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Interview mit Maciej Siuda
Ideen in Formen fangen

Laboratorium badań nad szcześciem
© Enwturf K. Mutke/F. Bardyan

Bogna Świątkowska unterhält sich mit Maciej Siuda und Ada Gruszka über ihre aufblasbare Ausstellungsarchitektur.

Wie seid Ihr darauf gekommen, ausgerechnet PVC für diese Ausstellung zu verwenden? Schließlich wird dieses Material aus fossilen Rohstoffen hergestellt, dabei thematisiert die Ausstellung doch die negativen Folgen eines unkontrollierten Extraktivismus. Ich muss zugeben, dass mich dies als Kuratorin der Ausstellung einigermaßen überrascht hat!

Dafür gab es mehrere Gründe. Der erste war, dass das Projekt als mobile Ausstellung geplant war und in mehreren Städten präsentiert werden sollte. Und Materialien mit einer fließenden Stabilität haben in Ausstellungen einen besonderen Reiz. In den meisten Fällen setzt man auf stabile Lösungen – und Ballons sind schließlich alles andere als stabil. Zweitens wollten wir, da die Ausstellung an mehreren Orten präsentiert werden soll, eine Lösung finden, die es uns erlaubt, ihren Maßstab zu verändern, sie nach Belieben zu vergrößern oder zu verkleinern. Und drittens wollten wir ein Material verwenden, das eine anekdotische Ergänzung zum Thema der Ausstellung liefert. Die Ausstellung ist der Suche nach Lösungen für die drängenden Probleme unserer Zeit gewidmet. Sie dokumentiert zwar nicht unmittelbar die Tätigkeit des Labors für Glücksforschung, doch die in ihr präsentierten, abstrakten Objekte repräsentieren die Ideen, denen diese Projekte eine konkrete Form zu geben versuchen. Außerdem leben wir in einer Welt, in der alle unsere Handlungen einen CO2-Fußabdruck haben. Noch können wir uns dem nicht entziehen, wir können lediglich versuchen, diesen Fußabdruck möglichst gering zu halten. Und auch dieser Aspekt spielt hierbei eine Rolle: die Lagerung, der Transport und die Durchführung der Ausstellung. Indem wir den CO2-Ausstoß in diesen Bereichen reduzieren, sind wir in der Lage, trotzdem ökologisch vertretbar zu handeln.

In den meisten Fällen begegnen wir Objekten aus PVC in Vergnügungsparks und auf Kinderspielplätzen. Doch aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften – sie haben ein relativ geringes Gewicht, sind leicht zu lagern und nehmen bei Bedarf schnell ihre gewünschte Form an – werden sie auch in Notfallsituationen, bei der Rettung von Menschenleben, verwendet. Sie gehören zur Ausstattung von Schiffen und Flugzeugen, sie dienen der Evakuierung. Sie sind dazu gedacht, innerhalb eines bestimmten Zeitabschnitts einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Hat auch dieser Aspekt für euch eine Rolle gespielt?

Der Charakter des Provisorischen war für uns durchaus von Bedeutung. Andererseits wollten wir versuchen, mithilfe von Ballons sehr stabile Strukturen zu schaffen. In den 60er- und 70er-Jahren dachte man eifrig über die Zukunft der Architektur nach, es entstanden diverse fantastische Projekte, die heute noch durch ihre immense Vorstellungskraft beeindrucken. Besonders in Spanien begeisterte man sich damals für aufblasbare Konstruktionen. Man experimentierte mit provisorischen Städten: Ganze Stadtkomplexe wurden damals einfach aufgeblasen. Man könnte sagen, dies geschah im Geiste einer Retro-Science-Fiction, denn die Blütezeit der Ballonfahrt war das 19. Jahrhundert, doch auf jeden Fall wurden Ballons zu einem Thema, mit dem sich die Architektur intensiv beschäftigte und das diverse Experimente und Innovationen auslöste.
Wenn es um Notfallsituationen geht, befanden wir uns, als wir begannen, die Architektur der Ausstellung zu entwerfen, in einer schwierigen psychologischen Situation. Wir wussten, dass wir die sehr unterschiedlichen Befunde eines Projekts vergegenständlichen sollten, das sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Entwicklungsphase befand und dessen Ergebnisse noch gar nicht absehbar waren. Die einzelnen am Labor für Glücksforschung beteiligten Institutionen beschäftigen sich nicht nur mit unterschiedlichen Themen, sondern setzen diese auch unterschiedlich um – auch die einzelnen Projekte unterscheiden sich stark voneinander. Als man uns mit der Architektur der Ausstellung betraute, war noch nicht vollständig absehbar, wie die einzelnen Projekte genau aussehen würden. Es waren eher Konzepte und Ideen, manche eher pragmatisch, andere eher experimentell. Man kann also durchaus sagen, dass wir uns als Architekten der Ausstellung in einer Notfallsituation befanden. Wir hatten viele Vermutungen und wenig Gewissheit – und sollten auf dieser Grundlage irgendetwas schaffen. Vielleicht haben wir uns deshalb ganz intuitiv dem Thema Ballons zugewandt – Objekte, die sich aufgrund ihrer Eigentümlichkeit und ihrer Kurzlebigkeit gut für solche ungewissen Situationen eignen.

War es angesichts dessen nicht auch eine exotische Erfahrung für euch? Musstet ihr andere Methoden anwenden, als wenn ihr euch der üblichen Werkzeuge und der Sprache der Architektur bedient?

Wir scherzen oft darüber, dass dies das merkwürdigste Projekt war, das jemals in unserem Studio entstand. Es war sehr exotisch! Doch auf einer anderen Ebene, der des Denkens über Architektur, unterschied es sich gar nicht so sehr von anderen Projekten. Das Entwerfen ist ein Bewusstseinszustand, und dabei ist es gar nicht so wichtig, ob du es mit Ballons, einem Gebäude oder einer Ausstellung zu tun hast. Das Verständnis von Architektur als räumliches Anordnen lässt sich auf unterschiedliche Situationen anwenden – das verwendete Material stellt dabei keine Einschränkung dar. Es war ein großes Experiment, doch Experimente haben bei unserer Arbeit schon immer eine Rolle gespielt, also passte es eigentlich sehr gut, zu dem, was wir sonst tun.

„Ideenlese“ ist eine sehr kleine Ausstellung. Im Grunde ist es eine kurze Führung durch die zweijährige Arbeit mehrerer Institutionen in Deutschland und Polen. Reden wir also einmal über Maßstäbe. Ihr habt bereits an zahlreichen Ausstellungen bedeutender Kunst- und Kulturinstitutionen mitgearbeitet. Darunter waren so groß angelegte Projekte, wie die berühmte Ausstellung Streit um den Wiederaufbau anlässlich des Festivals Warschau im Bau im Jahr 2015, als ein ganzes Gebäude zu einer Ausstellung wurde. Welchen Einfluss hat die Größe einer Veranstaltung auf eure Arbeit? Zurzeit arbeitet Ihr an einer Umgestaltung des Museums für Moderne Kunst in Warschau. Das ist ein gewaltiges Unterfangen, doch gleichzeitig hattet ihr es mit einem solchen Miniaturprojekt zu tun – einem, das euch dazu noch ganz schön zu schaffen gemacht!

Da wir uns jedem Projekt auf eine sehr individuelle Weise annähern, ist die Zeit, die wir benötigen, um Ideen zu entwickeln, nahezu gleich. Selbstverständlich erfordern größere Projekte mehr Aufwand in den späteren Phasen – beim Erstellen von Zeichnungen, der Ausführung und der Koordination –, aber wenn es um die Phase der Konzeptfindung geht, unterscheiden sich die benötigte Zeit und das emotionale Engagement kaum voneinander.

Selbstverständlich gibt es Projekte, bei denen du sofort eine Idee im Kopf hast und bei denen alles von allein läuft. Aber auf der konzeptuellen Ebene macht der Maßstab eines Projekts grundsätzlich keinen Unterschied im Bezug auf das emotionale Engagement. Wir haben seit der Gründung unseres Studios immer versucht, einen etwas anderen Blick auf die Architektur zu werfen und das Denken über Architektur und ihre Möglichkeiten zu erweitern – als etwas, das nicht nur neue Strukturen, sondern vor allem auch neue Beziehungen hervorbringt. Als Konsequenz dieses Ansatzes können wir uns frei zwischen unterschiedlichen Maßstäben bewegen. Wir arbeiten eben manchmal an Ausstellungen und manchmal an Gebäuden. Das Wechseln zwischen unterschiedlichen Maßstäben ist für uns ein ganz natürlicher Bestandteil unserer Arbeit. Gerade darin verbirgt sich etwas Interessantes, denn das Wechseln zwischen unterschiedlichen Maßstäben, erschafft eine Vorstellung dessen, was dieses „Dazwischen“ eigentlich bedeutet. Die meisten Architekturstudios versuchen, sich auf ein bestimmtes Tätigkeitsfeld zu spezialisieren. Aufgrund unseres Ansatzes sind uns praktisch keine Grenzen gesetzt, und damit ist auch ein gewisser Spaß verbunden – und eine Freude an den unerwarteten Erträgen unserer architektonischen „Felderwirtschaft“. Damit so etwas möglich wird, musst du jedoch viel Engagement, Talent und Herzblut mitbringen – dann macht es im Grunde keinen Unterschied, ob du Ballons oder Pavillons entwirfst.


 

Adrianna Gruszka
Absolventin der Warschauer School of Form mit Schwerpunkt Industriedesign. Sie konzentriert sich in ihrer beruflichen Praxis auf die Erforschung unterschiedlicher Materialien und ihrer Verwendungsmöglichkeiten, das Umgehen mit Nichtwissen und neuen Formen der (Un)Entschiedenheit. Sie war unter anderem im Zieta Studio tätig. In der Maciej Siuda Werkstatt arbeitet sie als Raum- und Produktdesignerin.
Maciej Siuda
Architekt und Designer. Er arbeitet an der Schnittstelle zwischen Architektur, Kunst und Geisteswissenschaften. Seine Diplomarbeit „XYZ STRUCTURE“ wurde unter anderem im Solomon R. Guggenheim Museum in New York ausgestellt (2011). Autor der Ausstellung „WARSCHAU IM BAU 7: Streit um den Wiederaufbau“, für die er den Grand Prix der Stadt Warschau für die bedeutendste architektonische Umsetzung (2015) und den Preis Talking Buildings Down des New Yorker Instituts Storefront for Art and Architecture (2016) erhielt. Für seinen Entwurf einer Schule mit Kindertagesstätte im Warschauer Stadtbezirk Ursynów wurde er mit dem Preis des Festivals Art in Architecture ausgezeichnet (2021). Mitarchitekt einer Schule in Jacmel auf Haita gemeinsam mit dem Kollektiv Balon (2019), des Pavillons „DEVEBERE“ auf der Architekturbiennale Venedig (2012) und des Projekts „MYCOsystem“, das den polnischen Pavillon auf der 22. Triennale di Milano (2019) repräsentierte.

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