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Informationskompetenz

 Informationskompetenz
© Abier Megahed

Von Prof. Dr. Ludger Syré

Die Vermittlung von Informationskompetenz gilt heute im Bibliothekswesen als Standardaufgabe. Die meisten Bibliotheken haben sie fest in das Portfolio ihrer Dienstleistungen aufgenommen. Dass dieser Sektor in den Wissenschaftlichen Bibliotheken anders und mitunter deutlich stärker ausgeprägt ist als in den Öffentlichen Bibliotheken, ergibt sich aus der unterschiedlichen Zusammensetzung der Bibliotheksbenutzer, aber auch ganz allgemein aus dem höheren Grad der Digitalisierung. In der neu hinzugekommenen Aufgabe spiegelt sich die verstärkte Hinwendung aller Bibliotheken in Richtung Nutzerorientierung. Sie ist aber auch eine Antwort auf die veränderten Studiengänge an den Hochschulen und auf die Anforderungen, die sich aus der rapide wachsenden Verbreitung digitaler Information und Kommunikation in Lehre und Forschung ergeben.
 
Informationskompetenz (englisch literacy) stellt in der heutigen Informationsgesellschaft eine wesentliche Schlüsselkompetenz dar und ist eine Voraussetzung für die aktive Teilhabe an der Wissensgesellschaft. Sie entspricht dem Prinzip des lebenslangen Lernens, ist unabhängig von Lebensalter, Bildungsstand, Fachrichtung oder Beruf. Wer diese Fähigkeit besitzt, kann kompetent, effizient und verantwortungsbewusst mit Informationen umgehen. Er kennt seinen Bedarf an Informationen und ist in der Lage, diese zu beschaffen und im Hinblick auf sein Arbeitsvorhaben zu analysieren und zu evaluieren. Eine häufig verwendete Definition von Informationskompetenz stammt vom Deutschen Bibliotheksverband; er spricht von der „Fähigkeit, die es ermöglicht, bezogen auf ein bestimmtes Problem Informationsbedarf zu erkennen, Informationen zu ermitteln und zu beschaffen sowie Informationen zu bewerten und effektiv zu nutzen.“
 
Nicht allein die Hochschulbibliotheken haben sich das Ziel gesetzt, ihre Nutzer in eigenen Lehrveranstaltungen, die im Idealfall als Pflichtveranstaltungen in die Lehrpläne der Studiengänge integriert sind, oder durch Anleitungen zum Selbststudium bei der Entwicklung von Informationskompetenz zu unterstützen. Damit dies nicht planlos geschieht, haben mehrere bibliothekarische Gremien versucht, Standards aufzustellen, die informationskompetente Nutzer erfüllen sollten, die aber auch für die diejenigen als Richtlinie gelten, die Informationskompetenz im Rahmen von Schulungen und Kursen zu vermitteln haben. Der Deutsche Bibliotheksverband hat aus seiner Definition folgende Standards abgeleitet, die sich auch auf nichtstudentische Nutzergruppen übertragen lassen:
 

  1. Die informationskompetenten Studierenden erkennen und formulieren ihren Informationsbedarf und bestimmen Art und Umfang der benötigten Informationen.
  2. Die informationskompetenten Studierenden verschaffen sich effizient Zugang zu den benötigten Informationen.
  3. Die informationskompetenten Studierenden bewerten die gefundenen Informationen und Quellen und wählen sie für ihren Bedarf aus.
  4. Die informationskompetenten Studierenden verarbeiten die gewonnenen Erkenntnisse effektiv und vermitteln sie angepasst an die jeweilige Zielgruppe und mit geeigneten technischen Mitteln.
  5. Die informationskompetenten Studierenden sind sich ihrer Verantwortung bei der Informationsnutzung und -weitergabe bewusst. 
Die heutige Gesellschaft ist eine Wissensgesellschaft, in der das Orientierungswissen einen hohen Stellenwert hat und in der die Lernkultur durch selbstorganisiertes Lernen bestimmt wird. Dieses setzt naturgemäß grundlegende Fähigkeiten wie etwa die Schreib- und die Lesekompetenz voraus, führt andererseits darüber hinaus aber auch zum Erlernen weiterer wichtiger Soft Skills, beispielsweise der Daten- und der Internetkompetenz oder der Kommunikationskompetenz. Daraus ergeben sich neue Sichtweisen auf die Informationskompetenz selbst. Auch wenn die kompetente Nutzung und Verarbeitung von Informationen ihre zentrale Bedeutung behalten wird, treten an ihre Seite weitere wichtige Fähigkeiten. Sie gründen in der rasanten Entwicklung auf dem Sektor der sozialen Netzwerke und im beschleunigten Wandel der Informations- und Kommunikationstechnologie und betreffen namentlich den Wissensbildungs- und den Publikationsprozess.
 
Für die Bibliotheken bedeutet diese Entwicklung, dass sie ihr differenziertes Teaching Library-Angebot aus Einführungen, Schulungen und Kursprogrammen für Schüler, Studierende, Wissenschaftler und andere Nutzer inhaltlich erweitern müssen. Sie haben nun auch Beratung bei Bildungs- und Studienvorhaben anzubieten, das elektronische Publizieren nach dem Open Access-Prinzip zu unterstützen und sich um die Erschließung und Archivierung von Forschungsdaten zu kümmern. Schon heute gehört die Schreibberatung dazu, die bei der Abfassung wissenschaftlicher Texte unterschiedlicher Niveaustufen behilflich ist, was angesichts des breiten akademischen Fächerspektrums keine leichte Aufgabenstellung ist. Hier zeigt sich, dass das Konzept der Informationskompetenz auch die kreative, die produktive Seite einbeziehen muss.
 
Deutlicher als früher werden heute die ethischen Aspekte der Informationskompetenz hervorgehoben. Im Mittelpunkt des oben zitierten fünften Standards steht die individuelle Verantwortung bei der Nutzung und der Weitergabe der Information. Das bedeutet beispielsweise die Respektierung geistigen Eigentums, etwa durch die Vermeidung von Plagiaten; zum verantwortungsvollen Umgang mit Informationen zählt aber auch ein ethisch reflektiertes Handeln, das den Schutz der Privatsphäre anderer Menschen und deren Recht am eigenen Bild respektiert und sich an die Bestimmungen des Datenschutzes hält. Wer in einer Bibliothek Informationskompetenz lehrt, muss die Vermittlung ethischer Kompetenz einbeziehen, damit seine Schüler die Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und anderen verinnerlichen.
 
Wenn Bibliotheken sich die Vermittlung von Informationskompetenz auf ihre Fahne geschrieben haben, werden sie zum Wissen- und Lernraum; das schlägt sich selbstverständlich in der räumlichen Gestaltung und technischen Ausstattung der Bibliotheksgebäude nieder. Es setzt zugleich Mitarbeiter voraus, die alle genannten Schlüsselqualifikationen, die wesentliche Voraussetzung erfolgreichen Lernens, Studierens und wissenschaftlichen Arbeitens sind, nicht nur selbst beherrschen, sondern auch lehren und vermitteln können. Das verlangt pädagogische und didaktische Fähigkeiten. Da diese nicht Gegenstand der üblichen bibliothekarischen Fachausbildung sind, müssen sie im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen erlernt werden. Das könnte außer in traditionellen Fortbildungslehrgängen zusätzlich in Form von E-Learning-Kursen erfolgen. Online-Kurse im Sinne des Blended Learning bieten manche Bibliotheken auch im Bereich der Vermittlung von Informationskompetenz an; sie können die orts- und personengebundene Schulung nicht ersetzen, aber um eine alternative Unterrichtsform ergänzen und dadurch die Chance bieten, einen anderen Interessentenkreis anzusprechen.

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