Samenreiches Teilen
Saatgut-Bibliotheken helfen Nachbarschaften zusammenzuwachsen
Gartenarbeit kann einschüchternd sein, insbesondere für AnfängerInnen: entscheiden zu müssen, was man einpflanzt, die Samen zu finden sowie Werkzeuge und anderes Zubehör, und zu hoffen, dass die Samen auch gedeihen. Glücklicherweise gibt es in vielen Gemeinschaften Unterstützung von Nachbarn, die bereits aktive Gärtner und Gärtnerinnen sind.
In Toronto ansässige Saatgut-Bibliotheken machen die Gartenarbeit zugänglicher, indem sie Samen teilen. Eine einzelne Person benötigt möglicherweise nicht alle 400 Tomatensamen einer Packung oder mag gemerkt haben, dass der Versuch aus der letzten Saison, Rippenmelonen anzubauen, doch nicht sein oder ihr Ding war. Andere GärtnerInnen wiederum hatten im letzten Sommer vielleicht eine erfolgreiche Hinterhof-Ernte und konnten dadurch etliche Samen gewinnen. Eine Saatgut-Bibliothek lässt NachbarInnen Saatpäckchen kostenlos spenden oder verleihen. Ungleich einer Saatgut-Bank, welche auf die Konservierung von Samen abzielt, ermutigen die „grünen Bibliotheken“ das Anpflanzen, besonders wenn es sich um Bio-Samen handelt und um Samen, die für das lokale Klima geeignet sind.
Die Toronto Seed Library ist, mit 18 Zweigbibliotheken in Nachbarschaften überall in der Stadt, die größte Initiative in Toronto. Jacob Kearey-Moreland arbeitete 2012 als Freiwilliger in der Toronto Tool Library, einer mitgliedschaftsbasierten Organisation mit einer Sammlung von Hand- und Elektrowerkzeugen sowie anderen Hilfsmitteln, die Mitgliedern nach Bedarf zur Verfügung stehen. Die Werkzeug-Bibliothek besaß bereits Gartenwerkzeuge, woraufhin Keary-Moreland realisierte, dass man auch Saatgut brauchen würde. Bei sich zuhause hatte er bereits eine kleine Saatgut-Bank angelegt, doch wollte er mehr Samen für die Gemeinschaft zugänglich machen.
„Das Konzept der Saatgut-Bibliotheken ist überragend“ so Keary-Moreland. Der Schwerpunkt liege auf öffentlichem Zugang und „die Bibliothek wird zu einem ständigen Saatgut-Austausch“.
Für die TSL benötigt man keinen Bibliotheksausweis: Man kann einfach vorbeikommen und Samen mit nach Hause nehmen. Sobald die Pflanzen gedeihen und Samen geben, bringt man sie – oder Samen einer anderen Pflanze – wieder zurück. („Keine Sorge, es gibt keine nachträglichen Gebühren für Ernte-Misserfolge oder bei versehentlichem Verspeisen aller Samen“ heißt es auf der Webseite der Bibliothek.) Die Saatgut-Sammlung besteht aus aufbewahrten Samen von Mitgliedern der Gemeinschaft sowie aus Spenden von Saatgut-Unternehmen.
Nalini Singh ist die Samen-Bibliothekarin der Inforum TSL Zweigstelle der University of Toronto. Sie hatte die Stelle angenommen, nachdem ein Absolvent auf sie zukam, der als TSL-Freiwilliger tätig war. Die Zweigstelle führt etwa drei Dutzend verschiedene Samentypen — Tomaten, Blattgemüse und Kräuter sind die beliebtesten Samenleihgaben. „Wir benutzen einen Kartenkatalog [um die Sammlung aufzubewahren]“ lacht Singh. „Es ist wirklich eine wunderbare Möglichkeit, die Community zusammenzubringen und mit Menschen übers Gärtnern zu sprechen.“ Sie sagt, mehr als die Hälfte der Stammgäste seien bereits aktive Gärtner und Gärtnerinnen, aber auch Laien würden ihren Weg in die Bibliothek finden.
„Wir haben den Ableger der Toronto Seed Library benutzt, der Teil der Tool Library war und der nur einen Block von uns entfernt lag, aber sie sind umgezogen, sodass unser Gebiet nicht mehr abgedeckt wurde“ sagt Garten- und Bibliotheksgründerin Erin Alladin. Ein Gemeindemitglied spendete Gärtnerei-Bücher, die Samen kamen aus verschiedenen Haushalten, von Gemeindespenden oder stammen von den Pflanzen der Gemeinschaftsgärten.
Die Bücher-Bibliothek beruht auf dem Vertrauensprinzip und Alladin sagt, sie hätten seit der Eröffnung im Juli 2018 bereits viele Besucher Bücher leihen sehen. Während es bei dem Garten darum geht, gemeinsam Pflanzen heranzuziehen, zielt die Saatgut-Bibliothek darauf ab, Menschen in der Nachbarschaft zu erreichen und sie zu ermutigen, bei sich zuhause zu züchten.
Was das Teilen von Saatgut und Gemeinschaftsgärtnern angeht, kann sich Kanada Ratschläge aus deutschen Traditionen einholen: Schrebergärten, in denen Mitglieder Zugang zu ihren eigenen Kleingärten innerhalb eines großen Gemeinschaftsgartens haben, reichen bis zur Verstädterung in Deutschland im 19. Jahrhundert zurück und erfreuen sich noch heute großer Beliebtheit. Die Tradition der Gemeinschaftsgärten gibt deutschen GärtnerInnen und AktivistInnen einen naheliegenden Ort, um Saatgut miteinander zu teilen.
Seit Jacob Kearey-Moreland die Toronto Seed Library gegründet hat, half er, andere Saatgut- Bibliotheken in Ontario ins Leben zu rufen, und nahm an internationalen Saat-Bibliothek-Foren in Tuscon, Arizona, teil, um sich mit anderen Saat-BibliothekarInnen aus Orten bis hin zu Palästina und Seoul zu vernetzen. „Neue Saat-Bibliotheken entstehen nahezu jeden Tag“ sagt er. Es ist klar: das Konzept sprießt so schnell wie Tomatenpflanzen im Frühling.