Survival-Kit Ausbildung
"Respekt, das könnte ich nicht!"

Portrait von Marcel in Ausbildungskluft, vor einem Hintergrund mit Bücherregalen und unechten Bäumen
Marcel macht eine Ausbildung zum Altenpfleger. Zu seinem Arbeitsbeginn um 5:45 wird er besonders freundlich begrüßt | Foto (Detail): © Privat

Marcel, 28, macht eine Ausbildung zum Altenpfleger in Mönchengladbach. Er erzählt uns im Ausbildungssteckbrief, dass es in seinem Job um viel mehr geht, als Inkontinenzeinlagen an- und ausziehen und warum der Arbeitsbeginn um 5:45 Uhr nicht so schlimm für ihn ist.

Was ist das größte Klischee über Deine Ausbildung und was ist wahr daran?

Damit werde ich als junger Auszubildender sehr häufig konfrontiert. Wenn ich neue Leute kennenlerne, kommt oft die Reaktion: „Ach, du bist in der Pflege? Respekt, das könnte ich nicht!“ Dahinter steht meistens die Vorstellung, ich würde den Leuten, unseren Klient*innen, ausschließlich Inkontinenzeinlagen an- und ausziehen. Wir unterstützen die Klient*innen natürlich bei der Körperpflege oder beim Toilettengang, wenn sie dies alleine nicht mehr können. Zum Job von Kranken- und Altenpfleger*innen gehört jedoch weitaus mehr: Wir leisten therapeutische und emotionale Unterstützung, sind Gesprächspartner*innen und Orientierungshilfen. Die Kunst in unserem Job besteht darin, auf die Menschen in ihrer jeweiligen aktuellen körperlichen und mentalen Verfassung einzugehen.  

Wie sieht Dein normaler Tagesablauf aus?

Mein Tagesablauf gestaltet sich sehr unterschiedlich, je nachdem ob ich im Praxis- oder Theorieteil der Ausbildung bin. Während des Theorieteils startet die Schule um 8 Uhr morgens und dauert bis 15:30 Uhr. Im Unterricht nehmen wir verschiedene Module durch, sie befassen sich mit den krankheitsbezogenen Aspekten des Körpers und der Psyche sowie mit Anatomie und Pathologie. Burnout ist unserem Beruf ein großes Thema, weil wir hier sehr gefährdet sind, deshalb werden wir über diese Thematik unterrichtet. Nach zwei Stunden qualmt mir ganz schön der Kopf, und ich bin froh um jede Pause.

Während der ambulanten Praxiseinsätze startet mein Arbeitstag um 5:45 Uhr. In der Bezugspflege betreut immer eine Pflegekraft dieselben Klient*innen, deshalb haben wir täglich meist feste Touren. Bei manchen Klient*innen bleiben wir nur 10 Minuten – wir geben ihnen ihre Medikamente und unterhalten uns kurz. Andere bekommen ein längeres Programm – Grundpflege, Behandlungspflege und Betreuung, je nach Ausmaß und Pflegegrad. Der Pflegegrad legt fest, welche Leistungen die Klient*innen beziehen und welche Kosten von der Krankenkasse übernommen werden.

Welchen Tag wirst Du nie vergessen?

Ich hatte einmal eine Klientin, die wir nur wenig unterstützen mussten. Sie war kommunikativ und witzig, hat Fragen gestellt, und der Besuch bei ihr war immer schön. Wegen eines externen Einsatzes und Schuleinheiten habe ich sie vier Monate nicht gesehen. Das Wiedersehen danach hat mich emotional sehr mitgenommen, denn sie war bettlägerig geworden, konnte ihre Augen nicht mehr richtig öffnen und war geplagt von Schmerzen. Das Scherzen mit uns hat sie zunächst aufrechterhalten, aber auch das hat irgendwann nachgelassen. Am Ende haben wir palliativ mit ihr gearbeitet.

Auf was könntest Du während deiner Ausbildung nicht verzichten?

Auf das Lächeln der Klient*innen möchte ich nicht verzichten. Gerade morgens, wenn ich mich teilweise noch müde fühle, freue ich mich sehr, so freundlich von vielen Klient*innen begrüßt zu werden. Generell die soziale Interaktion mit den Klient*innen, die bei uns sehr wichtig für die Beziehungsarbeit ist, möchte ich nicht missen.  

Wenn Du Deine Ausbildung noch einmal beginnen könntest, was würdest Du anders machen?

Ich würde mir mehr Notizblöcke kaufen. In der Praxis habe ich immer einen Notizblock dabei, um Lerninhalte oder wichtige Aufgaben nicht zu vergessen. Es kommt zum Beispiel vor, dass wir die entsprechenden Ärzt*innen anrufen müssen, damit sie ein neues Rezept für eine*n Klient*in ausstellen. Dann fahren wir in der Einrichtung vorbei, holen das Rezept ab und besorgen das entsprechende Medikament – diese Erledigungen müssen wir in unsere Touren einplanen.  

Was ist die größte Herausforderung?

Ich finde es sehr schade, dass in unserem Beruf die Kosten eine so große Rolle spielen. Wir müssen überlegen, wie viel Zeit und Aufwand wir für unsere Leistungen aufbringen und daraus die Minuten errechnen, die wir für die jeweiligen Klient*innen zur Verfügung haben. Dadurch stehen wir bei unseren Touren immer unter einem gewissen Zeitdruck, was mitunter schwierig ist. In der Altenpflege werden nur bestimmte Leistungen bezahlt. Die Pflegekasse übernimmt beispielsweise das Anziehen von Kompressionstrümpfen – nicht aber das von Socken und Schuhen. Besonders schwer finde ich es, wenn wir aufbrechen müssen, obwohl wir gleichzeitig merken, dass die Person noch mit uns reden möchte.

Für uns Pflegekräfte ist es enorm wichtig, dass wir für unsere körperliche und geistige Gesundheit sorgen.

Was war oft Deine Rettung?  

Der Austausch mit Kolleg*innen. Am Anfang der Ausbildung gab es zum Beispiel eine Situation, die ich belastend fand und zu der ich mir Rat von einer älteren Kollegin geholt habe. Wir haben darüber gesprochen, wie wir in der Pflege mit diesen Situationen umgehen können. Denn für uns Pflegekräfte ist es enorm wichtig, dass wir für unsere körperliche und geistige Gesundheit sorgen, um Burnout oder Coolout, also moralische Erschöpfung, zu vermeiden.

Was machst Du, um abzuschalten und Dir etwas zu gönnen?

Nach den Praxiseinsätzen verarbeite ich sehr viele neue Eindrücke. Das erschöpft mich so, dass ich zuhause erstmal schlafen gehe. Außerdem jogge ich drei-, viermal die Woche zum Abschalten. Am Wochenende treffe ich mich mit Freund*innen, wir gehen aus oder schauen Filme. Nur größere Sachen kann ich eigentlich nicht planen, denn es kommt vor, dass wir an einem freien Wochenende Kolleg*innen vertreten müssen. Deshalb unternehme ich meist ruhigere Sachen in meiner Freizeit, die mich nicht aus der Bahn werfen.

Welche Frage hörst Du auf Familientreffen oder Bekannten treffen häufig?  

Ich werde oft gefragt, ob ich mich noch weiterbilden möchte. Und tatsächlich würde ich später gerne in die Intensivpflege wechseln, wo mit Menschen mit akuten Symptome gearbeitet wird, oder ein Studium zum Thema Pflege absolvieren. Außerdem höre ich häufig die Nachfrage, warum ich am Wochenende wieder keine Zeit habe, und dass ich nur am Arbeiten, Lernen oder Schlafen sei.

Was hat Dir Deine Ausbildung für Deinen weiteren Weg mitgegeben?

Meine Menschenkenntnisse sind auf jeden Fall besser geworden. Ich verstehe jetzt viel besser, warum Menschen sind, wie sie sind. Ich hatte anfangs Probleme damit, herauszufinden, was ich beruflich machen möchte, und ich bin froh, diesen Weg gegangen zu sein.
 

„SURVIVAL-KIT Ausbildung“

In welchen Berufen kann man in Deutschland eine Ausbildung absolvieren? Wie lässt es sich als Auszubildende oder Auszubildender gut leben? Und wo findet man einen Ausgleich zur Arbeit?

Auszubildende unterschiedlicher Berufsfelder erzählen von ihren Erlebnissen in Betrieben und Einrichtungen in Deutschland, ihrem Alltag – und was sie manchmal zur Verzweiflung bringt. 

 

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