Gespräch mit Experten auf dem grünen Sofa
Inklusion in der Schule in Deutschland und Italien

Wassilios E. Fthenakis – Francesca Caferri – Vinicio Ongini
Wassilios E. Fthenakis – Francesca Caferri – Vinicio Ongini | © Goethe-Institut Italien / Christine Pawlata

Inklusion von Minderjährigen mit Fluchterfahrung in Deutschland und Italien waren das Gesprächsthema einer Debatte am Goethe-Institut Rom. Zur Gast auf dem Grünen Sofa waren Wassilios Fthenakis, Präsident des deutschen Didacta Verbands der Bildungswirtschaft, und Vinicio Ongini, Experte für Interkulturalität und Migration des italienischen Bildungsministeriums. Es moderierte Francesca Caferri, Journalistin von La Repubblica.

Kinder mit Migrationshintergrund in Deutschland und Italien

Vinicio Ongini (Ausschnitt) Vinicio Ongini (Ausschnitt) | © Goethe-Institut Italien / Christine Pawlata Etwa 350.000 Minderjährige mit Fluchterfahrung sind seit 2015 in Deutschland angekommen. Insgesamt haben ungefähr ein Drittel aller Schüler in Deutschland mindestens einen nicht-deutschen Elternteil. Weniger intensiv war der Zuzug von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Italien. „Was uns die Medien nicht erzählen, ist, dass die Zahl der nicht-italienischen Schüler in den letzten Jahren nicht mehr zugenommen hat“, erklärte Vinicio Ognini. „Viele Familien kehren in ihre Herkunftsländer zurück oder ziehen nach Nordeuropa. Der Grund dafür liegt vor allem bei der Wirtschaftskrise“, so Vinicio Ongini.

Ein großer Teil der Minderjährigen kam über Familienzusammenführung ins Land, 65% der derzeit 820.000 Schüler mit nicht-italienischer Staatsbürgerschaft sind in Italien geboren. Die Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sei schwerer zu fassen. Der Großteil von ihnen versuche nach Nordeuropa weiterzureisen, nur ein paar Tausend finden den Weg in die italienischen Schulen.

Gemeinsames Lernen statt separater Klassen

Wassilios E. Fthenakis (Ausschnitt) Wassilios E. Fthenakis (Ausschnitt) | © Goethe-Institut Italien / Christine Pawlata Beide Experten betonten, dass die Inklusion von diesen Kindern und Jugendlichen nur funktionieren könne, wenn das ganze Bildungssystem auf gemeinsames Lernen ausgerichtet sei und man keine separaten Klassen bilde. Weiter müssen die Familien und die direkte Umgebung der Schüler in den Bildungsprozess miteinbezogen werden. „Bildung ist ein sozialer Prozess, eingebettet in verschiedene Kontexte und Kulturen“, argumentierte Wassilios Fthenakis.

Obwohl Italien im Vergleich zu Deutschland auf eine kürzere Erfahrung bezüglich Kinder mit Migrationshintergrund zurückblicken kann, gibt es im Land schon seit über 40 Jahren ein Bildungsmodell, bei dem Inklusion zentral steht und alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Das Modell mit dem Namen „Der italienische Weg“, wurde anfangs für Kinder mit Behinderungen entwickelt.
 

Ongini bedauerte, dass dieses Modell nicht flächendeckend funktioniere. Oft stehe der erfolgreichen Umsetzung des Inklusionsmodells ein Mangel an finanziellen Ressourcen und geschulten Fachkräften im Weg. Für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gebe es nicht einmal eine Richtlinie des italienischen Bildungsministeriums.

Mitglieder aus dem Publikum bestätigten Onginis Erfahrung. Eine Gymnasiallehrerin berichtete, dass es an ihrer Schule jährlich nur neun Sprachförderstunden für Schüler, die noch nicht ausreichend Italienisch sprechen, vorgesehen seien.

Ein auf Wettbewerb ausgerichtetes Schulsystem verhindert Inklusion

Während Italien zumindest theoretisch auf ein Bildungssystem zurückgreifen kann, das auf Inklusion basiert, sieht Didacta Präsident Fthenakis ein grundlegendes Problem im deutschen Bildungssystem. Es baue seiner Meinung nach zu sehr auf Wettbewerb auf und verhindere damit erfolgreiche Inklusion.
 
 
Ein weiteres Problem sieht Fthenakis bei der Ausbildung der Lehrer. „Wir haben es leider unterlassen eine Modernisierung der Ausbildung unserer Fachkräfte einzuleiten“, so der Präsident des Didacta Verbands. „Nicht die Kinder sind das Problem. Die nicht rechtzeitig eingeleitete Reform unseres Bildungssystem ist das Problem.“

Großen Wert legt Fthenakis vor allem auf die Arbeit an der Muttersprache, dem Selbstwertgefühl, sowie an der räumlichen und sozialen Orientierungsfähigkeit der einzelnen Schüler.
 
 
Beide Experten sind sich einig, dass von einem inklusiven Bildungssystem die ganze Gesellschaft profitieren würde. „Die Migranten, die Kinder die nicht aus dem System kommen, sind die Hefe im Teig der Gesellschaft“, sagt Fthenakis. „Nur im Zusammenklang der Kulturen kann sich Neues und Positives entwickeln.“