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Medienfreiheit in Kroatien
Klagen und prekäre Arbeitsbedingungen gefährden unabhängigen Journalismus

Medienfreiheit in Kroatien
© Sandra Kastl

​Am 28. Oktober organisierte der Kroatische Journalistenverband (HND) eine Pressekonferenz, um die Öffentlichkeit auf ein Dutzend neuer Gerichtsverfahren gegen Journalist*innen und Medienunternehmen im ganzen Land aufmerksam zu machen. Die Klagen wurden von hochrangigen Politikern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Parlamentsmitglied Branimir Glavaš, dem Rektor der Universität Zagreb, Damir Boras, und dem ehemaligen Landwirtschaftsminister Tomislav Tolušić erhoben.

Von Jelena Prtorić

Der Vorsitzende des HND, Hrvoje Zovko, geht davon aus, dass es sich dabei um sogenannte „SLAPP“ – strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung – handelt. Mit derartigen Klagen, die oft langwierige und kostspielige Gerichtsverfahren nach sich ziehen, wird beabsichtigt, Journalistinnen und Journalisten einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. „Ziel dieser Klagen ist es, Journalist*innen zu zensieren“, meint Zovko.
 
Die für die Pressefreiheit eintretende Organisation Reporter ohne Grenzen hat Kroatien in ihrem Bericht für das Jahr 2020 auf Rang 59 (von 180 Ländern) eingestuft und folgende Tatsachen besonders hervorgehoben: „Diffamierung wird kriminalisiert, die Beleidigung ‚der Republik, ihrer Symbole, der Nationalhymne oder Flagge‘ wird mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft und beleidigende Medieninhalte stehen seit 2013 unter Strafe.“
 
Im Mai 2020 berichtete der HND, dass im ganzen Land mindestens 905 Klagen von Politiker*innen, Geschäftsleuten und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gegen Journalist*innen und Medienunternehmen anhängig waren.
 
„Die tatsächliche Anzahl ist meiner Meinung nach viel höher, aber nicht alle Medien haben die Umfrage des HND beantwortet“, sagt die auf Medienrecht spezialisierte Rechtsanwältin Vesna Alaburić, die über die Jahre hinweg unzählige Journalist*innen und Medien in ähnlichen Gerichtsverfahren verteidigt hat. „Ich übe diesen Beruf nun schon seit 25 oder 30 Jahren aus und würde sagen, dass immer eine große Anzahl an Klagen anhängig ist. Den Kläger*innen ist der Ausgang des Verfahrens in vielen Fällen egal. Sie nutzen die Klagen, um Journalist*innen oder Medienunternehmen mundtot zu machen oder sie davon abzubringen, über ein bestimmtes Thema zu berichten.“
 
Erst kürzlich vertrat Vesna Alaburić die Nachrichtenwebsite Telegram.hr in einem Gerichtsverfahren, das infolge einer Klage des ehemaligen Landwirtschaftsministers Tomislav Tolušić eingeleitet worden war. Tolušić hatte insgesamt elf Klagen gegen die Nachrichtenseiten Telegram.hr, Index.hr und Virovitica.net angestrengt, da sie über das gegen ihn anhängige Ermittlungsverfahren wegen Falschangaben bezüglich der Größe seines Grundbesitzes berichtet hatten.
 
„Tolušić stellte die Tatsache, dass er Falschangaben zur Größe seines Grundbesitzes gemacht hatte, in der Klage gegen Telegram.hr nicht in Abrede, betonte aber, dass dies nicht arglistig geschehen sei. Im Grunde genommen focht er also die von Telegram verwendete Ausdrucksweise an“, erklärt Alaburić. Das Stadtgericht Zagreb fällte das noch nicht rechtskräftige Urteil, dass Telegram.hr etwa 4.000 Euro Schadenersatz an Tolušić zu leisten habe. Alaburić hat vor, Berufung gegen dieses Urteil einzulegen.
 
„Das Problem in Kroatien liegt darin, dass Richter*innen es nicht für relevant erachten, dass eine Person bereits mehrere Klagen gegen dasselbe Medienunternehmen eingereicht hat oder dass sie ständig gerichtlich gegen die Medien vorgeht. Meiner Meinung nach sollten die Gerichte diese Tatsache im Auge behalten, denn sie zeigt, dass das Ziel der Klage nicht darin besteht, eine finanzielle Entschädigung zu erlangen, sondern eher darin, die Medien finanziell zu schädigen“, führt Alaburić aus.
 
Für viele kleinere, lokale oder unabhängige Medien können derartige Klagen das Aus bedeuten. „Eine Entschädigung in Höhe von 20–30.000 Kuna (3–4.000 Euro) klingt nicht nach viel, aber angesichts des derzeitigen Wirtschaftsabschwungs können mehrere derartiger Klagen dazu führen, dass ein Medienunternehmen schließen muss“, merkt Alaburić an.

Prekäre Arbeitsbedingungen

Doch nicht nur drohende Klagen setzen den kroatischen Medien zu. Sie haben auch seit Jahren mit finanziellen Problemen und prekären Arbeitsbedingungen zu kämpfen. „Ich glaube, im Zuge der weltweiten Finanzkrise 2008 beschloss etwa die Hälfte der Journalisten und Journalistinnen, sich beruflich umzuorientieren. Die Medienbranche hat sich davon bis heute nicht vollständig erholt, die Gehälter sind noch nicht wieder auf Vorkrisenniveau gestiegen und auch der Schutz der Medienschaffenden ist schlechter als damals“, weiß Maja Sever, Fernsehjournalistin und Vorsitzende der Kroatischen Journalistengewerkschaft, zu berichten. Die Gewerkschaft setzt sich für die Rechte von Journalist*innen ein und bietet ihren Mitgliedern eine kostenlose Rechtsbetreuung.
 
Das durchschnittliche Nettogehalt von Journalist/innen liegt in Kroatien heute bei 600–1.000 Euro, das allgemeine durchschnittliche Nettogehalt beläuft sich auf etwa 900 Euro. Maja Sever weist darauf hin, dass Journalist*innen derzeit nur bei zwei Medienunternehmen einen tarifvertraglichen Schutz genießen: bei der kroatischen Nachrichtenagentur und bei der nationalen Rundfunkanstalt. Vor neun Jahren existierten noch in elf Medienunternehmen Tarifverträge. Außerdem sind heute viel mehr Journalist*innen freiberuflich tätig. Sie werden also pro Auftrag bezahlt, haben kein festes Mindesteinkommen und ihre Arbeitgeber*innen bezahlen weder Sozialversicherungs- noch Krankenversicherungsbeiträge für sie.
 
Durch die aktuelle Corona-Pandemie haben sich die zuvor bereits prekären Arbeitsbedingungen noch verschärft. Ende September machte die Kroatische Journalist*innengewerkschaft darauf aufmerksam, dass die Führungskräfte zahlreicher Medien die Pandemie als Vorwand benutzten, um die Gehälter zu kürzen und in den Redaktionen Personal abzubauen. Die kroatische Nachrichtenagentur kündigte beispielsweise gleich zu Beginn der Pandemie alle ihre Verträge mit freiberuflich tätigen Journalist/innen. Hanza Media, eines der größten privaten Medienunternehmen Kroatiens, kündigte 30 Beschäftigten und löste mehrere Verträge mit Selbstständigen auf. Darüber hinaus wurden die Gehälter bei manchen Publikationen um 5-25 % gekürzt. Bei einer im April von der Kroatischen Journalistengewerkschaft unter 164 freiberuflich tätigen Journalist*innen durchgeführten Umfrage gaben 28,7 % an, dass seit Beginn der Pandemie alle ihre Aufträge storniert worden waren. 26 % der Journalist/innen sahen sich mit einer Stornierung fast aller Aufträge konfrontiert.
 
„Wenn unsere Journalist*innen in der Lage sein sollen, ihre Meinung frei zu äußern, objektiv zu berichten und die Mächtigen herauszufordern, dann müssen wir ihnen eine gewisse Stabilität bieten. Unsichere finanzielle Rahmenbedingungen führen zu mangelnder Unabhängigkeit“, erläutert Sever. Ihrer Ansicht nach müssten sich die Journalist*innen im ganzen Land gewerkschaftlich organisieren, um gemeinsam bessere Arbeitsbedingungen aushandeln zu können: „Unser Ziel besteht letztlich darin, einen landesweiten Tarifvertrag für alle Medienschaffenden zu vereinbaren.“

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