Urban Incubator Perspektiven

  • Spanisches Haus 2013 Foto: Nebojša Vasić © Goethe-Institut
    Spanisches Haus 2013
  • Spanisches Haus 2013, Sun RA, Heliocentric Counterblas Foto: Goethe-Institut/Matthias Müller-Wieferig
    Spanisches Haus 2013, Sun RA, Heliocentric Counterblas
  • C5 2014, Urban Cooks Foto: © Urban Incubator
    C5 2014, Urban Cooks
  • C5 2014, Urban Cooks, Workshop Foto: © Urban Incubator
    C5 2014, Urban Cooks, Workshop
  • Radio Savamala, Ginger Ensemble 2013 Foto: Nebojša Vasić © Goethe-Institut
    Radio Savamala, Ginger Ensemble 2013
  • CAMENZIND 2013, Robin the Fog Workshop Foto: Nebojša Vasić © Goethe-Institut
    CAMENZIND 2013, Robin the Fog Workshop
  • NextSavamala 2014 C5, Ausstellung Foto: © Urban Incubator
    NextSavamala 2014 C5, Ausstellung
  • Model for Savamala 2013 Foto: Nebojša Vasić © Goethe-Institut
    Model for Savamala 2013
  • Weird, Präsentation, Kraljevića Marka 8, 2014 Foto: Nikola Marković © Urban Incubator
    Weird, Präsentation, Kraljevića Marka 8, 2014
  • Projekt Župa 2014, Workshop Foto: Nebojša Vasić © Goethe-Institut
    Projekt Župa 2014, Workshop
  • Projekt Župa 2014 Foto: © UK Parobrod
    Projekt Župa 2014

Seit den ersten Projektanfängen 2011 bis heute hat sich viel getan im ehemals heruntergekommenen städtischen Umfeld von Savamala, zwischen historischer Altstadt und dem Sava-Ufer - ein erstaunlicher städtebaulicher und kultureller Wandel hat sich vollzogen. 2017 wird das Jahr des Archivierens und Dokumentierens von fünf wichtigen Jahren. Die Beteiligten des Urban Incubator,  Besucher, Teilnehmer, Beobachter ziehen Bilanz, welche Spuren ein temporäres Kulturprojekt hinterlässt, das Impulse und neue Ansätze weiterträgt.

Verlassene Straßen, nächtliches Dunkel, Werkstätten mit vielen ehemals staatlichen Angestellten und wenig Arbeit, Reihen von Anglern vor einem „Friedhof“ von alten Schiffswracks und historischen Dampfern unterhalb der Brankov-Brücke, kleine Geschäfte und Kneipen und ein tapferes Kulturzentrum – 2011 sah einmal ganz anders aus. Der Wandel ist unübersehbar: Heute haben Bars „Klein Berlin“ zu einer Partymeile verwandelt, neue Clubs heißen gleich „Berliner“ oder ein Verkaufstand „Wurstplatz“. Zum Kulturzentrum GRAD hatten sich MIKSER gesellt, Hub Gallery oder NOVA ISKRA sind eingezogen in einen Stadtteil, der für Künstler attraktiv wurde.
 
Nun beherrschen erste Großbaustellen von  „Belgrade Waterfront“ den Stadtteil, ein Megaprojekt, das – unter vielstimmigem Protest - von arabischem Investor, Stadt und nationaler Politik durchgesetzt wird. Die kulturellen und historischen Potenziale einer partizipativen, behutsamen Stadterneuerung, erklärte Vision des Urban Incubator, werden physisch von einer radikalen Version der in vielen Großstädten Europas durchgreifenden „Gentrifizierung“ – im Stile eines südosteuropäischen Transitionsprozesse -  „überbaut“.

Am Anfang des Urban Incubator, geboren lange bevor Belgrade Waterfront Ende 2013 erstmals öffentlich wurde, stand die Idee eines temporären Kultur-Pavillions, der auf einer Brache des Stadtteils Savamala, ungefähr dort, wo jetzt ein „Belgrade Tower“ für zukünftige reiche Immobilienbesitzer ungehinderten Ausblick auf Stadt und Flüsse verspricht - aufgestellt werden sollte, um das Goethe-Institut für eine gewisse Zeit zu beherbergen, während es aus Erdbeben-Sicherheitsgründen umgebaut wurde. Für die Kultur und Politik des Stadtteils eine interessante künstlerische und urbanistische Option, denn von der Unterbringung eines europäischen Kulturzentrums erhoffte man sich neue kulturelle Impulse.
 
Das Jahr 2013 war ein Meilenstein dieser Entwicklung, als - nunmehr unter dem Titel „Urban Incubator“ und unter ganz anderen Umständen - das Exzellenz-Projekt des Goethe-Instituts begann. Bewusstsein für die historischen Belange eines vernachlässigten Stadtteils schaffen und Spuren hinterlassen – ein Kulturprojekt ist immer temporär, besetzt Nischen, nutzt Bestehendes eher denn Neues zu bauen, und vermittelt ein nationales und internationales Netzwerk.
 
Sieben lokale und internationale Projekte waren für ein ganzes Jahr nach Savamala eingeladen, um den Stadtteil, die Geschichte(n) und das Wissen der Bevölkerung kulturell, künstlerisch und sozial zu erforschen, und zu einem zukünftig besseren Leben in dem bis dahin verlassenen und verlorenen Quartier beizutragen.

Ausgehend von dieser Projekt-Keimzelle wurde Anfang 2014 die Urban Incubator-Assoziation gegründet – ein wichtiger Schritt in Richtung einer nachhaltigen lokalen Etablierung der Urban Incubator-Vision und eine weitere Herausforderungen für eine aktive Beteiligung an der zukünftigen Stadtteil-Entwicklung. Frühere Urban Incubator-Projekte sind seitdem ausgeschieden (nicht ohne ihre Spuren zu hinterlassen!), andere sind geblieben, um diese neue und unabhängige Institution weiterhin aktiv zu formen und neue Ideen und Partnerschaften beizusteuern.
 
Somit hat der Urban Incubator bereits seit dem ersten Programmjahr 2013 umfassend zu einem neuen lokalen und internationalen „Branding“ von Savamala als einem kulturellen, urbanen Stadtbezirk beigetragen. Seine kulturellen Initiativen sowie lokale und internationale Ansätze haben ein breiteres Bewusstsein über diesen vernachlässigten Stadtteil herbeigeführt – zu einer kulturellen  Vision für Savamala, die „wichtiger [ist] als je zuvor“: Darauf wies der Korrespondent der Neuen Züricher Zeitung, Andreas Ernst, hin, nachdem er seine Reportage im Oktober 2014 über Savamala und ein städtebauliches Megaprojekt, „Belgrad am Wasser“ veröffentlicht hatte unter dem Titel: „Belgrads riskantes Mega-Projekt am Flußufer der Sava – „Die Stadt zum Fluss bringen . . .“ Seine Schlussfolgerung: „ [. . . ] viele Belgrader fürchten, dass das Großprojekt zu einem bösen Erwachen führt.
 
Im Gegensatz zu Neubau-Projekten sind im Urban Incubator-Projektrahmen besonders alte Baubestände wieder belebt worden: Kraljevića Marka 8 – jetzt einer der zehn hochgelobten und ausgezeichneten Gallerie-Räume Belgrads – und das Spanische Haus unterhalb der Branko-Brücke wurden zurückerobert und zum Teil renoviert.
 
Eine kulturelle Zwischennutzung dieser Räumlichkeiten wird nun beendet, die Urban Incubator Association stellt ihre Arbeit nach fünf Jahren ein – nicht ohne Bilanz zu ziehen, Dokumente, Bilder, Ansätze, Kontakte und Erfahrungen analytisch aufzuarbeiten, ein Gedächtnis von kultureller Selbstorganisation, Lernprozessen gemeinsam mit den Goethe-Guerilla und City-Guerilla aufzubauen als physisches und lebendiges Archiv.
 
Der Urban Incubator und seine vielen lokalen und internationalen Freunde haben zahlreiche Ansätze initiiert oder gefördert, die neue Ansätze für die Gestaltung der Städte der Zukunft aufzeigen. Durch ihre Aktivitäten haben sie nun Zugang zu einem großen Netzwerk von Künstlern, Aktivisten und Institutionen, zu Foren für Diskussionen und für einen breit angelegten Austausch. Partner- und Anschlussprojekte wie WELSTADT und ACTOPOLIS und weitere Projektideen haben die Nachhaltigkeit der Vision des Urban Incubator bewiesen. Diese Spuren gilt es in den nächsten Jahren zu analysieren und damit zu bewahren als ein anderes Gedächtnis von Savamala und den vielfältigen kulturellen Potenzialen, die im Engagement von Bürgern für ihre Stadt schlummern.

Dr. Matthias Müller-Wieferig
Mit-Initiator und Projektleiter