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Der zweite Jakob

 Norbert Gstrein: Der zweite Jakob.
München: Carl Hanser Verlag, 2021,  448 Seiten.


Wie wird das Leben zum Erzählgegenstand? Unter welchen Bedingungen und um welchen Preis? Welche Verfälschungs-, Auslassungs- und Verschweigungsmechanismen werden dabei aktiviert? Wer ist imstande und wer ist berechtigt, ein Leben zu erzählen? Solche Fragen stehen im Kern des neuen Romans des österreichischen Autors Norbert Gstrein, Der zweite Jakob, der neulich auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2021 stand. Protagonist und Ich-Erzähler des Romans ist ein berühmter Schauspieler namens Jakob Thurner, wohnhaft in Innsbruck, der anlässlich seines 60. Geburtstags sein ereignisvolles Leben Revue passieren lässt – in einem Versuch, seine Vergangenheit zu rekonstruieren und alte, innere Rechnungen zu begleichen. Als widersprüchlich, inkonsequent, unzuverlässig erweist sich Jakob sowohl als Erzähler als auch als Protagonist seines Lebens, indem er den Grad seiner Beteiligung und Schuld in Bezug auf Ereignisse, die ihn geprägt zu haben scheinen, auf- und wieder zudeckt.
Jakob ist allerdings nicht der einzige, der versucht, seine Vergangenheit in Ordnung zu bringen und seine Geschichte zu erzählen; das tut (aus seiner eigenen Perspektive) auch Elmar Pflegerl, der an Jakobs Biografie schreibt: Ein zentraler Handlungsfaden des Buches dreht sich um die regelmäßigen, ausführlichen und angespannten Gespräche zwischen Jakob und Elmar, bei denen der Letztere den Stoff für die Biografie zusammenstellt. Dass der gründliche, oft misstrauische Blick des Anderen unweigerlich eine unangenehme Selbstbetrachtung und Auseinandersetzung mit den eigenen Dämonen auslöst, zeigt sich nicht nur am Verhältnis zwischen dem Biografem und dem Protagonisten der Biografie, sondern auch an der Beziehung zwischen Jakob und seiner Tochter – eine Beziehung, die besonders entscheidend für die Entwicklung der Figur von Jakob ist.
Mit großer stilistischer Eleganz und mittels eines Erzählens, das sich durch seine Lebendigkeit auszeichnet und die Leser*innen mitreißt, bringt Norbert Gstrein die Gewissheiten über den Protagonisten des Buches systematisch ins Wanken und rückt die Undurchsichtigkeit des Selbst und die Unmöglichkeit einer kohärenten Erzählung ins Zentrum seines gut aufgebauten, lesenswerten Romans.

Carl Hanser: Verlag Der zweite Jakob - Bücher - Hanser Literaturverlage (hanser-literaturverlage.de)



Marina Agathangelidou © Marina Agathangelidou Von Marina Agathangelidou

Marina Agathangelidou, geboren 1984 in Athen, lebt in Berlin. Sie studierte Theaterwissenschaft und literarisches Übersetzen in Athen und promovierte anschließend am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin. Seit 2006 ist sie als freie Übersetzerin tätig.










 

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