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Max Mueller Bhavan | Indien

Daniel Stähr über Sprache und Klimawandel
Klimaschutz oder Wachstum – ist das wirklich die Frage?

Kompletter Trockenfall der Isar
Eine Folge der steten Klimaerwärmung: Wasserknappheit im Isartal | Foto (Detail): © picture alliance / SZ Photo | Wolfgang Filser

Daniel Stähr ist empört: Immer noch wird seitens Politik und Wirtschaft suggeriert, man müsse zwischen Maßnahmen gegen den Klimawandel und Wohlstand wählen. Das verhindert wirksame Klimapolitik – und lässt die Klimakatastrophe bedrohlich näher rücken.

Von Daniel Stähr

Zu den größten Herausforderungen der Menschheit gehört der Klimawandel und die daraus erwachsende Klimakatastrophe. Doch der öffentliche Diskurs verläuft weiterhin sehr häufig so, dass Maßnahmen gegen diese lebensbedrohende Entwicklung verhindert werden.

Falsche Dichotomie

Einflussreiche Politiker*innen und Ökonom*innen behaupten gerne, wir müssten uns zwischen Klimaschutz und Wirtschaftswachstum entscheiden: Wolle man den globalen Temperaturanstieg in Zukunft reduzieren, müsse man heute auf Wohlstand verzichten.

Den offensichtlichen Klimawandel und die Gefahren einer Klimakatastrophe auf diese Art zu beschreiben, ist bizarr. Zum einen ignoriert dies, wie ungleich verteilt die verheerenden Folgen des sich drastisch verändernden Weltklimas sind. Die meisten Länder, die es am härtesten trifft, liegen auf der Südhalbkugel und gehören schon jetzt zu den ärmsten Staaten der Erde. Das menschliche Leid, das die Klimakatastrophe dort auslöst, ist mit irgendwelchen Wachstumsüberlegungen in Europa nicht aufzuwiegen.

Aber selbst für die reichen Länder des globalen Nordens ist es ein verhängnisvoller Irrglaube, dass eine Wahl zwischen Wohlstand und Klima vonnöten ist. Beides geht langfristig Hand in Hand, und je länger wir, wo auch immer wir uns befinden, zögern, desto schmerzlicher und teurer wird die Quittung.

Die klimapolitische These, man sei gezwungen, zwischen einem saturierten Leben und wohlstandsverhindernden Maßnahmen zum Schutze des Klimas zu wählen, hat prominente Vertreter, allen voran William Nordhaus. Der US-amerikanische Ökonom wurde 2018 mit dem Nobelgedächtnispreis der Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Mit seinen Klimamodellen zeigt er unter anderem, dass die optimale Erderwärmung angeblich bei 4 Grad Celsius liege. Bis zu dieser Marke übersteigen die Kosten, die aufgebracht werden müssten, um die Klimakatastrophe in Schach zu halten, schlicht und ergreifend das, was an Zerstörungen verhindert würde. Dass bei 4 Grad Erderwärmung große Teile des Planeten de facto unbewohnbar wären, interessiert den Ökonomen mitsamt seiner Modellrechnung nicht – die Rettung des Planeten als technokratische Effizienzüberlegung.

Technologieoffenheit, grünes Wachstum und andere sprachliche Tricks

Auch in der Politik ist es längst Mode, sich mit sprachlichen Tricks aus der Verantwortung zu ziehen. Eine der beliebtesten Erzählungen ist die vom Grünen Wachstum. So versprach der ehemalige Bundeskanzler Olaf Scholz, die „grüne Transformation“ würde Deutschland ein zweites Wirtschaftswunder bescheren. Grünes Wachstum ist ein verlockendes Versprechen, weil dadurch vermittelt wird, dass wir nichts Gravierendes ändern müssen. Wir tauschen einfach den dreckigen braunen oder grauen Strom aus Kohle, Erdöl und Erdgas gegen nachhaltige Energiequellen aus, et voila! Klimakatastrophe verhindert. Leider wird es nicht so leicht.

Ständig wird sprachlich suggeriert, alles werde schon irgendwie gut ausgehen. Dafür steht vor allem eines der Lieblingswörter der FDP: Technologieoffenheit. Doch zu behaupten, wenn sich der Staat raushielte und den Marktkräften freie Hand ließe, würden Lösungen vom Himmel fallen, grenzt an Realitätsverweigerung. Selbst wenn man davon überzeugt ist, die kapitalistische Marktwirtschaft sei in der Lage, Innovationen hervorzubringen, die die Klimakatastrophe effektiv bekämpfen, deutet nichts darauf hin, dass sie das auch schnell genug schafft. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die globalen Erdölproduzenten alles dafür tun, um eine grüne Transformation zu verhindern. Koste es, was es wolle.

Die Klimakatastrophe wartet nicht

Die Märkte werden die Menschheit nicht vor der Klimakatastrophe retten. Stattdessen braucht es Regierungen, die Verantwortung übernehmen und einen Weg finden, die Kosten des Klimaschutzes gerecht zu verteilen. Heißt im Klartext, dass diejenigen, die bisher am meisten von der Zerstörung unseres Planeten profitiert haben, auch am meisten für seine Rettung zahlen müssen.

Man könnte einwenden: Märkte werden die Klimakatastrophe nicht stoppen, aber eine veränderte Sprache auch nicht. Und das stimmt natürlich. Es wird selbstverständlich nicht reichen, nur unsere Sprachgewohnheiten an die Krise anzupassen. Aber wie wir über das Klima, unser Wirtschaftssystem und den Zusammenhang zwischen beiden sprechen, kann darüber entscheiden, welche Lösungen wir uns überhaupt vorstellen können. Eine Sprache, die die Drastik der Situation angemessen abbildet, muss der erste Schritt sein, wenn wir als demokratische Gesellschaften das Schlimmste verhindern wollen. Ansonsten wird uns früher oder später die Klimakatastrophe diktieren, wie unser Leben aussieht.
 

Sprechstunde – die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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