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Das Museum der Nicht-Zugehörigkeit

Das Museum der Nicht-Zugehörigkeit
© Sijya Gupta

Identitäten und Gebräuche stammen nicht von irgendwoher, sie entstehen über die Zeit durch die ständige Wiederholung und Bestärkung bestimmter Gedanken und Ideen. Das Konzept des Selbst entspringt aus seiner Beziehung zum Anderen; in den Zwischenräumen liegt das Terrain von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit.

Im Rijksmuseum von Amsterdam, lange bevor die Besucher vor Rembrandts großartigem Gemälde Die Nachtwache stehen, dem ein ganzer Raum gewidmet ist, hängt ein Stillleben versteckt in einer Nische der großen Hauptgalerie. Auf den ersten Blick wirkt es eher unscheinbar neben einigen seiner berühmten Nachbarn, doch Willem Claeszoon Hedas Stillleben mit Goldpokal von 1635 birgt die ganze Welt in sich. Es zeigt einen Tisch mit den Überresten eines feinen Mahls: Auf seidener Tischdecke finden sich Austern auf Zinntellern, etwas Essig, dazu Brot, eine halb geschälte Zitrone, Salz und Pfeffer, Geschirr aus Gold und Silber, Weißwein in einem venezianischen Kelch und ein halbvolles Glas mit Bier.

Heda, ein Meister der Stilllebenmalerei seiner Zeit, eröffnet uns einen Einblick in eine bestimmte Lebenswelt, doch sobald wir die Präzision und Detailtreue seiner Darstellung einer mutmaßlichen Frühstücksszene angemessen gewürdigt haben, stellt sich uns die Frage: Gehören all diese Gaumenfreuden wirklich zur ersten Mahlzeit des Tages? Nun, die Niederlande mit ihrer Ostindien-Kompanie waren im 17. Jahrhundert zu einer Kolonialmacht aufgestiegen, gleich nach Großbritannien und seiner Ostindien-Kompanie. Exotische Luxusartikel aus aller Herren Länder, wie sie in Hedas Stillleben zu sehen sind, waren der Lohn. Zitronen gediehen in den Orangerien der Wohlhabenden, sie stammten aus dem Mittelmeerraum oder aus fernen Ländern wie Brasilien; Gold, Seide und Musselin aus dem indischen Bengalen, Salz und Pfeffer von den Inseln Sumatras in Südostasien. Das Gemälde führt uns ein komplexes Geflecht von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit vor Augen. Fortschritte der Wissenschaft hatten den Kolonialismus ermöglicht, mit seinen gewaltsamen Eroberungen und seiner Aufteilung der Welt in "Uns" und "die Anderen", die erbarmungslos ausgebeutet wurden, damit die Kolonialherren in ihrem Heimatland mithilfe ihrer Erzeugnisse die eigene sozioökonomische Identität ausgestalten konnten.

Identitäten und Gebräuche stammen nicht von irgendwoher, sie entstehen über die Zeit durch die ständige Wiederholung und Bestärkung bestimmter Gedanken und Ideen. Sie manifestieren sich in Vorstellungen von Nationalität, Geschlechternormen, Essen und Religion, in Form von Objekten und Räumen, die zu Prüfsteinen von richtig oder falsch werden. Das Konzept des Selbst entspringt, wie wir gelernt haben, aus seiner Beziehung zum Anderen; in den Zwischenräumen liegt das Terrain von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit. Geschichtenerzählern geht es darum, diese Zwischenräume zu verkleinern. Nicht durch die Negation von Unterschieden, sondern durch ihre Bewusstmachung - und durch die Reflexion, auf welche Weisen sich Nicht-Zugehörigkeit manifestieren kann.

Die Expert:innen der Erzählkunst von Once Upon a Tomorrow besprachen Beispiele für Nicht-Zugehörigkeit aus dem persönlichen und anderen Bereichen, die im Laufe der Zeit normalisiert wurden, und "Tricks", um sie zu bekämpfen. Werden sie funktionieren? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wir werden es nie erfahren, wenn wir uns nicht entschließen, den Status quo infrage zu stellen.

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