Rosinenpicker
Spannend, schräg, berührend

Neue Kinderbücher bieten spannende und schräge Geschichten, widmen sich aber auch ernsten Themen wie Pandemie und Krieg.

Von Holger Moos

Andres / Töpperwien: Inspektor Dilemma © © Beltz & Gelberg Andres / Töpperwien: Inspektor Dilemma © Beltz & Gelberg
Eigentlich ist das Inselstädtchen Sandig sehr ruhig und idyllisch. Doch dann werden im neuen Parkhaus die Parkscheinautomaten gesprengt. Der etwas verpeilte Inspektor Ole Dilemma und sein kleiner Hund Komma haben eine aufregende Zeit vor sich und entdecken ein ganz anderes Verbrechen, als am Anfang vermutet. Der Kinderkrimi Inspektor Dilemma. Es fliegt was durch die Luft von Kristina Andres und der Illustratorin Meike Töpperwien ist heiter, komisch und spannend, mit einem Schuss Umweltproblematik. Der „Humor trifft genau die Zielgruppe“, meint Katharina Mahrenholtz von NDR Kultur und zitiert einen begeisterten siebenjährigen Testleser: „Es war sehr spannend und lustig ..., aber nicht gruselig. Also man hat sich nicht gefürchtet“.

Ludwig / Herold: Ellie & Oleg – außer uns ist keiner hier © © Klett Kinderbuch Ludwig / Herold: Ellie & Oleg – außer uns ist keiner hier © Klett Kinderbuch
Mit Ellie & Oleg – außer uns ist keiner hier von Katja Ludwig und der Illustratorin Heike Herold ist die Pandemie in der Kinderliteratur angekommen. Die zwölf Jahre alte Ellie und ihr achtjähriger Stiefbruder Oleg sind Teil einer Patchworkfamilie. Eigentlich wohnen die beiden in der Stadt, doch nun herrscht Pandemie, und die Schulen sind geschlossen. Deshalb sind sie aufs Land gezogen, in ein renovierungsbedürftiges Haus irgendwo an der Grenze zu Polen. Die Erwachsenen und weitere Geschwister wollen nachkommen. Doch auch abends bleiben Ellie und Oleg allein. Zudem ist Ellies Handy weg. Sie sind also von der Außenwelt abgeschnitten und auf sich selbst zurückgeworfen. Ellie & Oleg wird zu einem Abenteuertrip, einer Art Brandenburger Robinsonade. Die Jury für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 begründet die Nominierung in der Kategorie Kinderbuch so: „Der Erzählton transportiert die quicke Wachheit und tapfer kontrollierte Verzweiflung der Erzählerin sehr genau. Oft lässt Katja Ludwig es unterstützt durch die cartoonhaften Illustrationen Heike Herolds lustig werden. Aber nie zu lustig, denn dafür ist die Lage zu ernst. Das wird an keiner Stelle dieses anspruchsvoll erzählten kinderliterarischen Endzeitszenarios vergessen.“

K wie Kopfkino

Esch: Boris, Babette und lauter Skelette © © Kibitz Esch: Boris, Babette und lauter Skelette © Kibitz
Tanja Esch erzählt in ihrem Kindercomic Boris, Babette und lauter Skelette die charmante Geschichte einer eigenwilligen Selbstfindung. Babette, vor Jahren als Haustier gekauft, entzieht sich nicht nur für ihre Besitzerin Lynette jeder Zuordnung. Das katzenähnliche Wesen ist so groß wie ein Kleinkind, hat strahlend gelbes Fell, läuft auf zwei Beinen und kann sprechen, wenn auch mit Sprachfehler. Außerdem liebt es Babette, fernzusehen und verlangt nach einem möglichst gruseligen Umfeld. Als die 16-jährige Lynette für ein Jahr nach England geht, übernimmt der jüngere Nachbar Boris die Verantwortung für Babette – ohne zu ahnen, worauf er sich einlässt. Die Situation wird noch vertrackter, da er Babette vor seinen reinlichkeitsliebenden Eltern geheim halten muss. Die Geschichte endet in einem „fröhlich-chaotischen Trubel anstrengender Fürsorgearbeit“. Besonders Babettes ungestilltes Zugehörigkeitsbedürfnis rührt und fordert Boris – und mit ihm die Lesenden. Dies überzeugte auch die Jury für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2023, sodass Boris, Babette und lauter Skelette ebenfalls in der Kategorie Kinderbuch nominiert wurde. Gelobt wird insbesondere die zeichnerische Umsetzung: „Tanja Eschs Zeichnungen überzeugen durch einen reduzierten, aber präzisen Stil. In bunt-knalliger Flächigkeit erzählen übersichtliche Panelfolgen temporeich und mit viel Humor vom Selbstfindungsweg einer kurios charmanten Ausnahmefigur.“

Mohl / Kirschner: Wilde Radtour mit Velociraptorin © © Mairisch Mohl / Kirschner: Wilde Radtour mit Velociraptorin © Mairisch
Eine ebenfalls schräge Geschichte ist Wilde Radtour mit Velociraptorin von Nils Mohl und der Illustratorin Halina Kirschner. Darin unternimmt der Erzähler, ein Schriftsteller, aus Ermangelung an Schreibideen eine Radtour und wird dabei von einer schlagfertigen Saurierdame begleitet. Wilde, bunte Bilder illustrieren den rasanten Ausflug, am Rand läuft ein Alphabet von A bis Z, das die im Text auftauchenden Begriffe (besonders für Radliebhaber) erklärt. Mathias Ziegler von der Wiener Zeitung meint: Das „Buch ist C wie crazy, aber auch voller P wie Poesie und auch ein bisschen K wie Kopfkino. Und Halina Kirschners quietschbunte Dino-Bilder haben viel H wie Humor. Und ja, ein bisschen L wie lehrreich ist das Ganze natürlich auch.“

Ein Enkel erzählt Opa vom Krieg

Drvenkar: Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück © © Hanser Drvenkar: Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück © Hanser
Ein anderes Thema ist ebenfalls wieder verstärkt in den Fokus unserer Aufmerksamkeit gerückt. Leider muss man in diesem Fall sagen, denn es geht um den Krieg bzw. die Kriege in unserer Welt. Der vielfach prämierte Kinder- und Jugendbuchautor Zoran Drvenkar erzählt in seinem neuen Jugendroman von einem langen Gespräch zwischen einem an fortschreitender Demenz leidenden Großvater und dessen Enkel. Letzterer sieht seinen Opa danach mit anderen Augen. Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück heißt dieses Buch, das mit dem Luchs des Monats März 2023 ausgezeichnet wurde. Es ist ein berührender Generationenroman und ein poetischer Trip durch Erinnerungen, Flashbacks und Imaginationen: „Indem der Elfjährige dem Hundertjährigen die Lügenmärchen, die er von ihm kennt, zurück erzählt, weckt er in seinem Großvater die wahren, verschütteten Erinnerungen an das Grauen des Krieges.“

Schwieger/ Ablang: Kinder unterm Hakenkreuz  © © dtv Schwieger/ Ablang: Kinder unterm Hakenkreuz © dtv
In ihrem Kinder- und Jugendsachbuch Kinder unterm Hakenkreuz schildern Frank Schwieger und die Illustratorin Friederike Ablang in zehn Geschichten, wie Kinder den Nationalsozialismus wahrgenommer haben. Der zeitliche Bogen reicht vom Beginn der Judenverfolgung 1933, welche die elfjährige Erna hautnah erlebt, bis zum Ende des Krieges 1945, als es die ebenfalls elfjährige Jana schafft, aus einem Konzentrationslager zu fliehen. Erzählt wird außerdem, wie jüdische Familien in Polen, in den Niederlanden und in Österreich verfolgt wurden. Aber es geht auch um spektakuläre Rettungsaktionen jüdischer Kinder in Frankreich und der gelungenen Flucht fast aller dänischen Juden nach Schweden. Begleitet werden diese lebendigen Berichte von Fotos und politischen Informationen.
 
Rosinenpicker © © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank
Kristina Andres / Meike Töpperwien (Ill): Inspektor Dilemma. Es fliegt was durch die Luft
Weinheim: Beltz & Gelberg, 2023. 154 S.
ISBN: 978-3-407-75717-3 (Ab 7 Jahren)
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe

Zoran Drvenkar: Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück
München: Hanser, 2023. 159 S.
ISBN: 978-3-446-27594-2 (ab 11 Jahren)
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe

Tanja Esch: Boris, Babette und lauter Skelette
Hamburg: Kibitz, 2022. 151 S.
ISBN: 978-3-948690-17-5 (ab 8 Jahre)

Katja Ludwig / Heike Herold (Ill.): Ellie & Oleg – außer uns ist keiner hier
Leipzig: Klett Kinderbuch, 2022. 240 S.
ISBN 978-3-95470-275-6 (ab 9 Jahre)

Nils Mohl / Halina Kirschner (Ill.): Wilde Radtour mit Velociraptorin
Hamburg: Mairisch Verlag, 2023. 62 S.
ISBN: 978-3-948722-27-2 (Ab 4 Jahre)
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe

Frank Schwieger/ Friederike Ablang (Illustrationen): Kinder unterm Hakenkreuz - Wie wir den Nationalsozialismus erlebten
München: dtv, 2023. 287 S.
ISBN: 978-3-423-76440-7 (ab 9 Jahre)
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe

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