Neue Musik
Im Aufwind – Neue Musik an den Hochschulen

Das Kölner Ensemble Musikfabrik steht in engem Kontakt mit der Hochschule der Stadt. Das hilft der Musik.
Das Kölner Ensemble Musikfabrik steht in engem Kontakt mit der Hochschule der Stadt. Das hilft der Musik. | Foto © Jonas Werner-Hohensee

Es ist eine Herausforderung. Die Neue Musik hat es schwer im kulturellen Alltag, auch wenn Wissenschaft und Kritik sie längst kanonisiert haben. Die Hochschulen in Deutschland sind daher sehr aktiv, sie Studenten und Publikum nahezubringen.

Neue Musik ist vielgestaltig und unbequem, sie lotet Grenzbereiche aus, provoziert und überrascht. Klingt aufregend – und doch hat die zeitgenössische Tonkunst ein Imageproblem: sie gilt als schwer vermittelbar. „Vermittlung“ wurde deshalb zum Schlüsselbegriff der Szene, nicht zuletzt an deutschen Musikhochschulen, von denen viele ein eigenes Institut für Neue Musik unterhalten. Keines davon kann auf entsprechende Angebote verzichten – aus Sorge um das viel zitierte „Publikum von morgen“ und weil hier Drittmittelgelder winken, ohne die heute auch keine staatliche Institution auskommen kann. Damit ist freilich noch nichts gesagt über Art, Umfang und Qualität der Programme, die so vielseitig sind wie die „Kulturelle Bildung“ selbst.

Der Terminus verbindet zwei komplexe Großbegriffe und meint im Fall der Neuen Musik: Hemmschwellen abbauen, Vielfalt repräsentieren, Nachwuchs rekrutieren. Das daraus resultierende Spektrum von Initiativen reicht von Lehrerbildung, über die Pflege hochschuleigener Klangkörper und Konzertreihen, bis zu Kooperationen mit externen Kultureinrichtungen und der Ausbildung von Musikvermittlern in neu entworfenen Studiengängen.

So vielstimmig, wie die Szene selbst

Die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) Frankfurt stellte ihre Neue-Musik-Nacht 2017 unter das Motto Aktion – Reaktion und gab damit eine grundlegende Parole erfolgreicher Vermittlung aus: Ziel muss es sein, Räume für Auseinandersetzungen zu schaffen, um den Diskurs lebendig zu halten. Dem zollt auch die Hochschule für Musik, Theater und Medien (HMTM) Hannover Tribut, die in ihrem Vermittlungsprogramm das Motto Incontri (Begegnungen) ausgibt. In München setzt man vor allem auf Spitzenförderung: Seit 2012 veranstaltet die „Akademie für Neue Musik“ Meisterkurse mit international renommierten Interpreten wie dem Arditti Quartett oder prominenten Komponisten wie Wolfgang Rihm, die Ausstrahlung über den Hochschulrahmen hinaus entwickeln.

Rihm-Schüler an der Hochschule Karlsruhe profitieren vom Grundsatz, dass Prüfungskonzerte öffentlich durch das Hochschulensemble für Neue Musik oder das ComputerStudio am Institut für Neue Musik und Medien (InMM) aufgeführt und Kooperationen zu externen Veranstaltern gepflegt werden. Überhaupt scheinen hauseigene Klangkörper und Konzertreihen sowie externe Partner ein bewährtes Rezept der deutschen Hochschulen in ihrem Bemühen um Vermittlung: In Köln unterhält man das Ensemble 20/21 und pflegt enge Kontakte zum Deutschlandfunk, dem Ensemble Musik-Fabrik und den Wittener Tagen für neue Kammermusik. In Stuttgart spricht man dagegen von einem „Netz“ der Vermittlung: von und für Studierende und Mitarbeiter, aber auch im Kontakt mit Institutionen wie den Donaueschinger Musiktagen oder dem Südwest-Rundfunk. Mit dem Campus Gegenwart wurde zudem eine transdisziplinäre Plattform mit zwei neuen Professuren für Gegenwartsästhetik und Performance ausgestattet.

Auch im Berliner „Klangzeitort“ pflegt man eine überinstitutionelle Kooperation: Das gemeinsame Institut für Neue Musik der Universität der Künste und der Hochschule für Musik Hanns Eisler versteht sich als „Laboratorium für musikalische Komposition und den reflektierenden Umgang mit zeitgenössischer Musik“. In der Hauptstadt schreibt man sich außerdem „die inter- und transdisziplinäre Verbindung von Musik“ auf die Fahnen, auch „im Kontext von natur- und geisteswissenschaftlichen Herangehensweisen sowie aktuellen sozialen und politischen Fragestellungen.“

Neue Musik am Klangzeitort: zum Beispiel David Moliner

Konzerte, Kooperationen, Klangkörper

Dieser Anspruch darf als grundlegend für die Vermittlung Neuer Musik in postfaktischen Zeiten gelten, in denen Kunst nicht mehr l’art pour l’art sein kann. Tatsächlich berühren sich die Kernanliegen Neuer Musik und Kultureller Bildung, indem sie jeweils für Ambivalenz, Kontingenz, viele Wahrheiten und die offene Begegnung mit dem Anderen stehen. In diesem Kontext ist etwa die Veranstaltungsreihe Global Ear der Dresdner Hochschule für Musik zu nennen, die sich interkulturellen Klangfragen widmet.

Auch den medialen Fortschreitungen zollen viele Hochschulen Rechnung. Dazu gehören nicht nur elektronische Studios, sondern die Auseinandersetzung in „Verhalten, Wahrnehmung, Kommunikation, Gestaltung und Ästhetik von Musik im digitalen Zeitalter", wie sie das Landeszentrum Musik-Design-Performance der Trossinger Hochschule reflektiert. Solchen Fragen widmet sich auch das Institut für Musik und Medien in Düsseldorf, während man in Mainz die „Klangkunst als künstlerische Interaktion von Kunst und Musik“ versteht. In der Klassikerstadt Weimar wurde dagegen 2015 ein Institut für die Musik der Gegenwart geschaffen, das Jazz und Avantgarde zusammendenkt, während andere die Zukunftsmusik in der Popkultur verorten und damit der postmodernen Vielfalt Tribut zollen.

Es gibt also nicht die eine Vermittlung Neuer Musik an deutschen Hochschulen. Man kann sie sich vielmehr als belebten Knotenpunkt im Kulturverkehr vorstellen: Der Weg zwischen vermittelnder Institution und der jeweiligen Zielgruppe ist keine Einbahnstraße, sondern eher eine Kreuzung mit vielfachen Überschneidungen, denn man weiß: Die zeitgenössische Musik kann ihren Anspruch auf Aktualität nur behaupten, wenn sie so vielstimmig praktiziert und vermittelt wird, wie unsere Zeit komplex ist.

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