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Tagebuchnotizen aus Delhi
Ein öffentliches Kunstwerk entsteht

Die Künstlerinnen Greta und Aasthi bei der Arbeit am Mural in Delhi.
Die Künstlerinnen Greta und Aasthi bei der Arbeit am Mural in Delhi. | © Faizal Khan

Unser Autor Faizal Khan beobachtet das Projekt Graphic Travelogues von Beginn an. Jeden Tag besucht er die beiden Künstlerinnen Aasthi und Greta im Lodhi Art District, um ihnen über die Schulter zu schauen. Hier sind seine Aufzeichnungen.

Tag 1:

Die riesige Wand im Block 6 des Lodhi Art District erhält einen Grundanstrich, mit dem ein acht Jahre altes Streetart-Gemälde übermalt wird. Damit fällt der Startschuss für das Projekt Graphic Travelogues #Murals.

Die Wand wird im Farbton Continental Green gestrichen.

Die beiden Künstlerinnen – Aashti Miller und Greta von Richthofen – haben einen Projektor und einen Laptop auf einem großen Stapel Farbdosen platziert, um eine digitale Skizze ihres Wandbilds an die frisch gestrichene Wand zu werfen und dort anschließend die Umrisse ihres Entwurfs nachzuzeichnen.

Am ersten Tag haben die Künstlerinnen ihren digitalen Entwurf nach Sonnenuntergang an die Wand projiziert, um mit dem Nachzeichnen der Umrisse auf die riesige Fläche zu beginnen und ihre Arbeit am zweiten Tag abzuschließen.

Tag 2:

Heute starten Aashti Miller und Greta von Richthofen mit der eigentlichen Arbeit an ihrem Wandbild und bringen als erste Farbe einen Rosaton auf.

Die ersten Farbtupfer locken auch viele Schaulustige zum Projektgelände: Anwohner*innen aus dem Viertel, Schüler*innen und College-Student*innen sowie Einkäufer*innen auf ihrem Rückweg vom nahegelegenen Markt. An diesem Tag haben zufälligerweise auch die Colleges zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie wieder geöffnet. Die Künstlerinnen freuten sich sehr über ermutigende Worte aus dem Publikum. Für sie ist das Gespräch mit der Öffentlichkeit genauso wichtig wie die Arbeit an ihrem Wandbild.

Am Ende des zweiten Projekttages prangen ein Flamingo und ein Fisch an der Wand. Die Künstlerinnen bringen auch nach Sonnenuntergang noch viele Stunden damit zu, die restlichen Umrisse auf die Wand zu zeichnen.

Tag 3:

Immer mehr Farben zieren die enorme Wandfläche. Laut Aashti Miller und Greta von Richthofen wird ihr gemeinsames Werk nach Fertigstellung etwa 30 Meter breit und zehn Meter hoch sein.

Kinder kommen zum Spielen auf das GT #Murals Projektgelände. Sie sind fasziniert von den vielen Farben und Objekten, die nach und nach auf der riesigen Wandfläche erscheinen.

Auch für Besucher*innen aus dem Ausland sind die einzelnen Etappen des Kreativprozesses auf dem Projektgelände das perfekte Motiv für eine Postkarte aus Indien.

Einige Betrachter*innen machen sogar ernstgemeinte Vorschläge, beispielsweise die Arbeiten an den GT #Murals für künftige Generationen in YouTube-Filmen festzuhalten.

Tag 4:

Plötzlich steigen die Temperaturen in Delhi, obwohl der Winter noch nicht vorüber ist. Aashti Miller und Greta von Richthofen haben beschlossen, wegen der Hitze früh mit den Arbeiten zu beginnen.

Die Wand wird immer farbenprächtiger. Immer mehr Objekte tauchen auf, darunter Ballons und ein riesiger Wal.

Doch die Arbeiten sind noch lange nicht abgeschlossen. Am unteren Teil der Wand sind noch die Umrisse zu sehen, die die beiden Künstlerinnen am ersten und zweiten Tag gezeichnet haben.

Immer mehr Menschen machen vor dem riesigen Gemälde Halt. Sie wollen miterleben, wie vor ihren Augen ein Kunstwerk entsteht.

Tag 5:

Aashti Miller und Greta von Richthofen setzen ihre Arbeitsroutine am frühen Morgen fort. Die Temperaturen steigen und steigen und der Winter zieht sich allmählich aus der Stadt zurück.

Die Zusammenarbeit – das zentrale Thema der beiden Künstlerinnen – erfährt einen zusätzlichen Impuls, als eine junge aufstrebende Künstlerin aus der Nachbarschaft ihre Mithilfe anbietet. Rakshita Sharma, die im ersten Semester Handelswissenschaften an der Delhi University studiert, lernt nach eigenen Worten viel von den beiden Künstlerinnen.

In der Mittagspause lädt Rakshita Sharma die beiden Künstlerinnen zu sich nach Hause ein. Sie sollen die lokalen Köstlichkeiten ihrer Großmutter probieren, die Rakshitas Interesse für Kunst seit ihrer Kindheit gefördert hat.

Immer mehr Farben und noch mehr Objekte tauchen auf der riesigen Wand auf. Und immer mehr Menschen strömen zum Projektgelände, um einen Blick auf die laufenden Arbeiten zu erhaschen.

Ein guter Tag für Aashti Miller und Greta von Richthofen, sowohl in künstlerischer als auch in kulinarischer Hinsicht. Die am Projekt beteiligten Mitarbeiter*innen des Goethe-Instituts veranstalten ein Abendessen für die beiden Künstler*innen.

Tag 6:

Die Mitte des Projekts ist erreicht, alles läuft nach Plan. Inzwischen schmücken ein Vogel mit Rollerskates und ein Fisch mit Flügeln die Wand.

Die dieselbetriebene Hebebühne, die die Künstlerinnen zu den oberen Bereichen der Wand befördert, hat jetzt dank Aashti Miller und Greta von Richthofen einen genderneutralen Namen. Die beiden Künstlerinnen haben sie „Boom Lift“ getauft.

Doch es bleibt nicht bei der Umbenennung der Hebebühne. Um ihr Umweltbewusstsein zu bekräftigen, haben die Künstlerinnen bereits einen natürlichen Farbton in ihre 37 Farben umfassende Auswahl aufgenommen. Er wird von den Ästen einer Pappel-Feige erzeugt, die ihre Schatten auf das Wandgemälde werfen. Diesen neuen Farbton haben sie „Tree“ (Baum) genannt.

Wie groß das Interesse ist, davon zeugen die vielen Menschen, die das Projekt an den ersten Arbeitstagen entdeckt haben und nun zurückgekehrt sind. Sneha Singh and Ritika Gupta, zwei Mathematikstudentinnen aus dem Abschlusssemester des nahegelegenen Colleges, haben ihre Mittagspause inzwischen an den Straßenrand mit direktem Blick auf das Wandgemälde verlegt.

Tag 7:

Die größte zeichnerische Herausforderung bieten die Betonplatten, die oberhalb der Fenster als Sonnenschutzblenden horizontal aus der Hauswand ragen.

Am ersten Tag haben die Künstlerinnen eine digitale Skizze des Wandbildes auf die Mauer projiziert, um die Umrisse nachzuzeichnen. Dabei übertrugen sie die Konturen auch auf die Blenden, um die zeichnerischen Übergänge harmonisch zu gestalten.

„Bei den Fensterblenden müssen wir manchmal ein wenig improvisieren“, erklärt Greta, nachdem die beiden die Übergänge bearbeitet haben, um aus der Fernsicht ein zweidimensionales Bild zu erzeugen. Jetzt fügen sich die Blenden gut in das Wandgemälde.

Dann kommen zwei Angestellte einer Firma, die Stadtspaziergänge anbietet, um sich nach dem Wandgemälde zu erkundigen. Sie wollen die Mauer als Sehenswürdigkeit in ihre Tour einbauen.

Tag 8:

Die Hitze der vergangenen Tage hat sich ein wenig gelegt, und die Künstlerinnen nutzen die kühleren Temperaturen. Sie lassen sich mit der Hebebühne kreuz und quer über das Wandbild fahren, um die schwierigen Stellen zu bearbeiten, die sie sich für den Schluss aufgespart haben.

Dazu gehört auch ein rosafarbener Flamingo auf einem Fahrrad. Miller erklärt, es sei nicht leicht, die geraden Linien des Fahrrads zu zeichnen.

Die Künstlerinnen und ihre Assistent*innen wollen das Werk unbedingt rechtzeitig für die Präsentation fertigstellen.

Kurz vor Vollendung des Kunstwerks kommen immer wieder Anwohner*innen, um sich die Bilder und Objekte zum Thema Reisen anzuschauen. Fahrer*innen bremsen ab, um das Wandbild genauer zu betrachten. Mütter freuen sich ganz besonders über die strahlenden Gesichter ihrer Kinder beim Anblick der fliegenden Fische, des riesigen Wals und der Vögel auf Rollerskates.

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