Mathilde Weh
Die Ästhetik der Signale

Mathilde Weh
© Robert Fischer

Die Kuratorin, Musikerin und Künstlerin Mathilde Weh über den Zusammenhang von Musik und Kunst und die von ihr für das Goethe-Institut mitentwickelte Ausstellung „Techno Worlds“.

Warst du damals Ende der 80er, Anfang der 90er selber aktiv in der Technoszene?

Mathilde Weh: Ein bisschen. Ich habe selber Musik gemacht. Ich hatte eine Band in dieser Zeit. Das war aber kein Techno, sondern eher Drum’n’Bass Musik. Techno hat mich schon sehr interessiert, aber ich war jetzt nicht die permanente Club-Gängerin. Als ich die Band Front 242 das erste Mal gehört hatte, fand ich die Musik toll. Die war hart und man konnte sehr gut dazu tanzen. Aber mich hat nie der kommerzielle Techno interessiert, sondern eher der subkulturelle Techno. Da gehört natürlich auch Detroit Techno dazu, damals im Tresor. Das war meine erste Berührung mit der Musik. Ich war damals oft in Berlin, obwohl ich in München gewohnt hatte.

Wie hat sich für dich da eine Verbindung zwischen Kunst und Techno aufgebaut?

Ich habe Kunst studiert und bereits Ausstellungen organisiert, bevor ich Musik gemacht habe. Mir war es immer wichtig, dass man auch bei Live-Auftritten die Kunst - oder sagen wir mal die Performance Kunst - mit einbezieht. Es war für mich klar, dass es da keine strikte Trennung gab, sondern dass Kunst und Musik immer sehr verbunden waren.

auf keinen Fall in Nostalgie verharren

Kannst du ein paar Beispiele nennen?

Der Künstler Daniel Pflumm, der auch in unserer Ausstellung vertreten ist, war wichtig für mich. Später auch Carsten Nicolai und Wolfgang Tillmans mit seinen Fotos. Am Anfang war schon eher die Musik das Zentrale, aber die wird ja auch auf eine bestimmte Art und Weise aufgeführt. Man kann das gar nicht trennen. Es geht nicht darum, dass man Kunstwerke in Clubs hängt. Das kann man natürlich machen, aber das ist nicht das, was ich interessant finde. Ich finde es spannend, dass man das Outfit, die künstlerische Darbietung mit der Musik verbindet.

Welchen Einfluss hatte die reine Musik auf die Kunst?

Ich glaube auf jeden Fall, dass das Besondere an Techno, also dieses Minimalistische, dieses Harte und diese harten Schnitte, auch die Kunst vieler Künstler*innen, die sich mit Techno beschäftigt haben, beeinflusst hat. Zum Beispiel bei Ryoji Ikeda. Der ist Musikproduzent und Künstler, genauso wie auch Carsten Nicolai. Man kann sehen, wie die ihre Videos schneiden oder ihre Kunst anlegen. Diese ästhetischen Prinzipien gibt es ja ähnlich in der Arbeit von der Künstlergruppe M+M, die auch bei der Ausstellung dabei ist. Sie haben im Club eine Röhre installiert. Man hat im ersten Moment gar nicht gesehen, dass das ein Kunstwerk ist. Dort haben sie dann die Videos abgespielt. Da ging es um Ultraschall-Aufnahmen. Die Sequenzen sind so hart geschnitten wie Technomusik.

Wie hast du diese Art von Kunst selber wahrgenommen?

Ich habe es so wahrgenommen, dass es eine ganz neue Art und Weise war, Kunst zu denken, also dass es nicht in einem Museum präsentiert wird, sondern einfach integriert wird. Raum an sich wurde mit Techno auf faszinierende Weise hör- und erlebbar gemacht. Diese mit elektronischen Mitteln produzierte Musik folgte in ihrer Komposition gänzlich anderen Strukturen als im Pop oder in der Rockmusik. Die mit technischen Mitteln produzierte Ästhetik der Signale und der Überlagerungen kann aber auch gut auf visuelle Ebenen übertragen werden, wie zum Beispiel Ryoji Ikeda das gemacht hat. Die von ihm als Musikproduzent erzeugten akustischen Erlebnisse wirken am stärksten in einem bisweilen nur durch Lichteffekte unterbrochenen und möglichst dunkel gehaltenen Clubraum. Dabei geht die Orientierung verloren und der Raum wird fast der Realität enthoben.

sehr politische Arbeiten

Wie hast du das in die Ausstellung „Techno Worlds“ übertragen?

Es war mir sehr wichtig, dass man keine rein historische Ausstellung macht, die nur mit Deutschland zu tun hat, sondern es sollte schon eine Ausstellung sein, die das globale Phänomen Techno beinhaltet. Es ist natürlich nicht einfach, sich zu überlegen, was man zeigt und was nicht. Wir wollten auf keinen Fall in Nostalgie verharren, sondern eine zukunftsgerichtete Visionen dieser Lebenskultur zeigen. Es geht auch darum, dass die Wandlungsfähigkeit und Sperrigkeit von Techno mit seinen ganzen Adaptionen weltweit ziemlich einzigartig ist in der Musikgeschichte.

Nimm uns mal mit in die Ausstellung: Was kann man dort sehen?

Wir zeigen künstlerische Positionen oder künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Thema Techno aus verschiedenen Epochen, nicht nur aus den 90ern, sondern bis heute. Da gehören einerseits Leute wie Daniel Pflumm oder Chicks on Speed von früher dazu. Es gibt einige, die damals in den 90ern sehr bekannt waren oder sich sehr mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Aber es sind auch ganz junge Künstler*innen dabei, wie zum Beispiel Dominique White. Das ist eine junge Künstlerin, die damals noch gar nicht zu Raves gegangen ist, weil sie einfach zu jung dafür war. Wir haben auch Arbeiten wie die von The Otolith Group. Das sind zwei Künstler aus London, die sehr theoretisch arbeiten, aber sich in ihrer Arbeit ganz mit diesem ursprünglichen Techno in Detroit auseinandersetzen. Dann gibt es noch DeForrest Brown zusammen mit AbuQuadim Haqq. Die haben sich mit dem afroamerikanischen Ursprung des Techno beschäftigt. Sie setzen sich in ihren Arbeiten mit diesem ganzen Themenkomplex von Kolonialismus, Globalisierungsprozessen und so weiter auseinander. Das sind sehr politische Arbeiten. Wir haben natürlich auch andere Positionen, die sich mit dem Thema „Clubbing“, dem Club beschäftigen. Das sind teilweise auch sehr politische Arbeiten, die den Club thematisieren, aber auch die Rave Kultur als Gemeinschaft und Ort für politische Aktionen und Widerstand.

Was siehst du heute noch von Techno in der Kunst?

Für unseren Katalog hatte ich Jörg Heiser gebeten, einen Artikel zu schreiben. Er ist ein Autor, der das Buch Doppelleben - Kunst und Popmusik raugegeben hat. Er zitiert darin Wolfgang Tillmanns. Das Zitat finde ich ganz passend: „Ein guter Club ist visuell so stimulierend, dass dort sogenannte Bildende Kunst nicht wirklich gebraucht wird. Die größten Kunstwerke sind die Musikstücke selber, die dort in einer wahnsinnigen Präsenz vorgetragen werden. Diese Mischung aus Musik, Licht, Bewegung, Körpern, Haut, Schweiß und Kleidung ist völlig ausreichend. Die Stimmung in einem Club ist so, wie beste Kunst sein sollte: Sie ist total offen und sagt dir nicht, was du denken sollst. Zugleich ist sie nicht beliebig, sondern ganz speziell und spezifisch. (…) Ich denke, ein produktiver Effekt in der Verbindung von Kunst und Nachtleben resultiert eher nicht darin, dass Kunstwerke in Clubs hängen, sondern darin, dass der ergebnisoffene Aspekt von Musik und Nachtleben befruchtend für alle möglichen Kunstformen sein kann.“ Das fand ich sehr interessant. Was ist denn Kunst? Es gibt auch Bilder, die zum Beispiel Tobias Zielony oder auch Wolfgang Tillmans selbst gemacht haben. Das sind einfach Bilder aus Clubs von den Events. Ich finde, so eine richtige Techno Kunst an sich nur als Bildende Kunst gibt es gar nicht. Aber wenn, dann immer in Verbindung mit der Musik.
 

Mathilde Weh 

Mathilde Weh ist Kuratorin, Musikerin und Künstlerin und arbeitete bis 2022 in der Abteilung Bildende Kunst der Zentrale des Goethe-Instituts in München. Sie berät Kunstprojekte der Goethe-Institute im Ausland und ist Kuratorin der Ausstellung Geniale Dilletanten- Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland. Hierzu veröffentlichte sie den gleichnamigen Katalog zusammen mit Leonhard Emmerling (Hatje Cantz). Die ehemalige Radiomoderatorin und -redakteurin beschäftigt sich intensiv mit den Themen Subkulturen sowie Kunst und Musik und nimmt an Veranstaltungen und Diskussionen von Institutionen oder Universitäten teil, wie u.a. an der Akademie der Künste Berlin. Mathilde Weh hat das Projekt TECHNO WORLDS initiiert.

Mathildes Playliste

 

Diese Playliste ist der bei Spotify verfügbare Teil der von Mathilde Weh eingereichten „Top Ten“-Liste ihrer liebsten Techno Tracks. Leider mussten aus Lizenzgründen einige Tracks wegfallen. Für die vollständige Liste schreibt bitte der Redaktion.
 
 

Top