Symposium und Dokumentarfilme Bauhaus: Der Imperativ der Transparenz

Bauhaus: Symposium © Goethe-Institut

Mo, 02.12.2019 –
Di, 03.12.2019

16:00 Uhr – 20.00

Moderna galerija

Bauhaus: Symposium

Symposium + Dokumentarfilme

100 JAHRE BAUHAUS: WARUM MÜSSEN WIR TRANSPARENZ HINTERFRAGEN?
 
Die Kunstschule Bauhaus wurde 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet. Die Schule für bildende Kunst, Architektur und Handwerk bestand bis 1933 und wurde in Weimar, Dessau und Berlin von Studierenden aus aller Welt besucht. Auch hundert Jahre später sind die Ideen dieses berühmten Experiments noch immer höchst aktuell.

Bauhaus: Der Imperativ der Transparenz hinterfragt anhand von Dokumentarfilmen und Symposien die Verbindung der Schule mit der Idee von Transparenz in den Bereichen Architektur und Kunst sowie in der Gesellschaft kritisch. Weiters wird der Einfluss des Bauhauses in Slowenien und der weiteren Umgebung präsentiert, für den Bauhaus-Studierende aus Ex-Jugoslawien verantwortlich zeichnen.
Die Bauhaus-Meister Walter Gropius und Mies van der Rohe führten die Transparenz systematisch in die Architektur ein. Gropius entwarf gemeinsam mit Adolf Meyer die erste Glasfassade für das moderne Fagus-Werksgebäude (1911). Später baute Gropius im Bauhaus-Hauptgebäude in Dessau die damals größte Glasfassade (1926), die zu einem revolutionären Prototyp in der Architektur wurde. Dieses Gebäude war ein Verfechter von Abstraktion, Technologie und Transparenz. Es manifestierte die Offenheit der modernen Menschheit. Mies van der Rohe begründete in seiner Architektur (Seagram Building, Farmsworth House, Lake Shore Drive Apartments) ebenso einen der einflussreichsten Prototypen „transparenter“ Bauten, die die Architektur weltweit von Grund auf veränderten.
Die Suche nach Transparenz in der Architektur des 20. Jahrhunderts, in der das Bauhaus eine entscheidende Rolle spielte, ist allerdings als Nachweis radikaler gesellschaftlicher Veränderungen der Moderne zu verstehen.
 
Was ist Transparenz? Wollen wir heute, da ein Übermaß an Transparenz herrscht, noch immer durchsichtig sein? Was ist das Erbe des Bauhauses, vor allem auf dem Gebiet der Transparenz, die wir heute leben? Die Gäste des Symposiums Bauhaus: Der Imperativ der Transparenz werden versuchen, Antworten auf diese Fragen zu finden, während die Dokumentarfilme die Ideen des Bauhauses und deren Realisierung vorstellen.
 
Die Veranstaltung findet in englischer Sprache statt. Die Filme sind auf Deutsch mit englischen Untertiteln. Der Eintritt ist frei.

PROGRAMM
 
Das Bauhaus und die Architektur | Dokumentarfilme
Montag, 2. Dezember 2019, 16.00–20.00

 
16.00–17.45: Bauhaus – Modell und Mythos Dokumentarfilm (1998/2009), Kerstin Stutterheim, Niels Bolbrinker, 104 min 

Pause
 
18.00–19.45: Haus Tugendhat, Dokumentarfilm (2013), Dieter Reifarth, 112 min
 
Bauhaus: Der Imperativ der Transparenz | Symposium
Dienstag, 3. Dezember 2019, 16.00–20.00

 
16.00–17.45: Das Bauhaus und die Transparenz | Vorträge 

Jörg H. Gleiter: Transparenz: Die Evolution der Grundsätze der modernen Architektur
Sven Olov Wallenstein: Die Dialektik der Transparenz
Diskussion

Pause
 
18.00–19.00: Der Einfluss des Bauhauses in Slowenien und der weiteren Umgebung | Vorträge

Vesna Meštrić: Das Bauhaus als Ausbildungsmodell
Bogo Zupančič: Der Nachhall der Kunstschule Bauhaus, Richtung B
 
19.00–20.00: Das Bauhaus und die Transparenzz | runder Tisch
 
Mit Jörg H. Gleiter, Sven-Olov Wallenstein, Bogo Zupančič und Vesna Meštrić, Moderation: Mateja Kurir

VORTRÄGE

Jorg H. Gleiter, Transparenz: Die Evolution der Grundsätze der modernen Architektur

Transparenz in der Architektur assoziiert man gemeinhin mit Glas. Glas repräsentiert jedoch nicht nur Transparenz, sondern auch das Nichtvorhandensein von Aura. Wie schon Walter Benjamin in Erfahrung und Armut schrieb: „Das Glas ist überhaupt der Feind des Geheimnisses.“ Transparenz lüftet den Schleier der klassischen Schönheit, bricht mit der architektonischen Dichotomie Innen-Außen und gibt das Innere dem voyeuristischen Blick von außen preis. In Verbindung mit elektrischem Licht kann Glas ein architektonisches Objekt von intransparenter Struktur, dessen Äußeres untertags von der Sonne erleuchtet wird, nachts in einen strahlenden Kristall verwandeln. Aus diesem Grund wurden frühe modernistische Glasfassaden oft mit dem expressionistischen Konzept des Kristalls in Verbindung gebracht.
Trotz des modernen Stereotyps ist zu erwähnen, dass der expressionistische Tag-Nacht-Kontrast Auswirkung und Entdeckung des späten Modernismus war. Zugleich wäre es reduktiv zu sagen, dass die Transparenz lediglich die Folge der Entwicklung neuer Bautechnologien ist. Gropius hat die ersten Glasfassaden des Fagus-Werks in Alfeld in Wirklichkeit nicht im Sinne eines radikalen Bruchs mit der Tradition entworfen, sondern als konzeptuelle Umkehr der Grundsätze des Klassizismus. Die Einzigartigkeit der berühmten Glasecke in Alfeld liegt nicht so sehr darin, dass sie die Erste ihrer Art ist, sondern vielmehr darin, dass sie den Modernismus innerhalb der evolutionären Logik der Architektur in ihrer Tradition verortet.
Während Gropius’ Glasfassade in Dessau noch dem Konzept der Durchsichtigkeit folgt, also dem konventionellen Konzept von Transparenz, ist – zumindest theoretisch – Mies van der Rohes Wolkenkratzer in der Friedrichstraße (1919) jenes Projekt, bei dem das Glas die verborgenen Verbindungen zum Klassizismus kappt und das ihm immanente architektonische Potenzial entdeckt.
 
Sven-Olov Wallenstein: Die Dialektik der Transparenz

Der Vortrag beschäftigt sich mit dem Transparenzkonzept in den Werken von Paul Scheerbart, Sigfried Giedion und Walter Benjamin. In der intellektuellen Welt zwischen Architektur, visueller Kunst und Film sowie Literatur und Film wurde bereits viel über Transparenz debattiert, die Theorien von Subjektivität und Wahrnehmung verschmolzen mit Baukonzepten und Ideen von einer aufstrebenden Gesellschaftsordnung, die die Trennung von Individuum und Kollektiv überwindet.
Scheerbart stellt sich vor, wie sich die Glasarchitektur über die Grenzen einzelner Gebäude hinweg entwickeln und wachsen wird, bis sie die gesamte Oberfläche des Planeten eingenommen und völlige Erleuchtung und endlose Helligkeit ermöglicht haben wird. Er betont die wahrnehmbaren und sinnlichen Aspekte von Glas – ihn fasziniert die Möglichkeit, Licht und Schatten, Hitze und Kälte zu modulieren sowie den Zustand von höchstem Komfort und Luxus zu erreichen, wo das Innere und Äußere zu einem reizenden Kontinuum verschmelzen und unsere Wohnungen zu „Kathedralen“ der Wunscherfüllung werden.
Sigfried Giedions programmatischer Text Bauen in Frankreich schlägt einen etwas anderen Weg ein und setzt voraus, dass Transparenz die Trennung von Subjekt und Objekt sowie von Organischem und Technologischem zerstören wird. In einer modernen Welt, so seine Prophezeiung, werden einzelne Dinge in einen einheitlichen, intensiven und dehnbaren Raum aufgelöst, wo Geist und Maschine in eine neue räumliche Einheitlichkeit gestellt werden, in der alle Entitäten einander offen stehen; er nennt dies „Durchdringung“. Durch die Bewusstseinsveränderung kündigt diese Interpretation eine politische Verschiebung in Richtung eines Gemeinschaftsraumes, eines Zusammenlebens von Subjekten und Objekten sowie von gesellschaftlichen Gruppen und Klassen an.
Walter Benjamin, das dritte vorgestellte Beispiel, stellt die Überlegung an, dass die moderne Architektur eine Kultur ankündigt, die charakterisiert ist von positiver „Armut“ und in der die Verwendung von durchsichtigen Materialien wie Glas die geschlossenen Räume der Bourgeoisie und ihre psychologische Tiefe begrenzt.
 
Vesna Meštrić: Das Bauhaus als Ausbildungsmodell

Funktionalität, Einfallsreichtum und Ästhetik der reinen Form sind nur einige der Richtlinien des Ausbildungsprogramms des Bauhauses. Der Name dieser Schule für Architektur, Kunst und Design hat heute Wiedererkennungswert, weit über die Architektur und visuellen Künste hinaus, und er markiert eine besondere Weltanschauung und Lebensart. Am Bauhaus waren auch sechs Studierende des ehemaligen Königreichs Jugoslawien inskribiert: Avgust Černigoj aus Slowenien; Otti Berger, Gustav Bohutinsky, Ivana Tomljenović und Marija Baranyaj aus Kroatien sowie Selman Selmanagić aus Bosnien. Der Vortrag stellt ihre Arbeiten sowie den Einfluss des Ausbildungs- und Designprogramms des Bauhauses auf die Kunst- und Ausbildungspraxis nach dem Zweiten Weltkrieg vor. In diesem Zeitraum kamen die Ideen des Bauhauses vor allem in den Aktivitäten der Gruppe EXAT 51 zum Ausdruck, einem Studienprogramm der Akademie der angewandten Künste in Zagreb, sowie in der Richtung B des Studienprogramms der Fakultät für Architektur in Ljubljana, wo sie eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung von Architektur, Kunst und Design in der gesamten Region während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielten.
 
Bogo Zupančič: Der Nachhall der Kunstschule Bauhaus, Richtung B

Professor Edvard Ravnikar, Dekan der Fakultät für Architektur, Bauwesen und Geodäsie in Ljubljana, führte 1960 ein neues experimentelles Designprogramm ins Studium ein – die Richtung B. Gemeinsam mit anderen Kollegen wollte er jüngeren Generationen die modernistischen Designgrundsätze näherbringen, denen er selbst seit den 1950er-Jahren folgte. Dabei stützte er sich auf die angesehenste pädagogische Tradition ihrer Art: das Bauhaus und seinen Nachkriegsnachfolger, die Hochschule für Gestaltung Ulm. Das Programm der Richtung B spielte aus mehreren Gründen eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von slowenischem Design und Architektur: Es führte einerseits neue Arbeitsmethoden ein, die auf experimenteller Forschung beruhten, und einen systematischen und analytischen Zugang sowie eine Wende in der Studienverfahrensordnung. Andererseits war auch der Enthusiasmus, mit dem die Studierenden am Programm teilnahmen, von wesentlicher Bedeutung. Obwohl das Programm im zweiten Jahr eingestellt wurde, reiht sich die Richtung B in die Riege jener europäischen und nordamerikanischen Designschulen ein, die ihren Fokus auf die Modernisierung von Design legten, das in der Nachkriegszeit aufgrund neuer, zeitgenössischerer Ausbildungsideen und -praktiken grundlegenden Veränderungen unterzogen wurde. Vor allem aber gilt die Richtung B als erster und somit bedeutender Versuch einer formalen universitären Designausbildung in Slowenien.

VORTRAGENDE
 
Jörg H. Gleiter ist seit 2012 Leiter des Fachgebiets Architekturtheorie am Institut für Architektur an der Technischen Universität Berlin. Von 2008 bis 2012 war er Professor für Ästhetik an der Libera Università di Bozen-Bolzano. Er war als Gastprofessor in Venedig, Tokio, Weimar und Providence tätig. Gleiter ist Herausgeber der Buchreihe ArchitekturDenken sowie Co-Herausgeber der Online-Fachzeitschrift Wolkenkuckucksheim. Publikationen u. a.: Architekturtheorie 1863–1938 (DOM publishers, Berlin 2018), Architektur und Philosophie (mit Ludger Schwarte, Bielefeld 2015); Ornament Today. Digital. Material. Structural (Bozen 2012).
 
Sven-Olov Wallenstein ist Professor für Philosophie an der Universität Södertörn sowie Experte für moderne europäische Philosophie und Ästhetiktheorie. Er übersetzte Baumgarten, Winckelmann, Lessing, Kant, Hegel, Frege, Husserl, Heidegger, Levinas, Derrida, Deleuze, Foucault, Rancière und Agamben und ist Autor zahlreicher Werke auf den Gebieten der Philosophie, moderner Kunst und Architektur. Seine aktuellsten Publikationen sind u. a. Upplysningens estetik: Nedslag i 1700–talet (2019), Spacing Philosophy: Lyotard and the Idea of the Exhibition (2019, mit Daniel Birnbaum) und Adorno: Negative dialektik och estetisk teori (2019) sowie die Übersetzung von Adornos Werken Negative Dialektik, Ästhetische Theorie und Mahler. Eine musikalische Physiognomie.
 
Vesna Meštrić ist Kuratorin im Zagreber Museum für moderne Kunst (MSU). Sie diplomierte an der Philosophischen Fakultät Ljubljana in Kunstgeschichte und Archäologie. 2015 begann sie, im MSU die Sammlungen von Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter zu kuratieren. Ihre Forschungsarbeit beschäftigt sich mit moderner Kunst, Interpretation und Präsentation von Sammlungen, Konservierung mit besonderem Fokus auf Avantgarde und postmoderne Bewegungen in Kunst und Architektur. Sie konzipierte zahlreiche Ausstellungen, u. a. Bauhaus – Vernetzung von Ideen und Praxen (2015) und die Retrospektive Rebel with a Vision zu Vjenceslav Richter (2017). Sie war Koordinatorin des europäischen Projekts BAUNET und Mitbegründerin des Projekts Runaway Art. 2017 nahm sie am MoMA-Workshop Getting Started: A Shared Responsibility (unterstützt von der Andrew W. Mellon Foundation) teil.
 
Bogo Zupančič ist Museumsrat des Museums für Architektur und Design (MAO) in Ljubljana. 1987 diplomierte er an der Fakultät für Architektur Ljubljana, 2000 promovierte er mit seiner Dissertation (Wohn-)Architektur unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. 1989/90 studierte er bei Vladimir Veličković an der École des Beaux-Arts (ENSBA) in Paris. Er war auch als Journalist tätig und schrieb über urbane Themen und die slowenische Architektur. Publikationen: Ljubljanski Nebotičnik: denar in arhitektura (Der Wolkenkratzer von Ljubljana – Geld und Architektur, 2001), Arhitekt Josip Costaperaria in ljubljansko moderno meščanstvo (Der Architekt Josip Costaperaria und das moderne Bürgertum, 2004), Urbane zgodbe Ljubljane 1–24, 25–48, 49–72 & 73–93 (Ljubljanas urbane Geschichten, 2005–2008), Obrtna zbornica Ljubljana 1919–44 (Gewerbekammer Ljubljana, 2013) sowie Plečnikovi študenti in drugi jugoslovanski arhitekti v Le Corbusierovem ateljeju (Plečniks Studenten und andere jugoslawische Architekten im Atelier von Le Corbusier, 2017). In den vergangenen drei Jahren realisierte er mehrere Ausstellungen im MAO, darunter Plečniks Studenten und andere jugoslawische Architekten im Atelier von Le Corbusier (2007, 2017) und Richtung B (2012, 2015), die beide Teil internationaler Plattformen waren. Zupančič ist auch als Experte für die slowenische Arbeitsgruppe des UNESCO-Welterbes tätig.

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Konzept: Mateja Kurir, Urban Šrimpf
Partner:  Moderna galerija, Društvo Igor Zabel za kulturo in teorijo / Verein Igor Zabel für Kultur und Theorie

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