Theatertreffen
Aufzeichnungen vom Internationalen Forum beim Berliner Theatertreffen
Das Theatertreffen wurde 1964 Teil der Berliner Festspiele und umfasst mittlerweile Institutionen wie die zehn „bemerkenswertesten Inszenierungen“, den „Stückemarkt“, das Internationale Forum, das Theatertreffen-Blog und Theatertreffen-Camp.
Seit 1965 unterstützt das Internationale Forum Theaterschaffende, die jünger als 35 Jahre sind, finanziell dabei, in Berlin zehn prämierten Inszenierungen beizuwohnen, an Vorlesungen und Workshops teilzunehmen und sich untereinander auszutauschen. Zu Anfang bestand das Ziel darin, sowohl ein Netzwerk als auch eine Diskussionsplattform für junge Bühnenschaffende aus Westberlin und der damaligen Bundesrepublik aufzubauen, bis im Jahr 1970 schließlich Teilnehmer aus der Schweiz und Österreich hinzustießen. Seit Beginn einer Kooperation mit dem Goethe-Institut 1980 hat sich der Kreis auf Kulturschaffende aus aller Welt erweitert, wobei der inhaltliche Schwerpunkt sich immer weiter auf eine Workshoparbeit verlagert, bei der Theorie und Praxis aufeinandertreffen und miteinander verschmelzen. Ab 2015 entstand zunehmend eine Anforderung ans Theater, sich als Reaktion auf die globalen Entwicklungen und Veränderungen auf sozialer Ebene zu einer öffentlichen politischen Sphäre zu wandeln und mehr als zuvor in Debatten zu Kunst, Politik und Gesellschaft einzubringen. Auch die Teilnehmerschaft weitete sich von Theaterschaffenden auf freischaffende Künstler aus — eine Dynamik, die das Ganze beinahe zu einer Parallelorganisation mit eigenen, vom Theatertreffen unabhängigen Konzeptveranstaltungen werden ließ.
Das diesjährige internationale Forum hatte 38 Theaterschaffende aus 22 Ländern eingeladen, um von den Künstlern vier Workshops mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten ausrichten zu lassen:
1. Akira Takayama und Aljoscha Begrich: „Arrival City“
2. Performance-Künstlertruppe„Talking Straight“: „Normcore — A Skillshare“
3. Arne Vogelsang: „Hate Entertainment and the Theatre of Virtual Identity“
4. Grada Kilomba, Hans-Werner Kroesinger und Regina Dura: „Performing Knowledge — Across Race, Gender and Postcolonialism“
Was einem am Internationalen Forum ebenfalls den Atem verschlägt, ist die so ehrliche wie tiefgehende Kritik als Teil eines ebensolchen Meinungsaustauschs, vor allem wenn bei der „interkulturellen“ Zusammenarbeit keine harmonische Fassade gewahrt, sondern tiefgründig über Redefreiheit, verschiedene Kontexte und Ausgangssituationen, postkoloniale Wissensstrukturen, Differenziertheit und Diskurskultur debattiert und reflektiert wird. Kann das Theater eine Toleranz für „Ängste“ aufbringen oder sie wahrhaftig erörtern? Was ist mit „verborgenen Ängsten“? Sind wir fähig, die eigene Unkenntnis zum Vorschein zu bringen und aufrichtig zu hinterfragen, was wir überhaupt zu wissen vermögen, ohne uns hinter politischer Korrektheit und einer Maske aus humanitären Grundsätzen zu verschanzen? Wie leiten wir einen Dialog ein und wie erhalten wir ihn aufrecht? Was sind die Methoden der interkulturellen Diskussion? Wie schüttelt man beim Internationalen Forum in Berlin seinen Eurozentrismus ab? Ist das Theatertreffen gar ein Ort, an dem Ethnozentrismus gefördert wird? Oder wie von „Stolpersteine Staatstheater“, einer der diesjährigen zehn „bemerkenswertesten Inszenierungen“, gefragt: Ist Kunst nationalistisch? (Das Stück von Hans-Werner Kroesinger bejaht dies klar und legt dem Publikum gegenüber dar: Kunst ist nationalistisch und niemals internationalistisch. Die Inszenierung dreht sich komplett um die schriftlich dokumentierten Entlassungen jüdischer Schauspieler am Badischen Staatstheater Karlsruhe nach der Machtergreifung durch die Nazis in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts. )
Beim Gipfelcamp „Artistic Citizenship“ im Rahmen des Theatertreffens äußerte Oliver Frljić, Intendant des Kroatischen Staatstheaters in Zagreb: „Im Theater thematisieren wir oft Gewalt, niemals allerdings die institutionalisierte. Tatsächlich sitzen wir hier, nachdem wir uns alle die Flugreise hierher leisten konnten, weil in irgendeinem entfernten Winkel der Welt jemand für uns sein Leben gelassen hat — vielleicht für Öl, vielleicht für ein Stück Regenwald — aber darüber sprechen wir nie.“ Verlassen wir also einmal die Bretter, die die Welt bedeuten und beleuchten die Krisen dort, abseits der Bühne, wo die Welt stattfindet; mit der Bühne können wir womöglich auch einmal die Machtlosigkeit den weltweiten Krisen gegenüber, die das Theater reflektieren muss, hinter uns lassen.