Futur Eins: Leben auf dem Mars
Schauspiel - Computerspiel - Planspiel

„Futur Eins: Leben auf dem Mars“ ist ein Theaterstück für Kinder ab 8 Jahren. Das Science-Fiction Abenteuer jongliert mit Elementen aus Computerspielen, bezieht die Methodik von Planspielen ein und verknüpft diese Anregungen zu einem interaktiven Schauspiel.

Entstehung

Rike Reiniger: Futur EIns Foto: Nilz Böhme Im Rahmen von „Nah dran“, einem Stipendienprogramm des Kinder- und Jugendtheaterzentrums entwickeln Autor*innen in Zusammenarbeit mit einem Uraufführungs-Theater und einem Theaterverlag formal und inhaltlich innovative Kindertheaterstücke, die sich an die Altersgruppe der Grundschulkinder richten und grundsätzlich repertoirefähig sind, also von anderen Theatern nachgespielt werden können.
„Futur Eins: Leben auf dem Mars“ ist in diesem Programm als Kooperation zwischen dem Theater der Altmark Stendal, dem Theaterstückverlag München und mir als Autorin entstanden und wird im November 2021 in der Regie von Anastasija Bräuniger uraufgeführt. Im Folgenden möchte ich beschreiben, wie die verschiedenen Spielformen (Schauspiel, Computerspiel und Planspiel) die Dramaturgie des Theatertextes und die Rolle des Publikums erweitern.

Schauspiel

Der Einstieg in das Theatererlebnis erfolgt nach dem Prinzip von Let’s Play Videos, in denen Computerspieler ihr eigenes Spielerlebnis aufnehmen und (live) streamen. Der Let’s Player übernimmt die Rolle einer Spielfigur, filmt sich jedoch gleichzeitig als Person außerhalb des Spiels und kommentiert den Verlauf aus dieser Perspektive.
Im Theatertext sind es drei Figuren, Alex, Charlie und Kaya, die als Spieletester*innen die Beta-Versionen von neuentwickelten Computerspielen ausprobieren sollen. Es geht um das fiktive Spiel „Futur Eins: Leben auf dem Mars“. Ziel des Spiels ist es, herauszufinden, wie Menschen auf dem Mars überleben können. Die drei suchen sich ihre Avatare aus und werden zu Entdecker*in, Pilot*in und Techniker*in in dem zu testenden Computerspiel. Ihre Verabredungen, Verständigungen und Kommentare zum Spiel werden digital vorproduziert auf mehreren Bildschirmen im Bühnenraum gezeigt.

Computerspiel

Sobald die Handlung des fiktiven Computerspiels beginnt, erscheinen die Avatare im Bühnenraum, und zwar live und analog gespielt von Schauspieler*innen. Die Dramaturgie der Geschichte orientiert sich am Aufbau von Computerspielen. Quests, also Aufgaben, müssen erfüllt oder gelöst werden, um das nächste Level, die nächste Stufe im Spiel, zu erreichen. Außerdem gibt es Optionen, die in schwierigen Situationen wie ein Joker einmalig ausgespielt werden können. Die Aktionen der Spielfiguren dienen ausschließlich dazu, die Mission, bzw. das Ziel des Spiels zu erreichen.
Gleich beim Start reizen die Avatare die Regeln maximal aus. Eine Figur verlässt den Team-Player Modus und macht als Einzelspielerin weiter. Charlie setzt sich in die Rakete und fliegt los. War das ein Fehlstart? Oder Absicht der Entdecker*in, um als erste auf dem Mars zu landen? Hatte die Pilot*in etwas damit zu tun, weil sie eine unliebsame Konkurrentin loswerden wollte? Auf jeden Fall müssen Alex und Kaya die Technik-Option ausspielen, um eine neue Rakete zu bauen. Damit schaffen sie die Quests auf dem Weg zum Mars. Dort scheint alles öde und leer zu sein, Überleben ist kaum vorstellbar. Doch dann begegnen sie einem … ja was ist es? Ein Marsmensch? Ein Bot? Nein, es ist der Avatar von Charlie, der wider Erwarten die Quests beim Flug auf den Mars Im Einzelspieler-Modus überstanden und eine Möglichkeit zum Überleben gefunden hat. Nur ist Charlies Rakete inzwischen unbrauchbar. Sie schafft es nicht zurück ins Kosmodrom. Charlie braucht dringend Hilfe. Aber Alex und Kaya weigern sich, sie auf dem Rückflug mitzunehmen, denn die neue Rakete ist nur ausgelegt für zwei Personen. Die Situation eskaliert. Wer darf zurückfliegen?

Planspiel

In dem nun folgenden Teil des Theatererlebnisses werden die Kinder, analog zu Spielenden in einem Planspiel, selbst zu Akteuren. In der Methodik von Planspielen geht es um die Modellbildung von sozialen Situationen und Konflikten. Für die Spielenden bedeutet das Planspiel einen Erfahrungsgewinn durch die kreative und gemeinschaftliche Suche nach Lösungen.
In dem Konflikt der drei Avatare auf dem Mars scheint es keinen Ausweg zu geben:
Charlie, die Entdecker*in, eignet sich den Transponder an, ohne den die Rakete nicht gestartet werden kann und will mit der Pilot*in Kaya zurückfliegen. Alex, die Techniker*in, unterbricht deshalb die Energieversorgung der Rakete durch die Sonne. Die Rakete hat nicht mehr genug Energie, um zurückzufliegen und nur Alex weiß, wie das zu ändern wäre. Aber Kaya weigert sich, den anderen beiden den Autopiloten einzurichten.
In dieser Situation aktivieren die Spieletester*innen außerhalb der Ebene des Computerspiels den Notfall-Modus, der in der Hinzuziehung von Helferteams besteht. Das Publikum wird in drei Teams aufgeteilt, die jeweils mit einer Spielertester*in eine Möglichkeit finden müssen, mit der ihr Avatar die Mission erfüllen und das Spiel gewinnen kann. Dabei ist der Weg zu einer Lösung völlig offen. Nur eins ist klar: Jede der drei Figuren kann durch Agieren oder durch Verweigerung jede Idee der anderen verhindern. Die Lösung muss also gut für alle sein, oder sie ist keine Lösung.

Ausblick

Spiele sind absichtsvoll gestaltete Herausforderungen, die uns einen Erfahrungsraum außerhalb der Alltagsrealität ermöglichen. Das gilt für Schauspiel, Computerspiel und Planspiel gleichermaßen, doch mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Vereinfacht gesprochen werden die Herausforderungen im Schauspiel gezeigt, im Computerspiel simuliert und im Planspiel ausprobiert. „Futur Eins: Leben auf dem Mars“ ist ein Theatertext, in dem ich einzelne Aspekte aus den verschiedenen Spielformen verknüpfe. Ob das Vorhaben gelingt, kann in jeder Vorstellung anders und überraschend ausfallen.
 
Rike Reiniger
ist Regisseurin und Autorin. Sie war Mitbegründerin eines interkulturellen Theater-Ensembles in Berlin und hatte Engagements an verschiedenen Bühnen in Deutschland. Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. Heute lebt Rike Reiniger in Berlin und in Vorpommern.