Ein Gespräch mit Alexander Römer von Constructlab
Mont Réel - ein öffentlicher Raum als kollaboratives Projekt

Alexander Römer
Alexander Römer | © Monik Richter

Inspiriert vom Mont Royal, dem Wahrzeichen Montreals, entstand im Sommer 2017 ein kollektiv gebauter Berg, der Anwohnern und Kulturschaffenden zukünftig als kreativer Begegnungsort dienen soll. 

Drei Wochen lang haben Architekten, Designer, Kulturschaffende, Künstler und Studenten aus Deutschland, Frankreich und Kanada auf einem ehemaligen Bahnhofsgelände gemeinsam gebaut, geforscht, gestaltet und gekocht. Mit Mont Réel haben die Teilnehmer nicht nur eine einladende Installation, sondern gleich eine ganz neue Community entwickelt. Initiiert wurde das Projekt vom Goethe-Institut Montreal in Partnerschaft mit dem Consulat général de France à Québec und der Université de Montréal; die künstlerische Leitung hatte das Berliner Kollektiv Constructlab, mit dessen Gründer Alexander Römer wir uns unterhalten haben. ​

Alexander Römer, wie kann man sich ein typisches Constructlab-Projekt vorstellen?

Die Projekte von Constructlab entstehen aus dem gemeinsamen Wunsch der Beteiligten, Projekte nicht nur zu konzipieren, sondern auch selber zu bauen. Ich beschreibe das Netzwerk oft als „Interessengemeinschaft“. Für bestimmte Projekte kommen wir in unterschiedlichen Konstellationen zusammen, wobei sich auch Interessierte außerhalb des Netzwerks anschließen können. Durch diese Kollaboration entsteht dann ein temporäres Kollektiv. Die Herangehensweise ist immer ähnlich, aber die Ergebnisse unterscheiden sich stark, da sie auch von lokalen Konditionen bestimmt werden. Typisch sind das Miteinander, das Teamwork und auch eine gewisse Unsicherheit, die die Interaktion mit unserer Umwelt mit sich bringt. Wir wünschen und pflegen einen Austausch vorhandener Ressourcen, denn wir wollen einen Ort schaffen, an dem Debatten stattfinden. Häufig wählen wir für unsere Strukturen aus diesem Grund die Form einer Agora, dem zentralen Versammlungsort in den Städten des alten Griechenland.

Ein Ort, an dem Debatten stattfinden

Als Euch das Goethe-Institut eingeladen hat, ein Projekt für Montreal zu entwickeln, habt ihr eine Carte Blanche erhalten. Warum habt ihr euch für das Gelände entschieden, auf dem der neue Campus MIL entsteht?

In Montreal haben wir gezielt einen Ort gesucht, an dem schon eine lokale Initiative besteht. Bei einer Recherchereise im letzten Jahr haben wir, gemeinsam mit dem Goethe-Institut, eine Woche lang die unterschiedlichsten Orte besichtigt. Wir wollten einen Ort finden, an dem wir eine Vermittlerrolle spielen können, und wo diese auch gebraucht wird. Wie zum Beispiel auch bei unserem Projekt „The Arch“ in Genk (Belgien), bei dem wir eingeladen waren, über drei Monate einen Ort zu aktivieren. In diese Struktur sind wir nach ihrem Bau im wahrsten Sinne des Wortes eingezogen und haben das Leben direkt an den Ort gebracht. Hier in Montreal haben wir uns für den Campus MIL entschieden, einen neuen Wissenschaftscampus der Université de Montréal auf einem ehemaligen Güterbahnhofgelände, der genau an der Schnittstelle zwischen drei sehr unterschiedlichen Stadtvierteln Montreals liegt: dem gutbürgerlichen Outremont, dem pulsierenden Künstlerviertel Mile End und Parc Ex, einem Viertel mit einem hohen Anteil an Immigranten der unterschiedlichsten Länder der ersten Generation.

So ein neuer Campus bringt sicherlich Veränderungen für die Nachbarschaft, und niemand kann diese genau vorhersehen. Sicher gibt es Leute, die Angst vor dieser Veränderung haben, oder sogar bereits eine Strategie dagegen entwickeln. Diese Menschen wollen wir einladen, mit uns zu sprechen. Wir möchten einen Ort schaffen, in dem die Debatte über die Entwicklung dieses Viertels geführt werden kann. Ein Projekt wie der Mont Réel stellt diesen Möglichkeitsraum zur Verfügung, einen common space: ein gebautes Stadtlabor, in dem aktiv soziale Forschung betrieben wird.

Was war der Grund für die Entscheidung, die Form eines Berges zu wählen?

Der Berg als Thema geht auf die Idee zurück, eine Kopie des Mont Royal zu machen. Die Verwendung dieses Symbols ist der Versuch, die mit diesem Park verbundene starke soziale Dynamik auf den Mont Réel zu übertragen. Jeder Mensch hier kennt den Mont Royal, hat dort schon etwas erlebt, hat eine Verbindung zu dieser wichtigen Landmarke der Stadt.
 
  • Mont Réel - die Grundstruktur © H. Kaluppke
    Mont Réel - die Grundstruktur
  • Mont Réel -  die Grundstruktur © Goethe-Institut Montreal
    Mont Réel - die Grundstruktur
  • Bauarbeiten am Mont Réel © Marie-Emanuelle Boileau
    Bauarbeiten am Mont Réel
  • Bauarbeiten am Mont Réel © Marie-Emanuelle Boileau
    Bauarbeiten am Mont Réel
  • Der Mont Réel bei seiner Einweihung © Gupta Ashutoshk
    Der Mont Réel bei der Einweihung
  • Der Innenraum © Gupta Ashutoshk
    Der Innenraum
Eine Agora, ein Versammlungsort, kann alle möglichen thematischen Formen annehmen. Räumlich sollte es eine konzentrische Form sein, und geometrisch vereinfacht ist ein Oktogon auch gut zur Umsetzung des Bergthemas geeignet. Die äußere Form eine umgekehrte Agora. Die Höhenlinien des Berges werden zu Sitzstufen,  und kleine seitliche Verfremdung bilden Bühnen. Die tiefen Schluchten werden zu Zugängen nach innen. Im Innenraum konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Mitte, außen hingegen sitzen die Besucher auf den Flanken des Berges und schauen weg vom Berg.

EIN ÖFFENTLICHES LABOR

Ihr habt drei Wochen lang mit 10 Mentoren/Künstlern und 20 Teilnehmern an der Struktur gearbeitet, wobei das Erbauen der Struktur ja nicht alles war. Wie ist das abgelaufen?

Das Erbauen war in der Tat nur der erste Schritt: Zunächst brauchen wir das, was wir eine support structure nennen. Eine physische Struktur, die es uns erlaubt, aktiv werden zu können. Daher bauen wir, gemeinsam im Team mit den Leuten, die bei diesem Workshop dabei sind, diese erste Form in Gestalt einer Holzstruktur. Hierbei ist es sehr wichtig zu erwähnen, dass die unterschiedlichen Kompetenzen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gleichgestellt sind und für das Projekt zusammengeführt werden. Jeder ist wichtig, ob nun als Planer oder Koch, muss Spaß an seiner Aufgabe haben und stolz auf seinen Beitrag sein. Nur so kann das Projekt insgesamt gelingen.

Parallel zur Entstehung dieser konstruierten, sichtbaren Form wird diese von uns als Bühne genutzt, in der in verschiedenen Übungen und Begegnungen ein Engagement entstehen soll. Dies nennen wir die lebendige Form: die prototypische, experimentelle Gestaltung von Aktivitäten und Improvisationen in diesem neuen öffentlichen Raum.

Beim Mont Réel haben wir die verschiedensten Aktivitäten geplant: Ausflüge in die Nachbarschaft, um zum Beispiel über die Gesangsworkshops von Dina Cindric und Greg Gilg eine Brücke zwischen  den verschiedenen Quartieren mit sehr unterschiedlichen sozialen Komponenten zu bauen. Zusätzlich gab es noch viele weitere Aktivitäten, wie den Druck- und Grafikworkshop von Costanza Matteucci und Malte Martin, das Fermentationsatelier von Pascal Lazarus sowie spontane Künstlergespräche und –treffen, Soundinstallationen und Workshops mit Florence Blain, Jen Reimer und Max Stein, unser Samstagsbrunch, die Performance mit Mélanie Binette und das Picknick.
  • Gesangsworkshop mit Florence Blain Mbaye © Marie-Emanuelle Boileau
    Gesangsworkshop mit Florence Blain Mbaye
  • Gesangsworkshop © Marie-Emanuelle Boileau
    Gesangsworkshop
  • Gesangsworkshop mit Grégoire Gilg © Marie-Emanuelle Boileau
    Gesangsworkshop mit Grégoire Gilg
  • Workshop Fermentation mit Pascal Lazarus © Marie-Emanuelle Boileau
    Workshop Fermentation mit Pascal Lazarus
  • Fermentationsworkshop © Marie-Emanuelle Boileau
    Fermentationsworkshop
  • Textilfarben-Workshop © Marie-Emanuelle Boileau
    Textilfarben-Workshop
  • Textilfarben-Workshop © Marie-Emanuelle Boileau
    Textilfarben-Workshop
  • Grafik- und Druck-Workshop © Marie-Emanuelle Boileau
    Grafik- und Druck-Workshop
  • Grafik- und Druck-Workshop © Marie-Emanuelle Boileau
    Grafik- und Druck-Workshop
Die dritte Form ist die Nutzung nach der Projektphase, die Fragestellung, inwiefern wir populärwissenschaftliche Aspekte in das Projekt einbringen können. Diesen Wissenschaftscampus nennen wir die popular science-Gestalt. Die Université de Montréal plant hier über die nächsten fünf Jahre die Erweiterung ihres Campus der technischen Fakultät. Wir haben uns gedacht, dass der Berg eine spannende Möglichkeit wäre, in der Zwischenzeit die Forschung, die die normalerweise hinter dicken Wänden und nur im Labor stattfindet, in die Öffentlichkeit zu bringen und sie für lokales Publikum erfahrbar zu machen. Ein öffentliches Labor, das zunächst für ein Jahr dort bleiben soll. Wer sich genau dort engagiert, wissen wir noch nicht – diese wissenschaftliche Residenz ist abhängig von unseren Partnern der Universität und lokalen Entscheidern.

Neue künstlerische Formen

Wie haben Anwohner während des 3-wöchigen Workshops darauf reagiert – welche Rückmeldungen gab es?

Es gibt so gut wie keine direkten Anwohner zu dem Gelände, der ehemalige Rangierbahnhof liegt zwischen den immer noch aktiven Gleisanlagen, die deutliche Hindernisse darstellen. Die Straßenanbindung wurde neu geplant, und nachdem die Bauarbeiten beendet sind, wird es neue Zugänge zum Gelände geben. Der Ort muss jetzt erstmal wieder in der Nachbarschaft bemerkt werden. Die Idee, gemeinsam einen Berg in dem neu entstehende Stück Stadt zu errichten, hat Aufmerksamkeit erregt, und durch die Gesangs- und anderen Workshops während der Projektphase konnten wir bereits einige Anwohner für den Ort interessieren.

Mont Réel bleibt für eine gewisse Zeit auf dem Campus MIL. Wie stellst Du Dir die Zukunft des Berges vor? Welche Aktivitäten sind geplant, welche Szenarien denkbar?

Der Mont Réel steht sowohl als Raum für die schon aktiven Initiativen vor Ort, als auch für Veranstaltungen der Sparten Theater, Musik oder der Kunstszene Montreals zur Verfügung. Grundsätzlich offen für jeden Benutzer, wird seine Form und Symbolik sicher inspirieren. Der Mont Réel eignet sich etwa für die Vorführung eines Theaterstückes oder einer anderen Aufführung, bietet aber auch für den Alltag Möglichkeiten, aktiv zu werden, zum Beispiel ein Picknick mit guter Aussicht zu veranstalten, oder im Inneren Schutz und Ruhe für Versammlungen, Proben, Konzerte zu finden. Neue künstlerische Formen sind möglich, die Zuschauer könnten außen auf dem Berg sitzen während innen und unter ihnen ein Orchester spielt, oder der Garten wird zu einer einmal um den Berg herum verlaufenden Bühne. Der Mont Réel ist ein Möglichkeitsraum für Kunst und Gestaltung. Ich würde mir wünschen, dass sich in den nächsten Jahren eine kreative Nutzung etabliert und dadurch entweder der Ort selbst länger als gedacht zur Verfügung steht oder der Berg am Ende der Nutzungszeit an einen anderen Ort versetzt wird.

Mont Réel bei der Einweihung Mont Réel bei der Einweihung | © H. Kaluppke

Mont Réel ist Teil von „Deutschland @ Kanada 2017 – Partner von Immigration zu Innovation“, ein Kulturprogramm des Goethe-Instituts und der deutschen Botschaft, das zum 150. Jubiläum der kanadischen Konföderation speziell die deutsch-kanadische Freundschaft feiert.