Versöhnung in Deutschland und Kanada
Versöhnung mit der Vergangenheit

Reconciliation
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„Aufgrund unserer Geschichte bin ich nicht stolz darauf, Deutscher zu sein.“

Die Aussage meines Schulkameraden überraschte mich, weil ich zu Hause in Kanada nie jemanden so etwas sagen gehört habe.

Von Waubgeshig Rice

Aber ich verstand was sie meinte, denn die ganze Welt ist sich der beschämenden Geschichte bewusst, von der sie sprach. Die Geschichte des brutalen Hitlerregimes ist schließlich hinreichend bekannt. Aber in meiner Heimat Kanada kannte außerhalb der indigenen Bevölkerung kaum jemand die gewalttätige und grausame Geschichte Kanadas.

Auslöschung von Kultur und Identität

Wir saßen im Herbst 1996 in einem Café in der Nähe des Brake Gymnasiums. Dort ging ich als Austauschschüler über Rotary International zur Schule. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits seit etwa fünf Monaten in Deutschland und beherrschte die deutsche Sprache gut genug, um mich mit zwei Freunden über die Geschichte unserer Länder unterhalten zu können.
 
Ich erklärte ihnen das kanadische Schulsystem der Indian Residential School, das über ein Jahrhundert lang indigene Kinder entführt und brutal behandelt hatte. Die Regierung wollte ihre Kultur und Identität auslöschen, was in vielfachen Traumata und zu weit verbreitetem Missbrauch, teilweise sogar zu Todesfällen führte. Obwohl unsere Diskussion nur unsere 15-minütige Kaffeepause zwischen den Unterrichtsstunden dauerte, konnten wir doch tiefgehender über Kanadas Geschichte des Völkermordes sprechen, als ich es jemals bisher mit irgendwelchen weißen Gleichaltrigen zu Hause in Kanada getan hatte.
 
Ich verstand damals, dass Deutschland und Kanada zwei verschiedene Länder mit sehr unterschiedlichen Herangehensweisen an die Aufarbeitung ihrer beschämenden Geschichte waren. Während Deutschland, so war mein Eindruck, an Aufklärung über die Gräueltaten der Vergangenheit interessiert war, schien Kanada mehr daran interessiert zu sein, den inneren (und äußeren) Frieden zu einem schrecklichen Preis zu erhalten.

das gemeinsame Ziel einer positiven Zukunft

Fast ein Vierteljahrhundert später hat Kanada jedoch Schritte unternommen, um seine Verbrechen gegen indigene Völker aufzuarbeiten. Im Jahr 2008 entschuldigte sich die Regierung schließlich bei den Überlebenden des Internatssystems dafür, sie sie aus ihren Familien und Gemeinden geholt und der Gewalt ausgesetzt hatte. Bald darauf folgte die Wahrheits- und Versöhnungskommission, die mit der Aufgabe durch das Land reiste, die Geschichten der Überlebenden zu sammeln, um die Wahrheit über Kanadas bedauerliche Taten aufzudecken und sicherzustellen, dass sie sich nicht wiederholen würden.
 
Und schließlich ist „Versöhnung“ ein Wort geworden, das man täglich in Gemeinden in ganz Kanada hören kann. In den fünf Jahren, seit die Wahrheits- und Versöhnungskommission ihren Abschlussbericht herausgegeben und zum Handeln aufgerufen hat, hat der Begriff der Versöhnung für verschiedene Menschen ganz unterschiedliche Bedeutungen angenommen. Für einige bedeutet sie das gemeinsame Ziel einer positiven Zukunft. Für andere bedeutet sie die Rückgabe von indigenem Land an ihre rechtmäßigen Verwalter im wahren Geist des Wortes. Und für andere wiederum ist so oft von Versöhnung die Rede gewesen, ohne dass dies reale Konsequenzen gehabt hätte, dass der Begriff für sie überhaupt nichts mehr bedeutet.
 
Und genau hier kommt die Kunst ins Spiel. Hier haben wir eine erstaunliche Sammlung von Interpretationen von Versöhnung und Wiedergutmachung aus Deutschland und Kanada. Die Stimmen und Erfahrungen sind lebhaft und vielfältig. Das Verständnis dieser ergreifenden Perspektiven ist entscheidend für die Fortsetzung dieser Diskussionen für künftige Generationen.

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