ARD-Serie „Schwarze Früchte“
Identität im Ausnahmezustand

Lalo (Lamin Leroy Gibba) und Joshua (Daniel Hernandez) einander anschauend
Lalo und Joshua: Eindeutige Blicke, vieldeutige Gefühle | © ARD Degeto/Jünglinge Film/Studio Zentral/Maïscha Souaga

Lalo will Künstler werden, ist aber vor allem eins: überfordert. Mit sich selbst, mit anderen und mit dem Leben an sich. Die ARD-Serie „Schwarze Früchte“ erzählt von queerer Identität, familiären Altlasten und der Kunst, sich selbst nicht zu verlieren. Mit einer sexy Bildsprache und einem Cast, der Vielfalt lebt.

Von Patrick Heidmann

Auf eine Serienfigur wie Lalo musste Deutschland lange warten. Gar nicht so sehr, weil der junge Mann der ARD-Serie Schwarze Früchte Schwarz und queer ist – auch wenn beides hierzulande, vor allem in dieser Kombination, selten eine Bühne bekommt. Vielmehr, weil Lalo jemand ist, der scheinbar so gar nicht dazu taugt, das Publikum an die Hand zu nehmen: ein bisschen zu passiv-aggressiv, durchaus narzisstisch und im Kern reichlich verunsichert. Weswegen man sich am Ende womöglich deutlich mehr mit ihm identifizieren kann, als einem angenehm ist.

Er habe nicht strategisch überlegt, was in der deutschen Fernsehlandschaft fehle, erklärte Lamin Leroy Gibba – seines Zeichens Schöpfer, Showrunner und Hauptdarsteller von Schwarze Früchte – nach der Premiere der Serie beim Tribeca Film Festival 2024. „Ich habe vielmehr darüber nachgedacht, was mir persönlich fehlt“, sagte der Hamburger. „Und das nicht nur in Sachen Schwarzer Perspektiven, sondern auch stilistisch, von der Tonalität und einem bestimmten Humor. Ich wollte komplexe Figuren zeigen und als Schauspieler ausprobieren, wie weit man mit einem widersprüchlichen Protagonisten gehen kann, von dem sich ein Publikum vielleicht immer wieder distanzieren möchte, sich aber gleichzeitig selbst in der Fehlerhaftigkeit und Verletzlichkeit der Figur wiedererkennen kann.“

Konstant unausgereift

Lalo also treibt in seinen Zwanzigern ziemlich ziellos durch seine Heimatstadt, die er wie manch anderes mit Gibba teilt. Das Studium ist abgebrochen und die Idee vom Künstlerdasein bestenfalls vage formuliert, der noch nicht lange zurückliegende Tod des Vaters ist kein bisschen verarbeitet und die Beziehung zu Tobias (Nick Romeo Reimann) – das zeigt gleich die erste von acht Episoden – wird weder lange halten noch von einem Tag auf den nächsten abgehakt sein.

Ihm zur Seite – oder gegenüber – steht Karla (Melodie Simina), seine beste Freundin aus Kindheitstagen. Auf den ersten Blick steht sie in ihrem Leben an einem vollkommen anderen Punkt, ist selbstbewusst und zielstrebig, gerade erst gab es vom unangenehm distanzlosen Vorgesetzten eine fette Beförderung. Doch hinter ihrem toughen Auftreten ist unschwer einen Abgrund aus Zweifeln zu erkennen.

Zwischen Selbstermächtigung und Cringe-Comedy

Was Gibba und sein Writers Room rund um diese beiden als Story entwickelt haben, ist weniger Plot-getrieben als vielmehr das Beobachten eines Findungsprozesses. Einer Suche danach, wo man hinwill und wer man eigentlich ist, was es bedeutet, wirklich erwachsen zu werden, und warum die eigene Vergangenheit einen dabei fest im Griff hat. Identitätsfragen, denen sich die Serie mit enormem Feingefühl nähert und die sie messerscharf einfängt.

Weil gerade Lalo sich dabei immer wieder in unangenehme Situationen bringt, in denen man sich als Zuschauer*in der Fremdscham nur schwer erwehren kann, könnte man Schwarze Früchte durchaus als Cringe-Comedy im Stile von Curb Your Enthusiasm beschreiben. Wobei Fleabag oder Insecure die passenderen Vergleiche sind. Schließlich kommt hier ein Moment der Selbstermächtigung zum Tragen, wenn Showrunner*innen von Menschen erzählen, denen dieser Raum im männlich-weißen Mainstream selten zugestanden wird. Womit dann auch die Nähe zu Serien wie Sort Of, Ramy oder Please Like Me hergestellt ist, in denen ebenfalls Selbstfindungsgeschichten unterfüttert werden mit den Lebensrealitäten und Erfahrungen der Schöpfer*innen zwischen Queerness, Race und anderen kulturelle Hintergründen.

Eine Schwarz-queere Ansage an die deutsche Filmbranche

Dass praktisch alle Figuren in Gibbas Serie Schwarz und/oder queer sind, ist einerseits der springende Punkt und ist es auch wieder nicht. So sehr Schwarze Früchte eine bemerkenswerte Vielfalt Schwarzer Perspektiven abbildet und so sehr hier mitunter enorm spezifische Momente aus dem Gefühls- und Sexleben queerer Menschen präsentiert werden, so wenig werden die Figuren darauf reduziert.

Dass sich das Ensemble und das Team hinter der Kamera bewusst aus queeren und teils sehr jungen People of Color zusammensetzt, ist natürlich eine Ansage an und für die deutsche Filmbranche – und sie verfehlt ihr Ziel nicht. Was Gibba, das Regie-Duo Elisha Smith Leverock und David Uzochukwu sowie ihre Mitstreiter*innen leisten, ist außergewöhnlich – vom authentischen Spiel über die ungekünstelten Dialoge bis hin zur Bildsprache, die stilbewusst und sexy gleichermaßen ist. Kurz gesagt: Schwarze Früchte ist ein herrlich komischer und herzzerreißend emotionaler Triumph, für den man nicht zuletzt in Deutschland dankbar sein muss.
Schwarze Früchte
Regie: Elisha Smith-Leverock, David Uzochukwu
Drehbuch: Lamin Leroy Gibba, Sophia Ayissi, Naomi Kelechi Odhiambo, Lisa Tracy Michalik, Sarah Claire Wray
Besetzung: Lamin Leroy Gibba, Melodie Simina, Vanessa Yeboah, Benjamin Radjaipour, Daniel Hernandez, Nick Romeo Reimann, Christine Rollar
8 Episoden à 30 Minuten
Produktion: Jünglinge Film, Studio Zentral, ARD Degeto

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