Draußen vor der Tür: Alon Openhaim
Ich hatte das Gefühl, sie alle fühlen mit mir

Alon Openhaim
Foto: Felix Rettberg/ Goethe-Institut Israel

In Deutschland zählt Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ zu den bekanntesten Theaterstücken. In einer Koproduktion des Goethe-Instituts Israel mit dem Ensemble des „Tmuna-Theaters” in Tel Aviv und dem deutschen Regisseur Matthias Gehrt, Schauspieldirektor am „Theater Krefeld Mönchengladbach“, wurde es erstmals ins Hebräische übersetzt und in Israel aufgeführt. Im September und Oktober folgen nun weitere Vorstellungen. Im Interview erzählt der israelische Hauptdarsteller Alon Openhaim, warum diese Produktion so außergewöhnlich für ihn war.  



Auf der Bühne regnet es durch eine Berieselungsanlage immer wieder auf Sie herab, durchnässt durchleben Sie die Albträume der Hauptfigur: eines Soldaten, der verletzt und von Selbstmordgedanken gequält nach Ende des Krieges keinen Platz mehr in der Gesellschaft findet. Es gibt gewiss angenehmere Rollen als den „Beckmann“, den Sie spielen, oder?

ALON OPENHAIM: Mag sein, doch diese Produktion, sie wird für mich immer etwas ganz Besonderes sein. Nicht nur, weil es meine erste große Hauptrolle ist. Sondern auch, weil sie so sehr berührt hat – mich und das Publikum, sei es in Tel Aviv oder bei unserem Gastspiel in Deutschland. 

Was macht diese Produktion so besonders für Sie?

Matthias Gehrt, unserem deutschen Regisseur, verdanke ich unvergessliche Proben: Zwischen uns stimmte die Chemie, es passte zusammen wie Hand und Handschuh. Auch wenn ich mich erst an seine Herangehensweise, seinen Stil gewöhnen musste. Matthias ist ein sehr neugieriger Mensch, wollte vieles über das Leben in Israel und speziell über mich und meine Erfahrungen als Soldat wissen. Ich hingegen war ungeduldig, drängte andauernd, dass er mich mit seiner Inszenierung vertraut macht, aus Angst, dass wir nicht genug Zeit haben. Durch Matthias’ Interesse allerdings ist mir erst aufgefallen: So intensiv habe ich vorher noch nie mit jemandem über meine eigene Zeit in der Armee gesprochen, weder mit Freunden noch mit der Familie. Obwohl wir alle natürlich unseren dreijährigen Dienst geleistet haben.

Draußen vor der Tür Foto: Eyal Landesman
Inwiefern hat Ihnen die eigene Erfahrung als Soldat bei dieser Rolle geholfen? 

Nicht sehr, was zum einen ein Glück ist. Denn im Gegensatz zur Hauptfigur dieses Stücks habe ich nie unter posttraumatischen Störungen leiden müssen. Ich war während meiner Armeezeit zwischen 1998 und 2001 zwar in einer Artillerie-Einheit nahe der Grenze zum Libanon, ich habe allerdings nie einen Menschen sterben sehen oder getötet. Wie sehr einen die Erfahrung von Krieg quälen kann, habe ich hingegen in einem Video gespürt, das vor Monaten in sozialen Netzwerken in Israel geteilt wurde: Ido Gal Razon, ein israelischer Soldat, berichtete vor einem Ausschuss des Parlaments von seinen Erlebnissen während eines Kriegseinsatzes in Gaza. Er hat nicht nur zusehen müssen, wie Menschen vor seinen Augen sterben, als Soldat hat er selbst getötet, er sprach von 40 Menschen. Es hat ihn tief traumatisiert. Und er fühlt sich damit allein gelassen. Der Staat helfe ihm nicht, dass er die psychologische und medizinische Behandlung erhalte, die er brauche. Seine Familie ist längst mit in den Strudel geraten, leide unter seinen Wutausbrüchen.

In der Rolle des „Beckmann” lastet das Stück zum Großteil auf Ihnen, mit sehr langen Textpassagen, in der seine Albträume ihn heimsuchen …

… das war anfangs einer der Streitpunkte mit Matthias: Ich glaubte nicht daran, dass das funktionieren würde. Ich war fest überzeugt, dass das Publikum hier bei uns einer einzelnen Figur nicht länger als vier bis sechs Minuten zuhört, dass man irgendwann ein Kaninchen aus dem Hut zaubern muss, um ihre Aufmerksamkeit nicht zu verlieren. Wir sind generell ungeduldiger. 

Und dann kam es anders …

Ja, und das war eine unglaubliche Erfahrung. Im Publikum war es vollkommen still. Gebannt haben die Zuschauer zugehört, selbst bei Passagen, die inhaltlich für manche schwer erträglich sein mögen. Ich hatte das Gefühl, sie alle fühlen mit mir, sie sind dabei, wie ich mich als „Beckmann” mehr und mehr hinein in diese Albträume hineinsteigere, und sie bleiben auch bei mir. So eine Intensität, auf beiden Seiten, die ist wirklich selten. Das wirkte offenbar bei manchen lange nach: Noch Tage nach der Aufführung texteten mir manche Zuschauer, dass ihnen die Vorstellung nicht aus dem Kopf geht.  

Diese Inszenierung wurde nicht nur in Israel, sondern auch in Deutschland, in Krefeld, aufgeführt - auf Hebräisch mit deutschen Untertiteln. Was unterschied die Vorstellungen in Israel und in Deutschland?


Der Kraft, dem Sog dieses Stückes kann sich niemand entziehen, und Matthias versteht es, so zu inszenieren, das Theater schafft, wovon auch ich überzeugt bin: Es muss berühren, auch verstören. Es geht nicht nur darum, dass das, was auf der Bühne geschieht, vor allem gut aussieht, ästhetisch angenehm unterhält oder beeindrucken will, wie es bei manchen modernen Inszenierungen der Fall ist. Ob hier bei uns in Israel oder in Deutschland, an beiden Orten hat das Publikum diese Inszenierung gefeiert. Die individuellen Reaktionen auf das Stück sind wegen der verschiedenen geschichtlichen Hintergründe der Zuschauer verständlicherweise wohl anders.

Weil das Stück nach dem Zweiten Weltkrieg spielt und „Beckmann” ein Soldat des Nazi-Deutschlands war?

Ja. Nach der Vorstellung in Krefeld kam ein Zuschauer, etwa 45 Jahre alt, auf mich zu. Für ihn war diese Produktion auch deshalb so besonders, weil ich, ein jüdischer Israeli, einen deutschen Soldaten spiele. Er freute sich vor allem darüber, dass sich die Beziehungen von Israel und Deutschland mittlerweile so entwickelt haben, dass im Theater, dass in der Kunst, so etwas möglich ist.

Wie hat das israelische Publikum auf das Stück reagiert, in dem ein deutscher Soldat von seinem Leiden erzählt?

Diese Perspektive war vielen von uns nicht bekannt. Unsere historische Erziehung in Israel hat andere Schwerpunkte, verständlicherweise den Holocaust. Wir haben „Beckmann” allerdings nicht als einen Vertreter des Nazi-Deutschland gezeigt, sondern als einen „universellen Soldaten”. Somit konnte sich auch das israelische Publikum identifizieren. Bei uns ist Realität: Jeder kennt mindesten einen, der in seinem Umfeld ein Familienmitglied, einen Freund oder Bekannten im Krieg verloren hat oder der unter dem leidet, was von ihm als Soldat erwartet und verlangt wird. Posttraumatische Belastungsstörungen, das ist wie ein Virus, der deinen Körper befällt und dein Leben zur Hölle macht.

 

Vorstellungen von “Draußen vor der Tür” am Tmuna Theater in Tel Aviv
Karten unter: +972 3 5611211