Eine sehr kurze Geschichte über den polnischen Comic

© Krzysztof Gawronkiewicz
© Krzysztof Gawronkiewicz

Im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich und den USA ist die Geschichte des polnischen Comics voller Lücken, die es auszufüllen gilt. Bevor Adam Rusek 2001 sein Buch Tarzan, Matołek i inni veröffentlichte, waren polnische Comics aus den Jahren 1919–1939 praktisch unbekannt.

Selbst für kulturell Interessierte begann die Geschichte des polnischen Comics erst ungefähr 1949, mit der ersten Ausgabe der Zeitschrift „Świat Młodych“ – die Zeit davor war gewissermaßen eine Terra incognita. Folglich wurde oft die These vertreten, der polnische Comic sei ein einzigartiges Phänomen, das sich unabhängig von der europäischen Tradition entwickelt habe. Die Studie von Adam Rusek, einem Mitarbeiter der Biblioteka Narodowa und bis heute einzigem aktiven Forscher zur Geschichte des polnischen Comics, widerlegte diese These.

 

Kazimierz Grus: Der Zensor liest das „Siedem Groszy“-Heft mit Aprilscherz; Quelle: Aus dem Privatarchiv von Adam Rusek
Autor: Kazimierz Grus, Quelle: Aus dem Privatarchiv von Adam Rusek
„Zeichenserien“ und „Bilderserien“ Nach dem Ersten Weltkrieg gab es in Polen, das nach Jahren der Unterdrückung endlich seine Unabhängigkeit erlangt hatte, ein äußerst reges politisches Leben und eine sich rasch entwickelnde Presselandschaft – umso mehr, als das Gebiet der neugegründeten Republik aus drei ehemaligen Teilungsgebieten mit eigenen regionalen Medien bestand. Der polnische Comic entwickelte sich somit parallel zur polnischen Presse und war untrennbar mit ihr verbunden. Insbesondere Zeitungen für die niederen Schichten setzten auf Bildergeschichten, doch es gab auch satirische Publikationen, wie die Zeitschrift „Szczutek“, die sich an wohlhabendere Leser richteten. In grafischer Hinsicht unterschied sich der polnische Comic der Vorkriegszeit kaum von seinen französischen oder belgischen Pendants. So wie an der Seine standen die Texte anfangs unterhalb der Bilder (die Sprechblase entstammt der amerikanischen Tradition). Die zu jener Zeit als „Zeichenserien“ oder „Bilderserien“ bezeichneten Comics schilderten den polnischen Alltag, sprachen gesellschaftliche und politische Themen an und machten sich über Sowjetrussland und das Deutsche Reich lustig. Die polnischen Autoren waren sich der Entwicklung in der westeuropäischen Comicszene durchaus bewusst. Es gab polnische Versionen bekannter Figuren wie Pat und Patachon (in Polen Wicek und Wacek) und Übersetzungen von Disney-Comics, doch daneben entstanden auch äußerst populäre einheimische Serien, die später in Albumform erschienen. Ein gutes Beispiel ist Ogniem i mieczem, czyli przygody Szalonego Grzesia, das von den Abenteuern eines polnischen Soldaten erzählt, der sowohl gegen die Deutschen als auch gegen die Russen um die polnische Unabhängigkeit kämpft. Ein eher ungewöhnlicher Held war der „Bezrobotny Froncek“, dessen Abenteuer in Schlesien spielen und die ein ausgezeichnetes Bild der gesellschaftlichen Stimmungen in den Jahren 1932–1939 vermitteln.

Franciszek Struzik; Quelle: Aus dem Privatarchiv von Adam Rusek
Franciszek Struzik; Aus dem Privatarchiv von Adam Rusek
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte der Comic auf die Zeitungsseiten zurück, wo er zunehmend der kommunistischen Zensur unterworfen war. Es überwogen Abenteuer- und Unterhaltungsgeschichten, die zunächst ideologisch neutral waren, später jedoch (vor allem in den Jahren 1949-1955) den Kommunismus verherrlichten und gegen den westlichen Imperialismus wetterten. Nach wie vor gab es eine strenge Unterscheidung zwischen „Bilderserien“ (mit Texten unterhalb der Bilder), die eher wohlwollend betrachtet wurden, und „Comics“, die als eine Invasion der kapitalistischen amerikanischen Kultur galten.

Glücklich und unglücklich zugleich

© Krzysztof Gawronkiewicz
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Die Renaissance des polnischen Comics fand gegen Ende der 50er-Jahre statt und war eng mit der comicfreundlichen Haltung der Zeitschrift „Świat Młodych“ verbunden, die neben der wesentlich später, erst 1976 gegründeten „Relax“, die wichtigste Comic-Talentschmiede in der Volksrepublik Polen war.Die Zeit des Kommunismus war für den polnischen Comic glücklich und unglücklich zugleich. Einerseits erfreuten sich polnische Comics einer ungeheuren Beliebtheit bei den polnischen Lesern (Auflagen von 300.000 Exemplaren waren keine Seltenheit) und es entstanden zahlreiche interessante und originelle Serien von Autoren wie Szarlota Pawel, Janusz Christa, Henryk Jerzy Chmielewski, Jerzy Wróblewski oder Tadeusz Baranowski. Andererseits verpasste der polnische Comic die gesellschaftliche Revolution der Sechzigerjahre und blieb weiterhin ein Medium, das sich überwiegend an Kinder richtete und von der Literatur- und Kunstkritik belächelt wurde. Es gab in Polen keine Underground Comix und keine politische oder experimentelle Comicliteratur. Die polnische Comicszene wurde von einigen wenigen Autoren bestimmt, während es in Frankreich, Belgien oder den USA Hunderte von Autoren gab. Der Eiserne Vorhang bremste also die Entwicklung des polnischen Comics, der hinter dem Westen zurückblieb und in ästhetischer Hinsicht reichlich konservativ wirkte. Die 1987 gegründete Zeitschrift „Komiks-Fantastyka“ versuchte, diesen Rückstand aufzuholen, doch die eigentliche Wende erfolgte erst 1989.

Alternative Comic-Szene und Comicforschung


© Krzysztof Gawronkiewicz
© Krzysztof Gawronkiewicz
Der Einzug des Kapitalismus resultierte in einer Flut von ausländischen, insbesondere amerikanischen Comics – Batman und Superman eroberten die polnischen Kioske. Die polnischen Autoren verschwanden im Untergrund, weil es für die Verleger lukrativer war, Lizenzprodukte zu verkaufen. Folglich entstand in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre eine lebendige alternative Comicszene, die sich um das Comic-Festival in Łódź und um zahlreiche Fanzines und Magazine wie „AQQ“, „KKK“ (Krakowski Klub Komiksu), „Komiks Forum“ und „Produkt“ konzentrierte. Eine besonders wichtige Rolle spielte das Magazin „Produkt“. Serien wie Osiedle Swoboda oder Wilq erzählten von der Welt der polnischen Subkulturen, vom Leben in der Provinz oder in Wohnblocksiedlungen. Auch die Comicforschung, die zuvor fast ausschließlich in der Zeitschrift „Komiks-Fantastyka“ stattgefunden hatte, erlebte in den Neunzigerjahren einen Aufschwung. Es gab jedoch auch erhebliche Defizite: Die Autoren beschränkten sich auf kurze Formen, die überwiegend in Magazinen und Fanzines veröffentlicht wurden, es mangelte an komplexen Erzählungen und autobiografischen Graphic Novels, nach wie vor überwogen Genre-Comics.

Ein wahrer Comic-Boom

Das Jahr 2000 war der Beginn eines wahren Comic-Booms. Es gab von Jahr zu Jahr mehr Verlage (diese Zahl wurde inzwischen vom Markt korrigiert) und neue Autoren. Die Verleger waren zunehmend bereit, auch polnische Comics zu veröffentlichen – auch wenn niemand mehr von Auflagen von 300.000 Exemplaren zu träumen wagte. Der Comic entwickelte sich zu einer Nischenkunst, die jedoch über eine äußerst aktive Fanszene aus Verlegern, Autoren, Publizisten, Festivalorganisatoren und Lesern verfügt. Zwischen 2000 und 2010 verringerte der polnische Comicmarkt zunehmend seinen Rückstand gegenüber dem Westen, und immer mehr einheimische Autoren und Autorinnen betraten die Szene. Zu den Bekanntesten zählen Michał Śledziński (der Autor von Osiedle Swoboda), Tomasz und Bartosz Minkiewicz mit ihrer bissigen Serie Wilq über einen Superhelden aus Oppeln sowie Rafał Skarżycki und Tomasz Lew Leśniak, die Schöpfer von Jeż Jerzy, einen Skateboard fahrenden Igel, dessen Abenteuer inzwischen sogar verfilmt wurden.

Der polnische Comic hat das Image eines Mediums für Kinder erfolgreich abgestreift, neu erschienene Alben erhalten landesweite mediale Aufmerksamkeit und sind nicht mehr nur in Kiosks, sondern auch in Buchhandlungen erhältlich (wenn auch nur in größeren Städten). Trotzdem ist der Comic nach wie vor eine Nischenkultur und hat im Gegensatz zu Literatur, Film und bildender Kunst keine großen Aussichten auf finanzielle Förderung. Er steht nach wie vor ein wenig abseits oder vielmehr zwischen den anderen Künsten.

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