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Corona-Bestattungen in Deutschland
Gestohlene Zeit und fehlender Abschied

Für viele Angehörige war es schmerzhaft, wenn ein Familienmitglied im Sterben alleine bleiben musste. Der Trauerprozess hat sich geändert.
Für viele Angehörige war es schmerzhaft, wenn ein Familienmitglied im Sterben alleine bleiben musste. Der Trauerprozess hat sich geändert. | Foto (Ausschnitt): © picture alliance/Geisler-Fotopress/Christoph Hardt

Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur unser Leben auf den Kopf gestellt, sondern auch den Umgang mit dem Tod. Abschiednehmen war für Freunde und Familie oft nicht möglich, die Kranken starben allein – für viele Angehörige war dies schmerzhaft. Auch für diejenigen, die die Toten und Angehörigen auf dem letzten Wege begleiteten, hat die Pandemie einiges geändert. Ein Gespräch mit Juliane Frankenheim, Geschäftsführerin eines traditionsreichen Düsseldorfer Bestattungsinstituts, über die besonderen Herausforderungen, die Corona an die Branche stellt.

Von Petra Schönhöfer

Wie hat sich der Umgang mit Tod durch die Corona-Pandemie verändert?

Juliane Frankenheim: In der Pandemie ist das Thema Tod dadurch, dass wir tagtäglich mit Todeszahlen konfrontiert wurden, in den Vordergrund gerückt. Ein wesentlicher Aspekt unserer Arbeit, das Abschiednehmen, hat an Bedeutung gewonnen. Dies am offenen Sarg zu tun, haben sich vor der Pandemie nur manche Kunden gewünscht. Während der Pandemie, als viele Familienmitglieder keine Chance hatten, ins Krankenhaus oder ins Heim zu gehen und sich noch einmal zu verabschieden, ist es wichtiger geworden. 

Wie hilft das Abschiednehmen den Angehörigen?

Juliane Frankenheim: Abschiednehmen ist meines Erachtens nach wichtig, weil der Kopf zwar sehr schnell und auch schon sehr früh das „Für immer“ versteht – bei Kindern bereits im Alter zwischen sieben und neun Jahren. Der Kopf weiß genau, was es bedeutet, wenn jemand tot ist. Das Herz hinkt aber hinterher. Bei der Abschiednahme kann man das, was gerade passiert, begreifbar machen. Der Sarg ist da, als ultimatives Zeichen des Todes. Das versteht man ohne Worte. Der Körper des Toten wird kalt und verändert sich. Das sind Dinge, die wir wahrnehmen müssen, die kann mit Worten niemand erklären. Und die Menschen spüren instinktiv, was das für sie bedeutet, sie wechseln auf eine andere Ebene und verstehen: Das ist jetzt der letzte Weg, den man noch gehen kann mit den Verstorbenen. Und auf lange Sicht hilft es sehr, dass man diesen Weg gemeinsam gegangen ist. 

Was hat sich während der Pandemie für Sie im Arbeitsalltag geändert?

Juliane Frankenheim: Bei uns gibt es zwei Abteilungen, die wirklich aktiv an den Sterbefällen arbeiten: Die Beratung begleitet die Angehörigen, die Verstorbenenumsorgung arbeitet mit und an den Verstorbenen. Sie erledigt die Abholung, baut den Sarg, macht die hygienische Versorgung. Dadurch, dass wir nie hundertprozentig sicher gehen können, an was die Verstorbenen erkrankt waren, gab es sowieso Schutzmaßnahmen, die wir nun erhöht haben. Wir arbeiten mit der höchsten Sicherheitsstufe, das bedeutet, zur üblichen Schutzkleidung müssen zusätzlich Masken getragen werden. Für uns in der Versorgung macht das nicht so einen großen Unterschied. Schwieriger war es, im Gespräch eine Nähe zu den Angehörigen herzustellen, mit Masken und einer Trennscheibe zwischen uns. Wir mussten beispielsweise fast schreien, damit uns manche älteren Menschen noch verstehen.

Knapp 92.000 Todesopfer in Deutschland konnten Mitte August 2020 der Pandemie zugerechnet werden. Knapp 92.000 Todesopfer in Deutschland konnten Mitte August 2020 der Pandemie zugerechnet werden. | Foto (Ausschnitt): © picture alliance/Geisler-Fotopress/Christoph Hardt
Welche Beobachtungen haben Sie bei der Zusammenarbeit mit Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen im Umgang mit den Corona-Toten gemacht?

Juliane Frankenheim: Am Anfang waren alle ganz panisch. Überall, wo wir hinkamen, wurden wir eingeschlossen, weil niemand die Krankheit einschätzen konnte. Und natürlich, wenn klar war, dass jemand Corona hatte und verstorben ist, wurde noch einmal mehr darauf geachtet, dass häufiger die Handschuhe gewechselt und die Visiere gecheckt wurden. Das ist vielen irgendwann auch aufs Gemüt geschlagen. Ebenso wie der mangelnde persönliche Kontakt, die fehlende persönliche Interaktion.

Konnten Sie Unterschiede beobachten, wenn Angehörige um einen Corona-Toten trauerten, im Gegensatz zu anderen Trauerfällen?

Juliane Frankenheim: Vielen Angehörigen von Corona-Toten fehlt die Sterbephase. Deshalb habe ich dort mehr Wut oder Ärger darüber erlebt, dass die letzte Zeit, die jemand hatte, nicht gemeinsam erlebt und gestaltet werden durfte. Die strengen Maßnahmen in den Einrichtungen machen im Großen und Ganzen sicher Sinn, aber dahinter steckten viele Einzelschicksale, etwa wenn ein Enkel monatelang nicht zu seiner Oma durfte. Das sorgt für große Frustration. Der Tod zeigt uns eigentlich, dass wir nichts unter Kontrolle haben. Selbst, wenn wir im Alltag denken, dass wir alles im Griff haben, beweist der Tod eines Angehörigen immer, wie endlich auch unser Leben ist. Uns wird schmerzlich klar, wie wenig wir im Griff haben. Wenn dann bei einem Corona-Tod noch die gestohlene Zeit mit den Angehörigen hinzukommt, verschärft es den Schmerz. 

Sind Ihnen Projekte oder Initiativen in der Branche bekannt, die das Thema Tod und Corona aufgreifen?

Juliane Frankenheim: Es gibt den Bestatterverband, der Schulungen anbietet, etwa zu den Beratungsgesprächen oder Fortbildungen zum Thema hygienische Versorgung von Corona-Toten. Chris Paul, die Leiterin des Trauerinstituts Deutschland, bietet das Seminar „Trauern in Corona-Zeiten an“. In unserem Haus werden wir ausprobieren, wie Trauerbegleitung online aussehen kann, um im Pandemiefall eine Alternative anbieten zu können. 

Haben Sie durch Corona etwas gelernt, das Ihnen auch in pandemiefreien Zeiten bei Ihrer Tätigkeit hilfreich sein wird?

Juliane Frankenheim: Uns ist noch einmal mehr klar geworden, wie wichtig die persönliche Interaktion mit den Angehörigen ist. Zu Beginn der Pandemie konnten wir nur telefonisch beraten. Aber auf lange Sicht brauchen die Menschen den Kontakt, deshalb möchten wir in Zukunft den Fokus auf diese Form der Begleitung legen. Entsprechend möchten wir auch in die Fortbildung für unsere Mitarbeiter*innen investieren. Die Angehörigen richtig zu beraten und beim Abschiednehmen zu begleiten, das ist es, wo sich in Zukunft viel bewegen wird. 

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