Leichte und Einfache Sprache
Lesen ohne Hürde

Barrierefreier Zugang zu Informationen
Barrierefreier Zugang zu Informationen | Foto (Ausschnitt): © IJB © rosenoom - Fotolia.com

Nicht jedem Erwachsenen fällt das Lesen leicht. Die Konzepte der Einfachen und Leichten Sprache wollen Texte für alle Menschen verständlich machen – damit alle am öffentlichen Leben teilhaben können. 

Daniel Homolka erinnert sich gut daran, wie er zum ersten Mal eine Zeitschrift in der Hand hielt, die er verstehen konnte: Klar & Deutlich veröffentlicht Nachrichten in Einfacher Sprache. Sein Deutschlehrer hatte sie ihm mit der Erklärung gegeben, dass sie sich an Menschen mit Leseschwierigkeiten richte. Daniel Homolka besuchte damals eine Förderschule und träumte davon, Kriminalromane lesen zu können. Klar & Deutlich ist eine von zahlreichen Publikationen, die Vereine und Übersetzungsbüros nach der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2006 entwickelt haben, um Menschen mit Lernschwierigkeiten einen barrierefreien Zugang zu Informationen zu ermöglichen.

Leichte Sprache: ein festes Regelwerk

„Die Konzepte und Regeln der Einfachen und Leichten Sprache sind aus dem Engagement von Menschen mit Lernschwierigkeiten heraus entstanden. Anlehnend an Bewegungen in den USA haben sie sich Gedanken darüber gemacht, wie Texte geschrieben sein müssen, damit alle sie verstehen können“, erklärt Bärbel Mickler, Vorstandsmitglied von Netzwerk Leichte Sprache. Der im Jahr 2006 gegründete Verein will mit einem Regelwerk zur Leichten Sprache die Selbstbestimmung Erwachsener verbessern – unabhängig von ihren Lesefertigkeiten und ihrem Hintergrundwissen. So werden etwa kurze Sätze und bekannte Wörter verwendet, Fremdwörter vermieden und komplexe Sachverhalte durch Fotos und Bilder illustriert. Genutzt wird die Leichte Sprache nicht nur von Menschen mit Lernschwierigkeiten: Die bürgerlichen Grundrechte in Leichter Sprache zum Beispiel werden häufig auch von Senioren und Migranten nachgefragt. Wissenschaftliche Studien haben inzwischen den Nutzen der Leichten Sprache bestätigt.

die Leser dort abholen, wo sie stehen

Die Leichte Sprache wird oft in einem Atemzug genannt mit der Einfachen Sprache. Doch die Leichte Sprache richtet sich mit ihren strikten Regeln vor allem an Menschen mit kognitiven Behinderungen und Lernschwierigkeiten. Die Einfache Sprache hingegen will mit niedrigschwelligen Angeboten Menschen mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen erreichen und versucht, sich stärker an den realen Voraussetzungen der anvisierten Zielgruppe zu orientieren. „Wenn ich in einem Text für Fußballfans den Fachbegriff ‚Abseits‘ vermeide, fühlen sich meine Leser nicht ernst genommen. Und wenn ich eine Publikation für Auszubildende in Kfz-Werkstätten schreibe, sollte ich den Begriff ‚Katalysator‘ nicht ersetzen, sondern erklären. Unser Ziel ist es, die Leser dort abzuholen, wo sie stehen, und ihnen die Möglichkeit zum Weiterlernen zu bieten“, sagt Walburga Fröhlich, Gründerin des capito-Netzwerks, das Übersetzungen und Fortbildungen zu barrierefreier Kommunikation anbietet.

Gesetze bringen frischen Wind

Im Jahr 2011 wurde die „Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik“ erlassen. Das Gesetz verpflichtet Behörden der Bundesverwaltung dazu, ihre Online-Angebote in Leichter Sprache zur Verfügung zu stellen. Ab 2018 sollen Bescheide bei Bedarf zudem kostenfrei in Leichter Sprache erläutert werden. Auch bei der Inklusion in Schulen kann Leichte oder Einfache Sprache weiterhelfen – Vorgaben gibt es dafür aber noch nicht. „Die Gesetzesänderungen bringen neuen Wind in einen gesellschaftlichen Verständlichkeitsdiskurs, der ohnehin schon stattfindet, weil viele Menschen daran leiden, wie komplex und fachlich unsere Welt wird“, sagt Christiane Maaß, Leiterin der 2014 gegründeten Forschungsstelle Leichte Sprache am Institut für Übersetzungswissenschaft und Fachkommunikation der Universität Hildesheim. Im Vergleich mit den skandinavischen und angloamerikanischen Ländern, die sich schon seit den Siebziger- oder Achtizigerjahren mit dem Thema beschäftigen, sei Deutschland zwar spät, dafür aber sehr professionell in die Diskussion eingestiegen.

Regelwerk soll noch verbessert werden

Betroffene, Wohlfahrtsverbände, Übersetzungsbüros, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigen sich jetzt damit, wie sich das Regelwerk der Leichten Sprache weiterhin optimieren lässt. Müssen die Texte von Menschen mit Lernschwierigkeiten geprüft werden? Wie kann die Verständlichkeit von Texten durch Typografie und Grafik unterstützt werden? Und wie können Leichte und Einfache Sprache ein besseres Image bekommen, damit Menschen sich nicht dafür schämen, sie zu nutzen, und damit Entscheidungsträger die notwendigen Ressourcen dafür zur Verfügung stellen? Christiane Maaß wünscht sich Möglichkeiten, verständliche Texte ästhetisch ansprechend zu gestalten: „Ein Zeitungstext in Leichter Sprache darf die Anmutung eines Zeitungstexts haben, ein Roman darf wie ein Roman aussehen. Gleichzeitig muss sich das Layout an den Bedürfnissen der Zielgruppen orientieren, das heißt die Texte müssen trotzdem wahrnehmungsoptimiert sein.“ Die Wissenschaftlerin arbeitet gerade in Zusammenarbeit mit der Abteilung Barrierefreie Angebote des Norddeutschen Rundfunks an einem Online-Märchenbuch in Leichter Sprache, das noch 2016 veröffentlicht werden soll. Kriminalromane in einfacher Sprache gibt es bereits. Daniel Homolka ist das mittlerweile aber gar nicht mehr wichtig: Er prüft für capito Stuttgart regelmäßig Texte auf Verständlichkeit. Dadurch, sagt er, sei Lesen inzwischen sein Hobby geworden.