Reportagen, dazu muss ich vor Ort und nah an den Menschen dran sein – nicht nur ein Online-Interview machen, bei dem man all die Dinge nicht wahrnehmen kann, die eine Story ausmachen. Das ist für mich sehr wichtig, tief in eine Geschichte einzutauchen und ein Gespür für die Menschen zu entwickeln, indem ich sie in ihrer Umgebung beobachte. Das alles war mit einem Mal nicht mehr möglich, und das war die große Herausforderung.  
 
Wird der Journalismus nach der Pandemie ein anderer sein als vorher? Mit anderen Worten, wird sich die Pandemie auf die journalistische Arbeit auswirken?
 
Da bin ich mir noch nicht ganz sicher. Ich glaube, es kommt darauf an, wie lange die Pandemie noch voranschreitet. Auch wenn es noch zwei Jahre dauert, werden die Menschen diese Art von Reportage vermissen. Ich glaube aber nicht, dass sich der Journalismus an sich bedeutend ändern wird. Sollte das Ganze noch länger andauern, könnte sich allerdings tatsächlich etwas ändern. Das Gefühl für körperliche Nähe wird verlorengehen. Ich denke, wir werden damit leben müssen und andere Arten von Nähe erproben müssen. So kann man etwa bei Fernsehinterviews eine Maske tragen. Es ist also immer noch einiges möglich. Und es wird immer neue Ideen geben. Letztendlich glaube ich nicht, dass sich der Journalismus an sich groß verändern wird.
 
Sie schreiben Bücher und längere Artikel. Welche Rolle wird der Reportagejournalismus in Zukunft haben?
 
Er wird immer wichtig sein. Leider wird dieser journalistischen Darstellungsform nicht genug Raum gegeben. Es kommt natürlich darauf an, in welchem Land man ist. In Deutschland gibt es immer weniger Auslandsreportagen. Ich selbst kann meine Reportagen immer schlechter irgendwo unterbringen. Nehmen wir das Beispiel Südamerika. Hier gibt es so viele Themen, über die man berichten könnte, aber niemand interessiert sich dafür. Hier tragen die Medien heute wohl mehr Verantwortung denn je, denn sie formen Meinungen und schaffen ein Bewusstsein für Themen. Viele sind der Meinung, dass zu viel über Covid-19 berichtet wird und über andere Themen wie etwa die Flüchtlingskrise nicht mehr. Da ist schon etwas Wahres dran.
 
Aus welchem Blickwinkel berichten Sie in Deutschland über Indien?
 
Es wird hier sehr wenig über Indien berichtet. Alles dreht sich um Trump, aber für Modi und das, was gerade in Indien passiert, interessiert sich kaum jemand. Wenn, dann berichtet man über positive Dinge wie Ayurveda und Yoga, dabei gibt es noch sehr viele andere Dinge an Indien, über die man sprechen sollte.
 
Wie steht es mit der internationalen Berichterstattung über Covid-19? Sind hier gewissermaßen die Risse in der Medienlandschaft zu Tage getreten?
 
Auf jeden Fall. Durch die Pandemie sind die Probleme, die der Journalismus momentan hat, sehr deutlich geworden. Die internationale Berichterstattung hat an Bedeutung gewonnen. Das Thema Covid-19 steht an erster Stelle, andere Themen werden dafür unter den Teppich gekehrt. Nehmen wir einmal das Beispiel Wetter. Das Wetter ist wichtig, aber man kann doch nicht dauernd nur überall übers Wetter berichten. Es wird wirklich Zeit, auch andere Dinge zu thematisieren, nicht nur das Coronavirus.
 
Haben Sie dennoch irgendetwas an der Berichterstattung 2020 als positiv wahrgenommen?
 
Was den Journalismus betrifft, kann ich nichts wirklich Positives feststellen. Es gibt Menschen, die keine Nachrichten anschauen. Deren Standpunkt ist nun noch einmal untermauert worden, und sie glauben, dass sie überhaupt keine Medien brauchen. Darum steht der Journalismus jetzt vor einer noch viel größeren Herausforderung. Wir machen irgendetwas nicht richtig, müssen unsere Strategien ändern. Wir müssen mehr auf Zusammenarbeit setzen. Das war schon immer wichtig und wird es auch in Zukunft sein. Wir brauchen mehr Zusammenarbeit im eigentlichen Sinne. Es reicht nicht, für eine Geschichte Fixer zu engagieren. Wir müssen Journalisten und Journalistinnen vor Ort beschäftigen und so Fakten austauschen. Das ist nicht nur auf internationaler Ebene wichtig, sondern auch national. Nur durch Zusammenarbeit entsteht Diversität in den Medien. Diese Zusammenarbeit muss auf verschiedenen Ebenen funktionieren. Natürlich können wir uns mit Hilfe der Technik verbinden und gemeinsam arbeiten, aber das wird auf Dauer keine Gespräche von Mensch zu Mensch ersetzen können.

 

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