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Studium und Lehre
Der Alltag journalistischer Arbeit und Ausbildung

Journalistic teaching
© Goethe-Institut/Michael Friedel

2015 wurde mir von Branchenpartnern geraten, Öffentlichkeitsarbeit als Pflichtkurse für Studierende im Grundstudium anzubieten. Man ging davon aus, dass man für einminütige News-Formate, Nachrichten mit weniger als fünf Minuten Lesedauer und auch digitale, interaktiv erzählte Geschichten, für die man höchstens fünf Minuten Zeit braucht, erfahrene Content-Writer benötigt, die nebenher als Journalisten arbeiten.

Von Perrie Subramaniam

Diese gravierende Änderung sowohl was die Rolle als auch den Wert von Journalistinnen und Journalisten in Indien betrifft, nämlich weg vom reflektierenden Berichterstatter hin zu einem Verbündeten der großen Konzerne, hat viele irritiert, die passiv oder aktiv in den Journalismus involviert sind. Wir sollten uns klarmachen, welche Folgen ein solches verdrehtes Verständnis von Journalismus hätte, wenn es in der fortschrittlichen, wohlmeinenden und zügellosen indischen Gesellschaft zur Norm würde.
 
Journalismus in Indien wollte früher vor allem das Bewusstsein für soziale Belange schärfen, vernachlässigte Bevölkerungsgruppen wieder aktiv teilhaben lassen und den Entrechteten eine Stimme geben. Nachdem Indien in den 1950er Jahren seine Unabhängigkeit erlangt hatte, repräsentierten diverse im Familienbesitz befindliche Zeitungen Randgruppen und ländliche Bevölkerungsschichten: The Hindu, The Malayalam Manorama, Eenadu und Rajastaan Patrika waren die Leitmedien, die einen soliden Journalismus aufbauten, der den Sorgen und Nöten der Bevölkerung verpflichtet war und diese in der Muttersprache der Leserschaft thematisierte. Diese Medienhäuser schrieben sich einen verantwortungsvollen, investigativen Journalismus auf die Fahnen, in dem die Analyse stets der zentrale Punkt war. Die gebildeten Bevölkerungsschichten, aber auch die ländlichen und teils städtischen gesellschaftlichen Gruppen, die zu einem lebendigen, arbeitenden, produzierenden und blühenden Indien beitrugen, fanden sich hier wieder.

Newsroom-Zirkus nach internationalem Vorbild

Seit den 1990er Jahren wird der Journalismus in Indien jedoch immer mehr von englischsprachigen Medien, allen voran der zu MNC gehörenden Bennett & Coleman Group (MNC), Star Network und CNBC, dominiert. Diese wollen vor allem Profit machen, und daher grassiert nun auch in Indien eine Vorliebe für den Newsroom-Zirkus nach internationalem Vorbild. Durch die Vorherrschaft der MNC Medienanstalten ist auch die Zulieferkette an privaten Partnerschulen für Journalismus gewachsen. Dazu zählen etwa das Symbiosis Institute Of Media & Communication (SIMC) in Pune, das Indian Institute Of Mass Communication (IIMC) in Delhi, die Amity University in Delhi oder das Asian College Of Journalism (ACJ) in Chennai. 95 % des Lehrplans werden hier von diesen Medienhäusern vorgegeben. Sowohl die Infrastruktur als auch die Ausbildung in diesen Instituten genießen weltweit einen guten Ruf; die Schulen sind teuer und richten sich an die städtischen Eliten.
 
Damit in Indien wieder eine echte multikulturelle Gesellschaft entstehen kann, müssen wieder mehr Medien in der Landessprache berichten. Sie sind so etwas wie eine Nabelschnur, die die Menschen wieder mit dem verbinden kann, wer und was Indien einmal war. Mit Hilfe dieser Medien können wir unsere Werte und Systeme wiederherstellen, den indigenen Diskurs wieder in Gang bringen und uns somit auf unser eigentliches Wesen zurückbesinnen. 

Wir können die fortschreitende Spaltung der öffentlichen Meinung der halbkundigen indischen Bevölkerung nur aufhalten, indem wir den Menschen klarmachen, wie weit unsere Wurzeln zurückreichen und warum eine multikulturelle Gesellschaft so wichtig ist.

Perrie Subramaniam

Darüber hinaus sollte der Schulunterricht in der Muttersprache aktiv gefördert werden. Ich bin davon überzeugt, dass wir in der Sprache denken, mit der wir aufgewachsen sind. Ein Großteil der indischen Haushalte spricht eine eigene Sprache, diese wird jedoch nur in wenigen Bildungseinrichtungen gesprochen. Um uns besser mit dem Rest der Welt verständigen zu können, ist Englisch die Sprache, in der wir lernen, Geschäftsbeziehungen pflegen, ausbilden, schreiben und kreativ sind.

Es gibt jedoch auch einige staatliche Medienschulen, die das Motto „kleiner ist besser“ verfolgen, z. B. die Jamia Millia Islamia in Delhi, die School Of Journalism Hyderabad, die privat geförderte Azim Premji University in Bangalore sowie das Indian Institute of Journalism & New Media (IIJNM) in Bangalore, die in ihrem auf englischsprachige Elitestudierende ausgerichteten Lehrplan explizit Basisbewegungen und gemeinschaftsorientiertem Journalismus vorsehen, für die wiederum fundierte Kenntnisse der eigenen Muttersprache unerlässlich sind.
 
Dass die Schulen überhaupt solche spannenden Angebote vorsehen, ist den Bemühungen von gemeinschaftsorientierten aktiven Journalistinnen und Journalisten in Teilen des ländlichen Indiens zu verdanken. In Nordindien ist das etwa Khabar Lahariya, eine Zeitung, die in drei ländlichen Hindi-Dialekten erscheint, Ananda Vikatan in Tamil, Malayam Manorama in Malayalam und Lankesh Patrike in Kannada, um nur einige zu nennen. Diese in lokalem Besitz befindlichen Medienhäuser gehören zum Teil der Gemeinde und sind allesamt darum bemüht, die in den Basisbewegungen vorherrschenden Themen widerzuspiegeln. Am St. Xavier’s College in Mumbai sind wir darum bemüht, unsere journalistische Ausbildung nach dem jesuitischen Prinzip auszurichten, das sich bei der Ausübung eines Berufs auf das Motto „Magis“ („mehr“) beruft. Unsere Studierenden sind in viele Projekte involviert, die dem Gemeinwohl dienen sollen: Sie benutzen diverse Medien, engagieren sich für den Erhalt der grünen Lunge des Mumbai Nationalparks und sammeln für politische Dokumentationen Daten über Arbeiterinnen und Arbeiter mit Migrationshintergrund und ihr Lebensumfeld.
 
Kurz, ganz im Sinne von Finley Peter Dunne versuchen wir, „die Leidenden zu trösten und die Bequemen zu plagen“. Wir hoffen, dass wir bei unseren Studierenden die Wertschätzung multikultureller Werte fördern können und weiterhin in erster Linie Journalistinnen und Journalisten bleiben, die nebenher als Content-Writer schreiben.

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