Ensemble Il ServoMuto
Galassia Luther

Non un’opera buona (Kein gutes Werk)

„In diesem Leben werden wir nie rein genug sein,
um ein gutes Werk zu vollbringen
ohne dabei gleichzeitig zu sündigen.“
(Martin Luther)

Fünfhundert Jahre nach dem Anschlag der 95 Thesen an das Portal der Schlosskirche zu Wittenberg herrscht noch immer keine einheitliche Meinung über den Menschen Martin Luther: Ein Heiliger und zugleich ein Teufel, ein Diener Gottes und zugleich ein Sünder, ein Häretiker und zugleich ein Weiser, ein Ordensbruder mit unerschütterlichen Prinzipien und zugleich ein Individuum ohne Selbstkontrolle…  Wie kann eine einzelne Person all diese unterschiedlichen Wesenszüge in sich vereinen? Und was lehrt uns die Lebensgeschichte Martin Luthers noch heute hinsichtlich der Fehlbarkeit, der Inkohärenz und der Schwäche des Menschen?

Unter Rückgriff auf historische Dokumente und Bildquellen, Essays und Dramen – wie etwa Osbornes berühmten Luther – beleuchtet die Inszenierung den widersprüchlichen Charakter des Protagonisten: Trotz seines zwiespältigen Verhältnisses zum Sünden-Begriff lehnte er sich entschieden gegen ein Papsttum und einen Klerus auf, welche zu ihren düstersten Zeiten ein fruchtbares Terrain für die verwerfliche Praktik des Ablasshandels geschaffen hatten.

In rückblickend-chronologischer Anordnung werden die wichtigsten Etappen auf dem Lebensweg Luthers dargestellt, bis hin zum Reichstag zu Worms, wo er eine seiner zahlreichen „häretischen“ Äußerungen tat, welche später zu einer zukunftsweisenden Doktrin werden sollte.

Non un’opera buona (Kein gutes Werk) – Ensemble Il ServoMuto Non un’opera buona (Kein gutes Werk) – Ensemble Il ServoMuto | © Silvia Varrani

REGIeanmerkung

Im Mittelpunkt unserer Inszenierung soll nicht nur ein Protagonist der abendländischen Geschichte stehen, sondern vor allem ein Mann, der sich gegen das herrschende System aufgelehnt hatte.

Aus unserem vorbereitenden Studium des – vorwiegend katholisch geprägten – Quellenmaterials ergab sich ein extrem uneinheitliches, bisweilen geradezu widersprüchliches Bild der Persönlichkeit Martin Luthers, und wir haben uns gefragt, wie ein einzelner Mensch derart unterschiedliche Charakterzüge in sich bergen kann. Hieraus enstand der Wunsch, jene zahlreichen Seelen darzustellen, die in der Brust des Reformators wohnten. Die erste Szene ist frei erfunden und spielt zu Zeiten von Luthers Tod: Philipp Melanchton, diplomatisch versierte rechte Hand des Reformators, trifft sich mit dem Papst, um über ein Ende des in Deutschland und Europa wütenden Religionskriegs zu verhandeln.

Diese hypothetische Begegnung bildet den Ausgangspunkt für eine Reihe von Flashbacks, die einzelne Episoden aus dem Leben des Protagonisten beleuchten. Zwei zunächst entgegengesetzte Betrachtungsperspektiven verschmelzen langsam zu einer Synthese, und am Ende dominiert der menschliche Aspekt Luthers die Erzählung. Auf einer minimalistisch ausgestatteten Bühne interpretieren vier Schauspieler jeweils mehrere Schlüsselfiguren aus dem Leben des Protagonisten, verändern in perfekter Synchronie die Anordnung der einzelnen Requisiten und stellen so einen konkreten zeitlichen und örtlichen Bezugsrahmen der Ereignisse her. Zum Klang einer Spieluhr verflechten sich die einzelnen Zeitebenen miteinander, und die Chronologie der biografischen Erzählstruktur löst sich auf.

Ausgangspunkt für unsere historische Dokumentationsarbeit war die Überzeugung, dass Martin Luther nicht nur unter theologischem, ideologischem und historischem Gesichtspunkt eine fundamentale Bedeutung für die Nachwelt zukommt, sondern auch und vor allem als Mensch, mit all seinen Schwächen, einschließlich seiner Inkohärenz. Ob als starker Leader, Liebhaber weltlicher Genüsse auf Kollisionskurs mit dem Regelkodex des Katholizismus („Wer der Versuchung widersteht, hat nichts verstanden!“) und eifriger Verfechter seiner neuen „Kirche des Weins und des Schinkens“ oder als frommer Mönch, der „Menschen ohne Gott“ mit „leeren Hüllen“ gleichsetzte: Stets umgab Luther eine Aura der Spiritualität, die ihm bis heute den Ruf eines Helden einbringt.

Mario Scandale