Nachruf
Theodoros Antoniou und das Goethe-Institut Athen

Konzert am 9. Juni 1975
Konzert am 9. Juni 1975 | © Athens Press

Theodoros Antoniou, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des Musikgeschehens im Nachkriegsgriechenland, ist am 26. Dezember 2018 im Alter von 83 Jahren verstorben. 

Als Komponist, Dirigent und Lehrmeister, als Präsident des Verbandes Griechischer Komponisten und als Akademiker hat Theodoros Antoniou fast sechs Jahrzehnte lang entscheidend zur Gestaltung des musikalischen Lebens in Griechenland beigetragen. Während dieses langen Werdegangs war ihm das Goethe-Institut von Anfang an bedeutende Arena und wichtiger Wegbegleiter.

Antoniou wurde 1935 kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges in Athen geboren. Er studierte Musikwissenschaft und Violine am Nationalen Konservatorium unter seinen Lehrern waren Michalis Vourtsis, Leonidas Zoras und Manolis Kalomoiris, der Komposition lehrte. Antoniou schloss sein Studium mit einem Diplom in Komposition (1962) an der Seite des Komponisten Jannis A. Papaioannou ab, der 1949 und 1950 eng mit dem Schweizer Komponisten Arthur Honegger zusammen gearbeitet und Antoniou mit den internationalen Entwicklungen auf dem Gebiet der Neuen Musik in Berührung gebracht hatte.

Studium in Deutschland

Direkt im Anschluss an sein Studium in Athen setzte Antoniou als Stipendiat der Universität Athen sein Hochschulstudium der Musik in München fort. Dort nahm seine substantielle Beziehung zu Deutschland, den Deutschen und der deutschen Kultur ihren Anfang. In München lernte er die Komponisten Carl Orff und Günter Bialas kennen, letzterer half ihm später, eigene Werke im angesehenen Bärenreiter Verlag herauszugeben. Nach dem 2. Weltkrieg wurde Darmstadt zum Zentrum der Entwicklungen rund um die Techniken serieller Musik und zu Beginn der 50er Jahre wurden dort in den Sommermonaten Kurse zu dieser so neu genannten „Neuen Musik“ abgehalten.  Zu den Werken der „Darmstädter Schule“ gehören die unkonventionellsten Kompositionen von Komponisten wie dem Franzosen Pierre Boulez, dem Italiener Bruno Maderna und dem Deutschen Karlheinz Stockhausen. Antoniou nahm an diesen Seminaren teil. Die Bekanntschaft mit den neuen Strömungen und der Avantgarde seiner Epoche riss Antoniou mit, setzte seine Ausdrucksmöglichkeiten frei und gab ihm Impulse zu einer neuen Herangehensweise an die Musik. In München kam er in das Siemens-Studio für elektronische Musik, eines der drei damals existierenden Studios dieser Art neben dem von Stockhausen in Köln und dem in Utrecht. Später, 1971, nahm er eine Auftragsarbeit für die Olympischen Spiele in München (1972) an. Gleichzeitig hielt er den Kontakt zu Griechenland. Er war es, der den ersten Synthesizer nach Griechenland brachte und in seiner Radiosendung unter dem Titel „Was ist Neue Musik?“ informierte er die griechischen Zuhörer über die Entwicklungen, wie er sie kennen gelernt hatte.

Das Goethe-Institut

Das Goethe-Institut, das 1952 gegründet worden war und sich in der Phidiou-Straße befand, hatte bereits ab 1956/57 eine bemerkenswerte Arbeit im Bereich der Musik aufgenommen. 1962 fiel die Entscheidung am Institut, die Verbreitung der Neuen Musik in Griechenland tatkräftig zu unterstützen und so wurden nicht nur verschiedene Konzerte und Veranstaltungen organisiert, sondern auch das Studio für Neue Musik unter der Leitung von Günther Becker und G.A. Papaioannou gegründet. Der deutsche Komponist Günther Becker lebte damals in Athen, war Musiklehrer an der Greek National School in Anavryta, wie auch an der Deutschen Schule Athen und Dozent am Goethe-Institut, dessen Kammerchor er 1957 gegründet hatte. Das Studio für Neue Musik veranstaltete regelmäßig monatliche Konzerte, die erstmals eine Fülle von Werken Neuer Musik in Griechenland einführten und zwar besonders die Werke junger griechischer Komponisten. Bis 1966 fanden 26 solcher Konzerte statt.

Becker wurde ein enger Freund von Antoniou und eines ihrer ersten gemeinsamen Ziele war, eine griechische Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik ins Leben zu rufen, die dann 1964 auch tatsächlich von Antonious Lehrer G.A. Papaioannou gegründet wurde.
Im April 1966 fand die erste Griechische Woche Neuer Musik in der Zappeion-Halle statt, veranstaltet vom Griechischen Verband für Neue Musik (Gründungsjahr 1965), der griechischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Zusammenarbeit mit dem Studio für Neue Musik des Goethe-Instituts und unter Mithilfe des Italienischen Kulturinstituts. Nur beispielhaft seien hier einige der Komponisten genannt, deren Werke auf dem Programm jener ersten Woche standen - G.A. Papaioannou, Jannis Christou, Nikos Mamagakis, Nikos Skalkotas, Dimitris Dragatakis, Anestis Logothetis, Jannis Ioannidis, Michalis Adamis und Georgios Leotsakou. Die zweite Griechische Woche Neuer Musik (1967) wurde auch von der Kulturabteilung der Amerikanischen Botschaft mitgestaltet und Antoniou wird als eines der Mitglieder des Organisationkomitees genannt. Ab dem dritten Jahr (1968) wurde die Veranstaltung von der Ford Foundation gesponsert.

Die Juntazeit

Bevor die Militärdiktatur Antonious Tätigkeit in Athen beenden und er 1969 in die USA gehen sollte, hatte er bereits enge Beziehungen zum Goethe Institut. Seit der Errichtung der Junta 1967 war es für den Komponisten das Wichtigste, dass das Institut ihm die Möglichkeit bot, Werke der Neuen Musik zur Aufführung zu bringen. Da das Institut damals als ausländisches Territorium galt, konnten diese Konzerte dort während der Juntajahre ungestört stattfinden, denn die Behörden verlangten dafür keine Genehmigung. So konnte Antoniou alle Werke aufführen, die er für bedeutend hielt und zusammenarbeiten, mit wem er wollte. Wie Antoniou es einst selbst formuliert hat, „das Goethe-Institut eine wichtige kulturelle, aber auch entscheidende politische Rolle in Griechenland gespielt“.

Diese Konzerte waren besonders wichtig, weil sie das vom übrigen Europa vergleichsweise isolierte Nachkriegspublikum Athens erstmals in Kontakt mit der musikalischen Avantgarde der damaligen Zeit gebracht haben. Das Institut verfügte damals noch nicht über einen Veranstaltungssaal und die Konzerte fanden in verschiedenen Athener Theatern, wie dem Alpha Theater in der Patission-Straße nahe des Omonia-Platzes oder auch im Rex-Theater statt, dessen großer Saal sich fast immer gefüllt habe, wie sich Antoniou später erinnerte. Er selbst sah in diesen Konzerten eine Art Widerstand, da die dort gespielte Musik tatsächlich revolutionär gewesen sei, sehr experimentell und damit einen Ausweg aufgezeigt habe. Auf dem Programm standen Werke aller wichtigen nationalen und internationalen Komponisten der damaligen Zeit. Neben den Wochen Neuer Musik ab 1966 und den Vorträgen und Festivals, die bis 1971/1972 stattfanden, brachten diese Konzerte  alles, was die musikalische Avantgarde in Griechenland und im Ausland damals zu bieten hatte zur Aufführung.

Nach der Wiederherstellung der Demokratie

26 Januar 1983  Eines der ersten Konzerte zeitgenössischer Musik im neuen Institutsgebäude in der Omirou 14-16, das 1982 eröffnet wurde.  Dirigent: Theodore Antoniou 26 Januar 1983: Eines der ersten Konzerte zeitgenössischer Musik im neuen Institutsgebäude in der Omirou 14-16, das 1982 eröffnet wurde. Dirigent: Theodoros Antoniou | © Φωτό Αναγνωστόπουλοι Die fruchtbare Zusammenarbeit Antonious mit dem Goethe-Institut ging auch nach dem Sturz der Diktatur weiter. Mit Hommagen oder Konzertreihen, die verlässlich jedes Jahr im Amphitheater des neu erbauten Goethe-Instituts in der Omirou-Straße  stattfanden, präsentierte Antoniou die Musik herausragender Künstler des 20. Jahrhunderts und stellte dem Athener Publikum die jüngere
Generation griechischer Komponisten vor. 

Hier sollen nur stellvertretend für viele andere die Hommagen auf Jannis Christou, Arnold Schönberg, Dimitris Mitropoulos oder Lukas Foss genannt werden. In den Jahren zwischen 1990 und 2000 organisierte Antoniou insgesamt zehn Konzerte im Rahmen des Zyklus’ „Millennium“, der junge Komponisten vor allem aus Griechenland und Deutschland vorstellte. 2001 begann Antoniou mit dem Zyklus „Musik der Welt“, für den er auch die Zusammenarbeit mit Kultureinrichtungen anderer Länder wie Frankreich, den USA, Großbritannien oder Holland gesucht hat. Das Goethe-Institut Athen aber blieb dabei immer das Zentrum. Titel wie „Exotics and other“, „Musik und Politik“, „Das moderne Klavier“, „Streams“, „Acoustic/Electronic/Computer“, „Alte und neue Tendenzen“ stehen beispielhaft dafür, dass Antoniou lebenslang auf der Suche und bestrebt war, die neuesten Musiktendenzen mit dem Publikum zu teilen. Eine Bemühung, bei der das Goethe-Institut ihm mehr als vier Jahrzehnte lang zur Seite stand.
 

Danksagungen

Mein wärmster Dank geht an den Komponisten und Verwalter des Archivs von Theodoros Antoniou, Savvas Tsiligiridis für seine unverzichtbare Hilfe beim Zusammentragen des Materials wie auch an Frau Vicky Trachani vom Büro für Presse und Öffentlichkeitsarbeit des Goethe-Instituts für das Printmaterial, zu dem sie mir Zugang verschafft hat.
 

QUELLEN

  • Interview mit Theodoros Antoniou geführt von Jan Hübel unter dem Titel „Revolutionärste Aufführungen während der Junta-Zeit“ in der Festschrift des Goethe-Instituts zu dessen 50jährigen Jubiläum, 2002
  • Interview mit Theodoros Antoniou geführt von Konstantinos Kakavelakis in der Sendung „Musikformen“ des Parlamentsfernsehens, 27. März 2016
  • Programmhefte der Griechischen Wochen Neuer Musik (1966-1976), Archiv des Goethe-Instituts Athen.
  • Programmhefte des Goethe-Instituts (1982-2005), Archiv Theodoros Antoniou

Es folgt eine persönliche Erinnerung von Iakovos Konitopoulos, Komponist und Schüler von Theodoros Antoniou