Städte mit Zukunftsperspektive

Stadt der Zukunft
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Weltweit leben über 4,5 Milliarden Menschen in Städten. Bis 2050 werden es voraussichtlich 70 Prozent der Weltbevölkerung sein. Gleichzeitig sehen Experten in dem seit dem 19. Jahrhundert zu beobachtendem Prozess der Verstädterung eine Hauptursache für die drohende Klimakrise. In den städtischen Agglomerationsräumen sind die Auswirkungen des Klimawandels bereits heute spürbar: Während der zunehmenden Hitzeperioden steigt die Temperatur in den Städten stärker an als auf dem Land. Und die immer häufiger auftretenden Starkregenereignisse führen vor allem in Städten, in denen die Regenmassen nicht schnell genug versickern können, zu Überschwemmungen und Überflutungen. Wenn die Städte langfristig überleben wollen, müssen sie nicht nur ihre negativen Auswirkungen auf das Klima reduzieren (zum Beispiel den Ausstoß von Kohlendioxid und Feinstaub), sondern auch Maßnahmen ergreifen, um sich wirksam vor den Folgen der Klimakrise zu schützen. Beispiele für solche Maßnahmen gibt es viele.

Von Magda Roszkowska

 1. Lebensmittelsicherheit

Vor der Apotheke wächst Minze, weil sie als Heilpflanze gilt. Vor dem Optikergeschäft wachsen Möhren, weil sie die für die Sehkraft wichtigen Carotinoide und Vitamin A enthalten. In der zwischen Bonn und Frankfurt gelegenen 30 000-Einwohner-Stadt Andernach, die seit über einem Jahrzehnt als „essbare Stadt“ gilt, wachsen darüber hinaus auch Tomaten, Zwiebeln, Bohnen, Nüsse, Feigen, Weintrauben, Quitten, Kirschen und viele andere Obst- und Gemüsesorten. Alles begann mit Tomaten: Als die UNO das Jahr 2010 zum internationalen Jahr der Biodiversität erklärte, ließ der Andernacher Landschaftsplaner Lutz Kosack 101 Tomatensorten im öffentlichen Raum der Stadt pflanzen, die die Einwohner nicht nur anschauen, sondern auch essen durften. Weil die Idee so gut ankam, wurden in den folgenden Jahren immer mehr Obst- und Gemüsesorten angebaut und immer mehr Grünflächen in Beete umgewandelt.  Um die Pflege der Gemüsebeete kümmern sich eine gemeinnützige Gesellschaft und ein Team von Langzeitarbeitslosen. Das Projekt erlangte überregionale Bekanntheit und machte Andernach zu einer Touristenattraktion: Inzwischen gibt es die Flyer mit Stadtplänen, auf denen die einzelnen Stationen der „Essbaren Stadt“ eingezeichnet sind, bereits in mehreren Sprachen. Und auch wenn die Erträge nicht ausreichen, um sämtliche Einwohner Andernachs zu ernähren, ergänzen sie doch die lokalen Lebensmittelkreisläufe und sensibilisieren die Menschen für das Thema Lebensmittelsicherheit.
 


Die Ereignisse der vergangenen Jahre (die Covid-19-Pandemie und der russische Überfall auf die Ukraine) haben deutlich gemacht, wie instabil unsere globalen Lieferketten sind. Früher kritisierte man vor allem ihre negativen Auswirkungen auf die Umwelt, doch erst der eingeschränkte Zugang zu bestimmten Produkten führte zu einer allgemeinen Ernüchterung. Viele Städte erkannten zunehmend den Wert lokaler Lebensmittelkreisläufe, die auf regionalen landwirtschaftlichen Betrieben, Konsumgenossenschaften, städtischen Bauernhöfen, Gemeinschaftsgärten und Stadtgärten – wie denen in Andernach – basieren.

2023 rief das Grünflächenamt der Stadt Krakau ein langfristiges Projekt mit dem Titel „Jadalny Kraków“ („Essbares Krakau“) ins Leben. An dem Projekt beteiligen sich mehrere Bibliotheken, Museen und Theater, die die Grünflächen vor ihren Gebäuden in Obst- und Gemüsebeete umwandeln. An die Einwohner wurden kostenlose Samentüten verteilt, mit denen sie auf ihren Balkons und Innenhöfen Nutzpflanzen und Wildblumen anpflanzen können. Die so entstandenen bunten Wiesen sind vor allem als Nahrungsquelle für Vögel und Insekten gedacht, denn auch die nicht-menschlichen Einwohner Krakaus sollen von dem Projekt profitieren. Zusätzlich werden im Rahmen des Projekts Workshops zum Thema urbaner Gartenbau angeboten und Listen mit wild wachsenden Obstbäumen, Sträuchern und Kräutern erstellt, die zum Beispiel aus ehemaligen Vorstadtgärten übrig geblieben sind. Im städtischen Raum wurden Gemüse und Kräuter angepflanzt. Im kommenden Frühling werden die Organisatoren des Projekts die erste innerstädtische Kleingartenkolonie einweihen, in der die Einwohner Krakaus mithilfe gemeinschaftlich genutzter Wasserzapfstellen und Gartengeräte ihr eigenes Obst und Gemüse anbauen können. Bereits heute gibt es in Krakau über ein Dutzend Gemeinschaftsgärten, eine dynamische Konsumgenossenschaft, die die Einwohner direkt mit regionalen Landwirten verbindet, und sogar einen Stadtbauernhof, auf dem man sich einmal in der Woche mit frischen, nachhaltigen und saisonalen Produkten eindecken kann.
 

2. Nachhaltige und gemeinschaftliche Energie

Die 2 600-Einwohner-Gemeinde Wildpoldsried im Allgäu produziert 500 Prozent ihres eigenen Energiebedarfs. Den überschüssigen Strom verkauft sie an örtliche Energieversorger, von den Erlösen profitieren die Einwohner. Es gibt fünf Biogasanlagen, elf Windräder, drei Wasserkraftanlagen sowie eine mit Biomasse betriebene Dorfheizung, die öffentliche Gebäude, lokale Betriebe und private Haushalte mit Wärme versorgt. Und selbstverständlich sind viele Privathäuser und sämtliche öffentlichen Gebäude mit Fotovoltaikanlagen ausgestattet.
Die grüne Revolution begann in Wildpoldsried bereits in den 90er-Jahren und wurde zum größten Teil von den Einwohnern und den lokalen Milchviehbetrieben finanziert. Heute ist die Gemeinde vollständig energieautark und erzeugt ihren Strom und Wärme ohne CO2-Emissionen. Die Wildpoldsrieder haben keine Angst vor globalen Lieferkrisen, steigenden Rohstoffpreisen und der Abhängigkeit von großen Energiekonzernen. Im Winter haben sie es kuschelig warm, denn ihre Strom- und Heizkosten liegen 75 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Die Gemeinde gilt inzwischen als ein Musterbeispiel für die Erzeugung dezentraler, lokaler und nachhaltiger Energie, die nicht nur die Umwelt schont, sondern auch die Versorgungssicherheit garantiert.
 


Im 40 Kilometer nördlich von Warschau gelegenen Serock gründete ein Mitglied der Stadtverwaltung gemeinsam mit mehreren Bürgern (darunter auch dem Bürgermeister) die Bürgerenergiegenossenschaft „Słoneczny Serock“ („Sonniges Serock“). Ihr Ziel ist die Errichtung eines Solarparks, der den gesamten Energiebedarf der Genossenschafter decken soll. Die Fotovoltaikmodule sollen auf einer stillgelegten Müllhalde einige Kilometer außerhalb der Stadt aufgestellt werden. Ihr Ankauf und ihre Installation werden von den Genossenschaftern finanziert, die bisher lediglich auf die Genehmigung zum Anschluss des Solarparks an das Stromnetz warten.
Es gibt noch mehr Möglichkeiten der energetischen Selbstversorgung: Im masurischen Szczytno traten die Einwohner eines Wohnblocks zunächst aus ihrer Wohnungsbaugenossenschaft aus und gründeten eine eigene. Anschließend investierten sie in den Kauf von zwei Wärmepumpen und errichteten eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach ihres Gebäudes. Als dies nicht ausreichte, um ihren gesamten Strombedarf zu decken, installierten sie zusätzliche Solarmodule auf den zu diesem Zweck umgebauten Balkonen. Heute produzieren sie ihren Strom und ihre Wärme selbst. Die Erträge aus dem zusätzlich erzeugten Strom sollen für zukünftige Investitionen genutzt werden – der Genossenschaftsvorstand plant bereit den Ankauf eines Stromspeichers.   

3. Schwammstädte

Die Zahl der Tage mit extrem hohen Temperaturen nimmt in Deutschland deutlich zu. Im Juli 2022 wurde in Hamburg erstmals die 40-Grad-Marke erreicht. Und im Sommer 2018 wurden in Frankfurt am Main 42 heiße Tage gezählt, während der bundesweite Durchschnitt bei 20 lag. Eine Folge dieses Temperaturanstiegs sind Dürreperioden, auf die Starkregenphasen mit Hochwasser folgen. Deutschland und Polen sind von diesem Phänomen besonders betroffen, denn sie zählen zu den Regionen mit dem höchsten Grundwasserverlust weltweit. Seit 2000 verliert Deutschland 2,5 Kubikkilometer Wasser pro Jahr. Großstädte haben bereits jetzt mit den Folgen des Wasserverlusts zu kämpfen: Das Regenwasser kann auf den großen, betonierten Flächen nicht versickern, sondern wird – zusammen mit den unterwegs aufgenommenen Verunreinigungen – in die Kanalisation abgeleitet, die mit den anfallenden Wassermengen zunehmend überfordert ist. Infolgedessen kommt es in Großstädten immer häufiger zu Überschwemmungen und Überflutungen. Experten fordern bereits seit Jahrzehnten, dass unsere Städte wie Schwämme werden müssen, die das Wasser aufnehmen, speichern und bei Bedarf wieder abgeben, zum Beispiel während Dürreperioden.
 


Eine der Städte, die dieser Forderung nachkommen, ist Berlin, wo seit 2018 bei sämtlichen Bauvorhaben das Regenwasser grundsätzlich auf dem Grundstück zurückgehalten und bewirtschaftet werden muss. Im Quartier 52° Nord in Berlin-Grünau wird das Regenwasser zum Beispiel von Gründächern und Grünflächen aufgenommen und über unterirdische Rohre und Filteranlagen in drei 3 600 Kubikmeter Wasser fassende Wasserbecken geleitet. Auf diese Weise wird das Wasser wieder dem natürlichen Wasserkreislauf zugeführt, und an heißen Tagen entsteht durch die Verdunstung ein kühleres Mikroklima.

Zusätzlich werden immer mehr Berliner Gehwege entsiegelt, öffentliche Gebäude mit Gründächern und Grünfassaden ausgestattet und auch die Gleisbette zunehmend begrünt. Auch die städtischen Parkanlagen werden mit Blick auf das Regenwassermanagement umgestaltet und der Anteil biologisch aktiver Flächen deutlich erhöht.

In Polen kündigte die Stadt Danzig vor einigen Jahren an, Maßnahmen zur Regenwasserbewirtschaftung zu ergreifen – wenn auch bisher nicht in demselben Ausmaß.

4. Wärmeinseln und saubere Luft

Gründächer und Grünfassaden. Ausgedehnte Parks und Grünflächen. Von Bäumen gesäumte Straßen. Diese stadtplanerischen Lösungen halten nicht nur das Regenwasser zurück und reinigen die Luft, sondern wirken auch dem Phänomen städtischer Wärmeinseln entgegen. Dieser Begriff beschreibt den Temperaturunterschied zwischen Städten und ihrem Umland: Je dichter die Bebauung und je höher der Anteil asphaltierter und betonierter Flächen, desto höher steigen die Temperaturen. Im vergangenen Jahr wurden die höchsten Durchschnittstemperaturen in Berlin, Baden-Württemberg und im Saarland gemessen. In Polen ist es seit Jahren in Breslau am wärmsten.

5. Gebäuderecycling

Städte, die ihren schädlichen Einfluss auf die Umwelt reduzieren wollen, dürfen keine weiteren Grünflächen für Bauvorhaben opfern. Eine verantwortungsvolle und nachhaltige Stadtentwicklung beinhaltet auch einen sinnvollen Umgang mit Ressourcen – auch mit der bereits bestehenden Bebauung.

Der Frankfurter Stadtteil Niederrad liegt zwischen dem Stadtzentrum und dem Flughafen. In den 60er-Jahren entstand hier ein typischer Bürokomplex: Die Frankfurter kamen morgens zur Arbeit nach Niederrad und fuhren abends wieder nach Hause. 2007 erwies sich, dass rund 30 Prozent der Büroräume leer standen. Gleichzeitig benötigte die Stadt dringend neue Wohnungen für die wachsende Bevölkerung.  Anstatt nach weiteren Baugrundstücken zu suchen, entschied sich der Stadtrat, die Bürostadt Niederrad in ein gemischtes Stadtquartier umzugestalten. Einige der Bürotürme wurden in Wohngebäude umgewandelt, andere wurden abgerissen und durch neue Gebäude mit modernen Mietwohnungen ersetzt. Außerdem wurden Geschäfte und Kindertagesstätten gebaut und zusätzliche Parks und Grünflächen angelegt.

Auch in Polen werden einzelne Gebäude umgestaltet. Im November vergangenen Jahres wurde in Krakau ein Wettbewerb zum Umbau des ehemaligen Hotel Cracovia entschieden. In Kürze soll hier ein Museum für Design und Architektur sowie ein Modellzentrum zur Förderung der Kreativwirtschaft entstehen. Das in den 60er-Jahren von dem bekannten Architekten Witold Cęckiewicz entworfene Gebäude sollte ursprünglich abgerissen und durch ein Einkaufszentrum ersetzt werden. Erst Proteste der Bürger sorgten dafür, dass das ehemalige Hotel dem Krakauer Nationalmuseum übergeben wurde.
 
In Polen werden immer mehr Neubauten mit extensiven Gründächern ausgestattet, jedoch nicht, um die Umwelt zu schonen, sondern um die biologisch aktive Gebäudefläche zu erhöhen und so an Grünflächen im Umfeld der Gebäude zu sparen. Auch wenn der Zugang zu städtischem Grün auf diese Weise zusätzlich reduziert wird, können die Bauunternehmer sich so als ökologisch verantwortungsvoll darstellen. Städte, die sich wirksam vor zukünftigen Umweltbedrohungen schützen wollen, müssen also auch Mechanismen zur Erkennung von Greenwashing implementieren.

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