Die Tankstelle von Mies van der Rohe
Deutsche Spuren in Montreal

  • Die Esso Tankstelle von Ludwig Mies van der Rohe © Monik Richter

    Die Esso Tankstelle von Ludwig Mies van der Rohe

  • Eine Informationstafel zur Esso Tankstelle © Monik Richter

    Eine Informationstafel zur Esso Tankstelle

  • Die umgebaute Esso Tankstelle © Monik Richter

    Die umgebaute Esso Tankstelle

Die schönste und berühmteste Tankstelle der Welt

Nicht weit von Montreals Stadtmitte entfernt, auf der im Sankt-Lorenz-Strom liegenden „Île-des-sœurs“ südwestlich des Stadtkerns, findet sich ein kleines Architektur-Juwel eines der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts: die Esso Tankstelle von Ludwig Mies van der Rohe (1886 – 1969).

Mies van der Rohe, der sich nach der Jahrhundertwende, zeitgleich zu seinen nicht minder bekannten und einflussreichen Architektenkollegen Frank Lloyd Wright in den Vereinigten Staaten und Le Corbusier in Frankreich, vom passionierten Autodidakten zur Architektur- und Möbeldesign-Ikone der Moderne schlechthin entwickelt hatte, erlangte seinen guten Ruf nicht zuletzt auch als letzter Direktor der Bauhaus Hochschule. In den 1930er-Jahren wurde diese weltbekannte und für die nachfolgende Bedeutung der modernen Architektur und des Industrie-Designs bahnbrechende Schule jedoch von den Nationalsozialisten zwangsaufgelöst und Mies ins US-amerikanische Exil vertrieben.
 
In seiner neuen Wahlheimat begann er eine zweite Karriere, die ihm in den letzten drei Jahrzehnten vor seinem Tod Weltruhm und internationale Anerkennung bringen sollte. Besonders bekannte Werke sind: der Universitäts-Campus der IIT (1940ger Jahre), die Apartmenthochhäuser am Chicagoer Lake Shore Drive 860/880 (1950/1951), das „Seagram Building“ in New York (1954/1958) sowie sein allerletztes Werk, die Neue Nationalgalerie in Berlin (1969).

Aus dieser Zeit stammt auch die Montrealer Tankstelle, wohl eines seiner ungewöhnlichsten Projekte überhaupt, welches gleichzeitig jedem Architekturliebhaber beispielhaft die Essenz der Theorie und Praxis der Architektursprache des Künstlers nahezubringen vermag.
 
Die im Jahre 2011 von dem Montrealer Architekturbüro FABG durchgeführten Sanierungs- und Umbauarbeiten der zwischenzeitlich verlassenen und vom Verfall bedrohten Tankstelle in ein Mehrgenerationen-Freizeitzentrum, „Haus der Generationen“ genannt, respektiert in großem Maße die Elemente und Ideenkonzepte des gesamten Denkens des Künstlers, die Integration der für die damalige Zeit neuen Baustoffe wie Stahl, Zement und Glas sowie durch neu angewandte Technologien zu höchster baulicher Qualität und Ästhetik zu gelangen.
 
Und in der Tat: Auf fast magische Weise erschließt sich sowohl dem Laien als auch dem Kennerblick Mies‘ bekanntes Motto „Weniger ist mehr“ und sein darauf basierendes Ziel, „das Praktische und das Schöne in eine Verbindung zu bringen.“

Die freitragende Dachkonstruktion liegt wie schwebend auf zwölf massiv verschweißten Stahlträgern, ausgedehnt über zwei voneinander unabhängigen gläsernen Volumen, die ehemals einerseits die Werkstatt, andererseits die eigentliche Tankstelle mit Verkaufsraum verkörperten. Beide sind durch einen zentral platzierten kleinen Glaskubus getrennt, der heute als Schlüsseldepot für ein städtisches Carsharing-Programm dient. Die geniale Einfachheit der Gesamtkonstruktion wird nicht zuletzt auch durch die schwarz lackierten und geschweißten Stahlbalken und Pfeiler im Kontrast zu den weiß-emaillierten Paneeldecken sowie den unter der Dachabdeckung installierten geometrischen Lichtstreifen der Leuchtstoffröhren eindrucksvoll hervorgehoben.
 
Achten Sie auch bitte während Ihres Besuches sowohl auf die von Mies getroffene Standortwahl und die Einbettung der Tankstelle in das angrenzende Wohngebiet als auch auf die Landschaftsgestaltung unmittelbar um das Objekt herum. Denn dies waren Elemente, welche für Mies von derselben Bedeutung waren wie die eigentliche Konstruktion der Tankstelle selbst.

La Station - Centre intergénérationnel
201 Rue Berlioz
Verdun, Montreal
QC, H3E 1C1

Film über die Tankstelle
„Regular or super: views on Mies van der Rohe”
(Joseph Hillel, J. Hillel & Patrick Demers)
Englisch/Französisch, 57 min
Quatre par Quatre Films Inc., 2004

Weitere Werke von Ludwig Mies van der Rohe in Montreal
• Westmount Square (1964-1968)
• Apartment Building Nr. 1 - Île des Sœurs (1969)

Mies van der Rohe Society

 
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