Vom Marihuana-Dealer zum Kryptomillionär
Seid umschlungen Millionen
In seinem neuen Buch schreibt Juan S. Guse über Männer, die mit Kryptowährungen schnell reich wurden. Und darüber, wie diese geheimnisumwitterte Szene tickt.
Von Holger Moos
Juan S. Guse sticht mit seinen beiden bisherigen Romanen aus der autofiktional geprägten Gegenwartsliteratur heraus. Es sind literarische Gesellschaftsdiagnosen. Sein Debütroman Lärm und Wälder (2015) spielt in einer Gated Community in der Nähe von Buenos Aires. Sein zweiter Roman Miami Punk (2019) ist in der Gamer-Szene angesiedelt, angereichert mit dystopischen Bildern von der Küste Floridas, nachdem sich das Meer über Nacht zurückgezogen hat.
Dass er sich als Soziologe – er arbeitet gerade noch an seiner Dissertation – für gesellschaftliche Zusammenhänge interessiert, ist in seinem neuen Buch noch offensichtlicher: Tausendmal so viel Geld wie jetzt ist eine literarische Feldstudie aus der Welt der Kryptowährungen. Ein Jahr lang hat er Männer getroffen, die mit Kryptowährung reich wurden. Dass es ausschließlich Männer unter 40 sind, entspreche der Wirklichkeit.
Ich könnte diesen Friedhof kaufen
Einer dieser Typen ist Basti, „ein Karriereverweigerer, der auf dem Friedhof arbeitet“ – und das für 10,50 Euro pro Stunde. Er toleriert seinen geschwätzigen Chef, obwohl er den Friedhof kaufen könnte. Bastis Liebe zu Pflanzen fing damit an, dass er in diversen Dortmunder Parks jahrelang heimlich Cannabis anbaute und sich damit etwas dazuverdiente, bis – nach einem lautstarken nächtlichen Besuch der Polizei in seinem Haus – seine Angst, erwischt zu werden, zu groß wurde.Basti hatte noch etwa 20.000 Euro „rumliegen, die er nicht ohne Weiteres bei der Sparkasse einzahlen konnte“. Da er sich wegen seiner Drogengeschäfte im Darknet auskannte und wusste, dass man dort mit Bitcoins zahlte, deren Herkunft nicht nachvollziehbar seien, fuhr er nach Belgien, „um sich hinter der Grenze an einem Bitcoin-Automaten die ganze Kohle auf seine Krypto-Wallet zu schicken“. Dann nahm alles seinen, für Basti glücklichen Lauf: Schnell verfünffacht sich der Wert seiner Bitcoins, per Zufall hört er von Ether, investiert in diese Kryptowährung und ist plötzlich Krypto-Millionär, auch wenn er mit dem Geld „hätte … eh nichts anfangen können, so viele Drogen hätte ich gar nicht nehmen können“.
Gespenstisch gute Stimmung
Abgesehen von Geschlecht und Alter ist Basti – wie die anderen Männer, die Guse porträtiert – „nicht repräsentativ für irgendwas… Wohl aber sind es Fälle wie seiner, die mich am meisten interessiert haben: Gewöhnliche Menschen, die aufgrund eines Gemischs aus Zufall, überschüssigem Geld und Glauben an diese eine sehr spezifische Technologie über Nacht einen Klassensprung erlebt haben, der ihr Verhältnis zur Welt für immer verändert hat.“ Die anderen Männer, die Guse porträtiert, fahren weiterhin ihren alten Saab, zelten auf Campingplätzen und pflegen ihre Kletterleidenschaft.Was die Protagonisten jedoch eint, ist der Glaube, über Geheimwissen zu verfügen, dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen zu haben und ihrer Zeit voraus zu sein. Guse erzählt auch von Krypto-Konferenzen. Im letzten Kapitel berichtet er von der SmartCon 2023 in Barcelona, auf der die Branche versuchte, durch einen neuen Namen („Web3, das klang sesshaft und langweilig wie Industrie 4.0“) das „Vertrauen unserer Eltern“ zu gewinnen. Insgesamt strotzen diese Veranstaltungen nur so vor Zuversicht und Selbstbestätigung, zum Kreis der Eingeweihten zu zählen: „Uns hier drinnen muss man das alles nicht mehr erklären. Uns stiftet diese Erzählung etwas anderes, nämlich Kohäsion und Anerkennung. Sie versichert uns: Ihr seid Pioniere, weitsichtig und schlau. Auch deshalb war, glaube ich, die Stimmung auf allen Krypto-Messen, die ich besucht habe, so gespenstisch gut.“
Wenn Guse die Sprache in der Krypto-Szene wiedergibt, klingt das wie eine Persiflage:
Damit du eine Vorstellung hast: Aktuell bin ich mit Quant 20 x up. Mit jedem anderen Token oder Coin wären es maximal 2 x, 3 x. Das heißt, ich habe einfach das beste Investment erwischt. Crypto-Bros denken, der Token sei überbewertet, weil er im bear market nicht so gefallen ist, aber gut, das ist halt diese Quant utility, die einen gewissen floor hält, wo sich die 100er range als fair value gesettelt hat und nicht wieder auf 40 retraced ist. Das ist, denke ich, wegen der utility.
Nicht zur Nachahmung empfohlen
Die Branche gibt sich gerne einen utopischen Anstrich. Doch die Annahme, „dass es bei Krypto um technoökonomische Veränderungen im Dienst des Gemeinwohls geht“, entpuppt sich schnell als Illusion, wenn Guse von den Beweggründen der Akteure erzählt. Letztlich verfolgen die Männer nur ganz persönliche Ziele, vor allem finanziell unabhängig zu sein und dem lebenslange Hamsterrad zu entkommen. Dieses Ziel wird zwar gerne mit einem gesellschaftstheoretischen Überbau versehen, indem etwa die „Lohnsklaverei“ angeprangert wird, aber um andere geht es diesen Männern nie, sondern immer nur um sich selbst. Die Schlussfolgerung ist nicht: Wie ändern wir die Verhältnisse? Sondern: Wie komme ich da raus?Guse macht keinen Hehl daraus, dass das Geschäft mit Kryptowährungen kaum zu durchschauen ist und die Versprechungen und Heldenerzählungen der Branche einen irre machen können. Hierbei muss er an Javier Milei, damals Präsidentschaftskandidat, mittlerweile amtierender argentinischer Präsident, denken, der, wenn er mit Zweifeln an der Umsetzbarkeit seiner Pläne konfrontiert wurde, immer mit diesem Witz antwortete: „Was ist der Unterschied zwischen einem Genie und einem Irren? Der Erfolg.“ In einer surreal anmutenden Anekdote am Ende des Buchs läuft der Erzähler durch das labyrinthische Konferenzgebäude, findet den Ausgang nicht und begegnet dabei Männern, denen er die Angst andichtet, „nie wieder aus diesem Gebäude zu finden, wo die Türen aussahen wie Mäuler und die Menschen wie Besteck“.
Guse gelingt in seinem Buch eine gute Mischung aus Nähe, Neugier und Distanz, die vereinzelt eingestreuten soziologischen Passagen sind in ihrer homöopathischen Dosis anregend. Er kann die Anziehungskraft des Versprechens vom schnellen Geldmachen durchaus nachvollziehen. Als Beleg platziert Guse einen kleinen, persönlichen Warnhinweis: Auch er selbst habe der Versuchung nicht widerstehen können und 2.500 Euro in den Sand gesetzt. Das Investieren in Kryptowährung wird also nicht zur Nachahmung empfohlen.
Frankfurt: S. Fischer, 2025. 192 S.
ISBN: 978-3-10-397605-2