Danielle de Picciotto
„Jetzt fängt etwas Neues an“

Danielle de Picciotto
Danielle de Picciotto | Verwendung mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin

Die amerikanische Künstlerin, Musikerin und Filmemacherin Danielle de Picciotto gehörte zu den ersten, die das Visuelle und den Modeaspekt an Techno definiert haben. Im Interview erzählt sie von großen Momenten und den weitreichenden Umbrüchen der neuen Ära.

Kannst du dich noch an dein „erstes Mal“ Techno erinnern?

Danielle de Picciotto: Ja, also eher mit Acid House, weil das ja der Vorläufer war. (Dr.) Motte und ich haben zusammengewohnt und er hat immer die ganzen Platten von allen möglichen Plattenfirmen zugeschickt bekommen. Die kamen allmählich circa ab 1988, hier mal eine, da mal eine. Es war eine fließende Entwicklung, es war ja nicht sofort Techno, sondern erst mal Acid House.

Gab es vielleicht auch ein Rave-Erlebnis?

Danielle de Picciotto Cover Frontpage
Danielle de Picciotto auf dem Cover der „Frontpage“ | Verwendung mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin
Meinen eigentlichen wirklichen Kick habe ich bekommen, als Motte und ich uns entschlossen haben, nach London zu gehen, weil  in Berlin damals noch nicht viel los war. Wir waren beide noch nie in London gewesen. Motte war sogar noch nie geflogen. Wir hatten eigentlich überhaupt keine Ahnung und haben uns einfach durchgefragt. So sind wir sind dann in einem Club namens „Heaven“ angekommen und haben unsere erste Technoparty erlebt. Das war da der initiale Kick, wo wir dachten: „Wow, was es geht denn hier ab?“ Die Musik war so radikal, wie wir damals auch Punk erlebt hatten, aber die Stimmung war so freundlich. Da war rosafarbener Nebel. Alle haben so komisch getanzt und es war alles irgendwie total politisch korrekt wie bei den Hippies. Der Sound war aber so radikal wie Punk. Und das hat uns beide total gekickt. Das war wirklich der Moment, als wir gesagt haben: „Das müssen wir in Berlin auch machen!“ Dann haben wir in Berlin angefangen, in der „Turbine“ unsere eigenen Partys zu machen.

reduziert auf den Rhythmus

Was genau war an der Musik denn so radikal?

Das war ja konstruierte Musik. Wir kannten natürlich schon Hip-Hop, aber da war immer noch Gesang und meistens eine Melodie dabei. Gut, es gab Eric D und Rakim, die irgendwie ohne Musik gerappt haben. Aber dass es so auf den Beat reduziert wurde, war für damalige Zeiten super radikal. Damals gab es immer irgendetwas mit Gesang oder mit Rap. Auch dass es ohne Schlagzeug, sondern nur elektronische Beats waren, war extrem radikal. Die Musik in den Clubs damals in Berlin war ja Rock. Es gab eine riesige Rockszene, eine mini kleine Hip-Hop-Szene und eine riesige 70s-Revival-Szene, und in den ganzen schwulen Clubs war alles 70s. Das ist ja alles extrem melodie- und gesangsbehaftet. Rock, Pop, Neue Deutsche Welle auch. Und das war jetzt Musik, die eben nicht live, sondern elektronisch war und die total reduziert worden ist auf den Rhythmus. Das war unglaublich.

Danielle de Picciotto Dr. Motte
Danielle de Picciotto und Dr. Motte | Verwendung mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin
Hast du sofort auch gesehen, dass sich dadurch neue Wege in der Kunst ergeben?

Von 1987 bis 1995 hat sich alles verändert. Niemand redet darüber, wie extrem unterschiedlich die Mode in den 80er und nachher in den 90er Jahren nach dem Mauerfall war. In den 80er haben alle schwarz getragen und sahen aus wie New Romantic. Die Leute hatten schwarze Hemden mit Rüschchen, schwarz gefärbte Haare und knallroten Lippenstift. Sie waren weiß geschminkt. Danach war plötzlich Farbe angesagt. Das war so, als ob ein Farbfilm eingelegt wurde. Schon bei der ersten Love Parade habe ich versucht, die Leute dazu zu bringen, eben nicht ihre schwarzen Klamotten oder einfach nur T-Shirts anziehen, sondern dass sie sich farbenprächtig geben. Meine ganze Mode war dann auch so, irgendwie mit Blumen. Man hatte einfach das Gefühl, es ist eine Ära vorbei und es reicht jetzt auch.

Kannst du das für Berlin noch konkretisieren?

Die Atmosphäre in Berlin war schon extrem düster in den 80ern. Es war wie eine verlassene Insel. Man war umringt von Leuten, die Ende der 80er extrem viele Drogen genommen haben. Es gab viele Heroin-Süchtige. Es herrschte immer noch eine Nachkriegskriegsstimmung, was ich als Amerikanerin, die erst 1987 angekommen ist, ganz extrem gespürt habe. Ich dachte nur: "Das gibt es doch überhaupt nicht. Warum reden hier alle über den Krieg? Welchen Krieg? Den Weltkrieg?" Und als plötzlich die Mauer weg war, war sofort alles anders. Das war so krass. Das kann man schwer beschreiben.
 

Sind die Clubs auf euch zugegangen, damit ihr sie gestaltet?

Das war ja das Tolle am Anfang, so von 1989 bis 1995/96. Die Visuals waren Teil von dieser neuen Musik. Davor gab es eigentlich keine Visuals. Aber bei den ersten Techno Parties war es selbstverständlich, dass der ganze Laden damit angestrahlt wird und dass da möglicherweise auch noch dazugehörige Bilder aufgehängt werden. Teilweise waren das auch Laser. Man hat das ganze Interieur im Prinzip durch Bestrahlung verändert und mit dieser Kunst ein „Trompe d'oeil“ (optische Täuschung) generiert, weil es so ungreifbar war. Viele dieser Visuals bestanden aus Film-Loops, Dias und Farben. Das sollte eine Beeinflussung der Psyche sein.

unsere Musik und das ist unsere Generation

Was hat die Öffnung der Mauer für dich verändert? Kamen neue Künstler*innen und Strömungen dazu?

Ich kannte viele Künstler*innen aus dem Osten. Weil ich Amerikanerin war, konnte ich im Vergleich zu den Berlinern ganz einfach in den Osten rein und raus. Ich habe ganz früh, in der ersten Woche glaube ich, eine Amerikanerin kennengelernt, die da immer hin- und hergefahren ist, weil sie so eine Künstler-Mode Gruppe kennengelernt hatte. Die hat sie mir vorgestellt und mit denen habe ich mich angefreundet. Deswegen war ich ganz oft im Osten. Daher gab es für mich gar nicht so eine Trennung. Klar war es anders, aber es war ein Teil vom Ganzen. Ost- und Westberlin waren ja im Prinzip schon eine Stadt. Als die Mauer fiel, sind die dann natürlich reingekommen. Aber es sind auch ganz andere Leute herübergekommen, zum Beispiel die  vielen Investoren, die ganze Straßenzüge aufgekauft haben.

Wenn du Kunst heute siehst: Steckt da noch Techno drin?

Ich denke das am allermeisten, wenn ich heute digitale oder New Media Kunst sehe. Ich weiß noch genau, als das erste „Chroma Park“ im E-Werk war. Das war von unterschiedlichen Künstler*innen der Versuch, mal zu zeigen, was für eine Kunst gerade am Kommen ist. Die hatten sich für das ganze E-Werk Computer geliehen und Projektionen gemacht. Ich weiß noch, wie die Computer im Kreis standen und keiner wirklich wusste, was man damit macht. Das waren so alte Ataris. Dann haben natürlich die ersten angefangen, damit Sachen zu machen. So hat für mich Techno-Kunst begonnen. Im Prinzip ist jetzt die ganze digitale Kunstwelt damit verbunden. Ich muss immer daran denken, wie wir davorstanden und dachten „Was soll man mit dem Ding jetzt bloß machen?“ (lacht)

Gibt es einen Moment, an den du dich besonders gerne erinnerst?

Motte und ich haben nach dem Mauerfall angefangen, illegale Partys zu machen. Wir sind rumgelaufen und haben Orte gesucht, bei denen wir gesehen haben: „Schau mal, da ist die Tür auf. Da kann man rein.“ So haben wir lustigerweise das E-Werk entdeckt, bevor es das E-Werk war. Wir sind irgendwann mal da vorbeigelaufen und haben gesagt: "Ach guck mal." Man konnte überall rein, weil viele Gebäude einfach verlassen waren. Auf dem obersten Stockwerk haben wir gesagt: "Komm, wir machen hier eine Party!" Das waren immer Themenpartys, wie zum Beispiel : „Alle müssen in Weiß kommen. Oder alle müssen mit einem Hut kommen.“ Auf einer Party mussten alle mit einer Rose kommen. Wir haben bis Sonnenaufgang wie wahnsinnig getanzt und sind dann aufs Dach. Da war so ein New Yorker Society It-Girl. Irgendjemand hatte die eingeladen. Sie war zufälligerweise in Berlin und meinte, die ganze Party wäre das Unglaublichste, was sie jemals erlebt hat, weil auf dem Boden waren überall Rosen waren. Wir haben praktisch auf Rosen getanzt und lagen dann alle oben, als die Sonne aufging. Wir waren 300 bis 400 Leute auf dem Dach, natürlich komplett ungesichert, haben die Sonne aufgehen sehen und unsere Musik gehört. Da war so ein Moment, wo wir alle das Gefühl hatten, wir erobern jetzt die Welt. Das war ganz toll. Man merkt es ja nicht, während man es macht. Man reflektiert nicht darüber. Aber das war der Moment, als man geschnallt hat, jetzt fängt etwas Neues an, was wirklich besonders ist. Und das sind wir! Also das ist unsere Musik und das ist unsere Generation! Das war total magisch.
 

Danielle de Picciotto

Danielle de Picciotto ist eine US-amerikanische Künstlerin und lebt seit 1987 in Berlin. Die Musikerin, Autorin und Filmemacherin wurde bekannt durch die Zusammenarbeit mit dem deutschen DJ und Musiker Dr. Motte, indem sie die erste Loveparade in Berlin 1989 initiierten. Sie prägte die Berliner Clubkunst-Szene und konnte sich auch international einen Namen verschaffen. Ihre Werke werden international ausgestellt. 

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