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Stadtentwicklung
Den sozialen Zusammenhalt stärken

Der Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg: ein kleinbürgerliche Stadtrand-Idyll – oder eine Ghetto Fantasie?
Der Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg: ein kleinbürgerliche Stadtrand-Idyll – oder eine Ghetto Fantasie? | Foto (Auschnitt): © IBA

Stadtentwickler haben längst erkannt, dass Wohngebiete mit einem hohen Anteil benachteiligter Familien besondere Aufmerksamkeit benötigen. Die Atmosphäre kann sich für die Bewohner dadurch deutlich verbessern.

Wenn es um das Miteinander vieler Nationalitäten geht, gelten in Deutschland in Fußballstadien offenbar andere Maßstäbe als auf dem Bolzplatz. Profimannschaften, in deren Spieler ganz unterschiedliche Nationalitäten und Hintergründe haben, werden große sportliche Erfolge zugetraut. Die gleiche Zusammensetzung beim Kick vor einem Hochhaus in einer Wohnsiedlung wird dagegen oft als soziales Alarmsignal interpretiert. Denn ein wesentlicher Faktor dafür, dass eine Gegend als „Problemviertel“ gilt, ist gemeinhin der Anteil von Menschen mit migrantischem Hintergrund.
Tatsächlich toben auf den Sportanlagen von Billstedt und Wilhelmsburg – zwei Hamburger Stadtteile, denen im jährlichen Sozialmonitoring der Stadt konsequent der Status „sehr niedrig“ zugeordnet ist – Kinder unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe gemeinsam hinter dem Ball her. Doch wo der eine ein Alarmsignal sieht, kann man in der Realität vor allem ausgesprochen fröhliche, sportlich-modisch angezogene Hobbykicker beobachten, die akzentfrei deutsch brüllen.

Ghetto-Fantasie oder Vorortidylle

Trotzdem gilt etwa Billstedt laut wiederkehrender Medienberichte als „Ghetto der Dealer und Messerstecher“. Und dieses Bild verbreiten nicht nur Boulevardmedien. Das statistische Material lässt auch Politiker mit Sorgenfalten über Hamburgs Osten sprechen: 22 Prozent Sozialhilfeempfänger, etwa zehn Prozent Arbeitslose, 72 Prozent der unter 18-Jährigen haben einen Migrationshintergrund. Aus diesen Indikatoren erwachsen Ghettofantasien.
In der Realität betrachtet, bietet der große Stadtteil an der Grenze zum Bundesland Schleswig-Holstein ein überraschend gegensätzliches Bild. Alte und neue kleine Einfamilienhäuser mit Rosenstauden im Vorgarten dominieren die Quartiere rund um den U-Bahnhof, dazu kommen höchstens dreigeschossige Wohnanlagen, manche aus der Gründerzeit. Satellitenschüsseln an den Balkonen als Ausweis von Heimweh sind eher selten, Deutschlandfahnen dagegen nicht nur während internationaler Turniere ein verbreiteter Hausschmuck.
Dieses kleinbürgerliche Idyll wird erst in Mümmelmannsberg abgelöst, einer Siedlung am Rande des Stadtteils. Umgeben von einem Naturschutzgebiet, wurde hier in den 1970er-Jahren eine typische Trabantenstadt mit Zeilenbauten und Hochhäusern errichtet, die auf kleinem Raum einen großen Anteil von Sozialwohnungen versammelt.

Spielplätze und bunte Balkone in „Killstedt“

Aber auch diese Siedlung will nicht so recht wie eine „No-Go-Area“ aussehen. Viele Spielplätze und ein äußerst vielfältiger Baumbestand markieren die Zwischenräume der schlichten, aber anständigen Billigarchitektur, die an vielen Stellen erst jüngst saniert und mit neuen Balkonen versehen wurde. Fast alle Balkone sind bunt bepflanzt. Von Banden ist in „Killstedt“, wie Hamburgs größte Lokalzeitung den Stadtteil einmal bezeichnete, weit und breit nichts zu sehen.
Probleme mit jungen Leuten, mit Ghetto-Gehabe und aggressiven Straftaten gibt es in diesem ökonomisch abgehängten reinen Wohngebiet durchaus. Allerdings liegt Billstedt in der Kriminalitätsstatistik unter dem Hamburger Durchschnitt. Und die Tendenz ist deutlich positiv – genau wie in Wilhelmsburg, dem Stadtteil mit dem höchsten Ausländeranteil und dem unschönen Image, nach dem die Hanseaten auf der großen Elbinsel angeblich alles abladen, was sie nicht vor ihrer eigenen Haustür haben möchten: Industrie, Giftmüll und die arme Bevölkerung.

Neue Schulen, Schwimmbad, Kletterhalle

Um eine Kehrtwende einzuleiten, wurde in Wilhelmsburg von 2007 bis 2013 eine Internationale Bauausstellung mit abschließender Bundesgartenschau veranstaltet, die Wohnqualität und Infrastruktur verbessern sollte. Schulen wurden gebaut, Wohnquartiere saniert, verdichtet und neu errichtet, ein großer zentraler Park geschaffen. Zudem entstanden ein Schwimmbad, eine Kletterhalle und verschiedene andere Einrichtungen für Freizeit und Fortbildung in der Wilhelmsburger „Kosmopolis“ mit 80 verschiedenen Nationen.
Dass dafür eine Milliarde Euro investiert wurde, ein Drittel davon aus öffentlichen Mitteln, ist sicherlich ein Sonderfall. Die Einsicht aber, dass Wohngebiete mit hohem Armutsanteil besonderer Zuwendung bedürfen, hat sich längst als Gebot der Stadtentwicklung durchgesetzt. Sie scheitert allerdings häufig an fehlenden Ressourcen.

Lebendige Nachbarschaft

Das Förderprogramm „Soziale Stadt“ des Bundes versucht mit jährlich 140 Millionen Euro innovative Projekte anzustoßen, die „lebendige Nachbarschaften befördern und den sozialen Zusammenhalt stärken“. Seit der Erfindung dieses Instruments 1999 wurden weit mehr als 700 Modellvorhaben unterstützt. Die Hilfestellungen reichen vom Quartierszentrum über Gemeinschaftsgärten bis zur Berufsqualifizierung. Auch wenn die statistischen Indikatoren, die für den Status „sehr niedrig“ sorgen, damit oft kaum verändert werden, können sich die atmosphärischen Verhältnisse für die Bewohner doch vollkommen umkehren.

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